Das ist viel Geld für einen einfachen Mann. Walter Schnörr hat sich gesammelt und setzt sich wieder neben Birgit. Es fällt ihm nicht leicht, das Innerste nach außen zu kehren. Die Monotonie seines Alltags hat ihn kühl gemacht. Er versucht nicht viel zu denken, er tut lieber was. Wenn er auf die Station kommt, kämmt er ihr die Haare, legt die bunte Decke über ihre Hände, damit sie nicht friert. Danach schiebt er sie im Rollstuhl durch die Gegend, geht wie früher mit ihr in den Supermarkt zum Einkaufen. Oft sitzt er einfach nur still neben ihr. Es gibt nicht mehr viel zu sagen. Was soll man auch erzählen über jemanden, der jeden Tag wartet, dass wieder nichts passiert?

 

2300 Euro netto verdient Schnörr in der Firma. Seine Bausparverträge und Sparbücher hat er bis auf das Schonvermögen aufgelöst. Es gibt nichts mehr außer einer kleinen Wohnung, die noch nicht ganz abgestottert ist. 800 Euro zahlt der Familienvater jeden Monat an die Komastation, weitere 500 Euro muss sein ältester Sohn überweisen. 1500 Euro gibt es von der Pflegeversicherung, den Rest übernimmt das zuständige Sozialamt. "Wenn einem so etwas geschieht, wird man doppelt ruiniert", sagt Walter Schnörr gallig. "Einmal seelisch und einmal finanziell."

Die Krankenkasse zahlt keinen Cent

Es schmerzt ihn, Stütze zu beziehen. Den Ämtern muss er laufend berichten, wie es finanziell aussieht. Dass auch sein Sohn zur Kasse gebeten wird, belastet den Vater besonders. Dabei stünde der Familie schon seit Jahren ein Zuschuss von ein paar Hundert Euro im Monat zu. Es geht um Geld von der Krankenkasse zur medizinischen Behandlungspflege, wie das im Fachjargon heißt, für das Reinigen von Halskanülen, das Wechseln von Schläuchen, das Verabreichen von Medikamenten. Wer zu Hause pflegt, bekommt das Geld ohne Probleme. Inzwischen kann diese Leistung auch einer eng begrenzten Personengruppe wie Komapatienten und Dauerbeatmeten in Heimen bewilligt werden. Das nicht nur begrifflich sperrige Pflegeergänzungsgesetz wurde mit Blick auf die hohen Eigenanteile von Angehörigen erlassen, "die sehr häufig die Finanzkraft der Betroffenen überforderten und zu Sozialhilfeabhängigkeit führten".

Seine Krankenkasse zahlt keinen Cent. "Ich muss mich an Gesetze halten", sagt Schnörr. "Die müssen es nicht." Mit seinem Zorn ist er nicht allein. Wie Schnörr geht es vielen Angehörigen von Komapatienten. Ulrike Stalder kann davon ein trauriges Lied singen. Vor fünf Jahren ist ihr Mann mit dem Motorrad aus einer Kurve getragen worden und gegen ein Schild geprallt. Seitdem dämmert der Zimmerermeister in seiner Schattenwelt vor sich hin. Seine Frau kämpft für ihn - und für ein kleines bisschen mehr Würde. Drei Kinder hat sie, einen Partner, der rund um die Uhr gepflegt werden muss, und bei alledem trotz zahlender Unfallversicherung auch noch finanzielle Sorgen. Ihre älteste Tochter, die ein gutes Abitur gemacht hat, konnte nicht studieren, weil es am Geld fehlte.

Ein unauffälliges Leben bricht auseinander

IIn Wirklichkeit ist nichts mehr gut. Walter Schnörr, Jahrgang 1956, lernt Birgit bei einer Geburtstagsfete kennen. Sie ist Verkäuferin, zwei Jahre jünger. "Liebe auf den ersten Blick", sagt er. Mit 18 heiratet sie ihn, Nachwuchs kündigt sich an. Im siebten Monat bekommt Birgit eine Nierenvergiftung und verliert das Kind. Auf dem örtlichen Friedhof wird es begraben. "Knabe Schnörr", steht auf dem Kreuz.

Sie geben nicht auf. Acht Jahre später läuft es besser. Jens kommt zur Welt, danach Andreas. Walter Schnörr arbeitet bei einem Autozulieferer an der Werkbank, seine Frau zieht die Söhne groß. Ein unauffälliges Leben in der schwäbischen Provinz. Am 10. Januar 2000 bricht es nachts um halb drei auseinander. Birgit Schnörr krümmt sich vor Schmerzen. "Entzündeter Blinddarm", lautet der ärztliche Befund. Der Eingriff verläuft gut. In der Klinik geht es Birgit Schnörr von Tag zu Tag besser. Ihr Mann kümmert sich zu Hause um die Jungs. Am 21. Januar klingelt spätabends das Telefon. "Kommen Sie schnell!" Er rast zum Krankenhaus und erfährt, dass seine Frau auf der Toilette zusammengebrochen ist. Lungenembolie. Herzstillstand. Reanimation. Seitdem ist Schweigen.

5000 Menschen sind jährlich betroffen

Walter Schnörr steht aus dem schwarzen Sessel auf und geht ein paar Schritte durch den Speisesaal. Vor einem Großbildfernseher sitzen Hochbetagte und verfolgen das Nachmittagsprogramm. Es überbrückt ihnen die Zeit bis zum Abendessen. Eigentlich kein Ort für eine Frau, die jetzt 52 Jahre alt ist. Aber wo soll er sonst hin mit ihr?

Fast 5000 Menschen fallen in Deutschland jedes Jahr ins Wachkoma. Weniger als ein Viertel davon findet zurück in einen selbst bestimmten Alltag. Die anderen brauchen oft lebenslange Pflege. Ihre Angehörigen müssen nicht nur damit umgehen, dass ihre Lieben für sie nicht mehr erreichbar sind, sondern auch für die Kosten aufkommen. Birgit Schnörrs Platz auf der Wachkomastation kostet 4500 Euro im Monat.

Angehörige müssen für die Kosten aufkommen

Das ist viel Geld für einen einfachen Mann. Walter Schnörr hat sich gesammelt und setzt sich wieder neben Birgit. Es fällt ihm nicht leicht, das Innerste nach außen zu kehren. Die Monotonie seines Alltags hat ihn kühl gemacht. Er versucht nicht viel zu denken, er tut lieber was. Wenn er auf die Station kommt, kämmt er ihr die Haare, legt die bunte Decke über ihre Hände, damit sie nicht friert. Danach schiebt er sie im Rollstuhl durch die Gegend, geht wie früher mit ihr in den Supermarkt zum Einkaufen. Oft sitzt er einfach nur still neben ihr. Es gibt nicht mehr viel zu sagen. Was soll man auch erzählen über jemanden, der jeden Tag wartet, dass wieder nichts passiert?

2300 Euro netto verdient Schnörr in der Firma. Seine Bausparverträge und Sparbücher hat er bis auf das Schonvermögen aufgelöst. Es gibt nichts mehr außer einer kleinen Wohnung, die noch nicht ganz abgestottert ist. 800 Euro zahlt der Familienvater jeden Monat an die Komastation, weitere 500 Euro muss sein ältester Sohn überweisen. 1500 Euro gibt es von der Pflegeversicherung, den Rest übernimmt das zuständige Sozialamt. "Wenn einem so etwas geschieht, wird man doppelt ruiniert", sagt Walter Schnörr gallig. "Einmal seelisch und einmal finanziell."

Die Krankenkasse zahlt keinen Cent

Es schmerzt ihn, Stütze zu beziehen. Den Ämtern muss er laufend berichten, wie es finanziell aussieht. Dass auch sein Sohn zur Kasse gebeten wird, belastet den Vater besonders. Dabei stünde der Familie schon seit Jahren ein Zuschuss von ein paar Hundert Euro im Monat zu. Es geht um Geld von der Krankenkasse zur medizinischen Behandlungspflege, wie das im Fachjargon heißt, für das Reinigen von Halskanülen, das Wechseln von Schläuchen, das Verabreichen von Medikamenten. Wer zu Hause pflegt, bekommt das Geld ohne Probleme. Inzwischen kann diese Leistung auch einer eng begrenzten Personengruppe wie Komapatienten und Dauerbeatmeten in Heimen bewilligt werden. Das nicht nur begrifflich sperrige Pflegeergänzungsgesetz wurde mit Blick auf die hohen Eigenanteile von Angehörigen erlassen, "die sehr häufig die Finanzkraft der Betroffenen überforderten und zu Sozialhilfeabhängigkeit führten".

Seine Krankenkasse zahlt keinen Cent. "Ich muss mich an Gesetze halten", sagt Schnörr. "Die müssen es nicht." Mit seinem Zorn ist er nicht allein. Wie Schnörr geht es vielen Angehörigen von Komapatienten. Ulrike Stalder kann davon ein trauriges Lied singen. Vor fünf Jahren ist ihr Mann mit dem Motorrad aus einer Kurve getragen worden und gegen ein Schild geprallt. Seitdem dämmert der Zimmerermeister in seiner Schattenwelt vor sich hin. Seine Frau kämpft für ihn - und für ein kleines bisschen mehr Würde. Drei Kinder hat sie, einen Partner, der rund um die Uhr gepflegt werden muss, und bei alledem trotz zahlender Unfallversicherung auch noch finanzielle Sorgen. Ihre älteste Tochter, die ein gutes Abitur gemacht hat, konnte nicht studieren, weil es am Geld fehlte.

Die Freunde von früher kommen nur noch selten

Wenn es sehr weh tut, liest die 44-jährige Arzthelferin ihrem Mann am Bett auf der Wachkomastation aus Büchern vor. Die Freunde von früher kommen nur noch selten. "Viele trauen sich nicht, ich bin ihnen nicht böse." Meistens ist sie allein mit ihrem Helmut, der früher ein stattlicher Kerl war und ihr jetzt wie ein Säugling vorkommt, der zufrieden ist, wenn man ihn gefüttert hat. Seine Frau versucht ihm, so gut wie es geht, gerecht zu werden. Sie erzählt ihm, was zu Hause los ist, wie es mit den Kindern läuft. Dabei bleibt sie mit ihren Sorgen letztlich allein. Es kommt nichts zurück von dem Mann, den sie liebt.

Auf Peter Maffay springt Helmut Stalder an. Wenn er die Musik hört, öffnet er die Augen. Früher sind die Angehörigen auf der Besigheimer Wachkomastation einmal pro Woche mit ihren Partnern im Kreis gesessen und haben gesungen. Das tat allen gut. Die Musiktherapie wird von der Kasse schon lange nicht mehr bezahlt. Deshalb hat Ulrike Stalder mit Freunden gesammelt. Die Spenden reichten, um den Therapeuten für ein Jahr zu bezahlen. Danach wollte das Heim für die Kosten aufkommen. Jetzt hat ihr der neue Chef gesagt, dass es doch kein Geld gibt. Es droht noch stiller zu werden im Leben der Stillen.

Mittlerweile liegt der Fall beim Sozialgericht

Ulrike Stalder ist Fachfrau für Tiefschläge. Einen ganzen Ordner füllen ihre Briefe an die Krankenkasse. Wie bei Walter Schnörrs Birgit wird auch bei ihrem Helmut die Behandlungspflege nicht bezahlt. Die Kasse hat Gutachter beauftragt, die nach Aktenlage entschieden. "Die Voraussetzungen sind nicht gegeben", heißt es in den Antwortschreiben. Zuschüsse könnten nur gewährt werden, wenn ständig eine Pflegekraft anwesend sein müsse. Es geht wie so oft um die Feinheiten juristischer Auslegung. "Alles planbar", sagt die Kasse. "Nichts ist planbar", sagt Ulrike Stalder. Mittlerweile liegt der Fall beim Sozialgericht in Heilbronn. Wer soll das alles bezahlen? Was ist dem Kollektiv zumutbar, was ist für den Einzelnen unerträglich? In wenigen Wochen wird es zu einem Musterprozess kommen.

Armin Nentwig, früher Landrat in Bayern, heute Bundesvorsitzender des Selbsthilfeverbands Schädel-Hirn-Patienten in Not, findet das unerträglich. "Die Kassen versuchen das auszusitzen", schimpft er. "Sie müssen endlich ihrer Verantwortung gerecht werden. Es geht hier um die schwerste neurologische Erkrankung, die es gibt. Da darf man die Leute nicht allein lassen."

Die Rechtslage ist eindeutig

Auch die Politik ist ungehalten. "Wir haben das Gesetz ausdrücklich erweitert, damit die Angehörigen von Wachkomapatienten und Dauerbeatmeten durch hohe Eigenanteile nicht in die Sozialhilfe abrutschen", sagt Annette Widmann-Mauz, parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Gesundheit und selbst Schirmherrin einer Einrichtung für dauerbeatmete Kinder. Die Rechtslage sei eindeutig, und auch ein Urteil des Bundessozialgerichts vom 17. Juni 2010 bestätige die Ansprüche an die Kassen. Bisher sei es jedoch noch nicht zu einer Vereinbarung über die Vergütungssätze gekommen. "Ich habe selten ein so zähes Verfahren erlebt. Da hört es irgendwann auf."

Für manche hört es nie auf. Walter Schnörr streichelt seiner Frau über die Wange. Sie hustet. "Ach Birgit", sagt er. "Jetzt darfst du bald ins Bett." Vor einigen Monaten wurde es ihm zu viel. Nachts konnte Schnörr nur noch bis ein Uhr schlafen. Danach saß er in der dunklen Küche und wartete, bis der Wecker klingelt. Irgendwann rief er seine Jungs an und sagte ihnen, dass er sich in eine Klinik einweisen lässt. Die Ärzte haben ihn aufgepäppelt, aber es zog ihn bald wieder ans Bett zu seiner Frau.

Sein Jüngster schaut fast jeden Tag vorbei, der Ältere findet nicht die Kraft, mit seiner Mutter allein zu sein. Er besucht sie nur, wenn der Vater dabei ist. Beide wohnen noch zu Hause. Einmal im Jahr kommt ihre Mutter zurück ins Dorf. Wenn Pfingstmarkt ist, wird sie in einem Behindertentransporter vom Heim gebracht. "Birgit mochte das früher so gerne", sagt Walter Schnörr und streicht ihr über die Wange.