Negative Stimmen über Waffenhersteller? Nicht so in Oberndorf am Neckar. Die Kritik an Heckler & Koch durch das ins Gerede gekommende Sturmgewehr G36 geht den Einwohnern allenfalls auf die Nerven. Sie treibt eine andere Sorge um.

Oberndorf a. N.ckar - Der Talplatz hat schon bessere Tage gesehen, soviel darf man sagen. Die Zeit scheint stehen geblieben zu sein in Oberndorf am Neckar, der 13 500 Einwohner-Stadt mit ihren fünf Gesangsvereinen und einem Sportclub, sechs Musikkapellen und drei Waffenfirmen. Irgendwann in den 1970er Jahren muss das gewesen sein. Vor dem Gasthaus Jägerhof dörren Zierpflanzen vor sich hin. Das KKK-Filmtheater kündigt seine Filme auf einer Tafel an. Allein die Kreissparkasse und das rot getünchte Bekleidungshaus leisten sich einen Anstrich von Moderne.

 

Der Talplatz markiert so etwas wie die Mitte eines Ortes, der sich durch das obere Neckartal bis hinauf zu einem Plateau windet, wo wie selbstverständlich das weiß-rote Gebäude der Firma Heckler & Koch thront, geschützt durch Natodraht und Überwachungskameras. Der Waffenproduzent ist mit 650 Mitarbeitern der größte Arbeitgeber der Stadt.

Ein Pazifist ist der meistgehasste Mensch im Ort

Die Frage ist nur: wie lange noch? Die andauernde Kritik setzt dem Unternehmen zu. Das Sturmgewehr G36 steht im Zentrum der Kritik. Es soll bei großer Hitze nicht treffsicher sein. Statt der erforderlichen 90 Prozent sinkt die Treffgenauigkeit auf sieben Prozent. Das steht in einer Studie von Experten, die Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) unter Verschluss hält. Das G36, sagt sie, habe in seiner heutigen Konstruktion keine Zukunft mehr in der Bundeswehr. Dumm ist nur, dass die Bundeswehr sich seit 1993 beliefern lässt und bereits 167 000 davon bestellt hat. Jetzt soll nachgebessert werden.

Es ist nicht erste Mal, dass das Unternehmen negative Schlagzeilen produziert. Wegen mutmaßlich unerlaubter Waffenlieferungen nach Mexiko und Libyen ermittelte die Staatsanwaltschaft Stuttgart. 2011 gab es eine Großrazzia mit 300 Beamten am Firmensitz und den Privaträumen von Vorständen. Während der Libyen-Komplex eingestellt wurde, bohrten die Behörden im Fall Mexiko weiter. Dort sollen die H & K- Waffen in vier Unruheprovinzen gelangt sein. Angeblich soll im Herbst Anklage erhoben werden. Die Firma plagen zudem Arbeitsgerichtsprozesse um fristlos entlassene Mitarbeiter.

„So wie der Talplatz ist auch die Qualität des G36“, frotzelt Jürgen Grässlin. Der Realschullehrer und Rüstungsgegner aus Freiburg ist einer der am meist gehassten Menschen in Oberndorf. Es sind Sätze wie diese, mit denen sich Grässlin in der Stadt unbeliebt macht. Da sind aber auch die vielen Anzeigen, mit denen der Friedensaktivist die Firma und ihre Verantwortlichen überzogen hat.

In einem ehemaligen Kloster beginnt die Waffenproduktion

Praktisch alle Ermittlungen gegen Heckler & Koch der vergangenen Jahre gehen auf ihn zurück. Grässlin glaubt, dass Heckler & Koch wegen der Verfahren bald am Ende ist, auch weil das von Finanzinvestoren übernommene Unternehmen im Mai des Jahres 2011 Hochzinsanleihen über fast 300 Millionen Euro aufnehmen musste und bis zum Jahr 2018 einen hohen Zins- und Schuldendienst leisten muss.

Der Talplatz ist prägend. Unweit liegt die Geburtsstätte Oberndorfs als Waffenschmiede. Im ehemaligen Augustinerkloster hatte im Jahr 1811 der württembergische König Friedrich die Königlich Württembergische Gewehrfabrik einrichten lassen. Seither lebt die Stadt mit und von der Waffenproduktion. Eine Monopolindustrie, auf die Oberndorf stolz ist.

Klaus Haischer, Rechtsanwalt und ehemaliger SPD-Landtagsabgeordneter, den man in der Apotheke um die Ecke trifft, macht da keine Ausnahme. „Ich war beim Bund, mein Sohn war es auch. Von Problemen mit dem G36 ist uns nichts bekannt. Auch nicht von Kameraden meines Sohnes, die in Afghanistan waren“, sagt der ehemalige Zweite Vorsitzende der baden-württembergischen Landesanstalt für Kommunikation (LfK).

1945 arbeiten zehntausend Menschen bei Mauser

Er sieht als Grund einen „parteipolitischen Machtkampf zwischen Frau von der Leyen und Frau Merkel“, bei dem es nur vordergründig um Heckler & Koch gehe. Die Firma sei ein Opfer von „Propaganda“, und „politischer Ränkespiele“, glaubt auch Hans-Walter Blass, Seniorchef des Zeitschriftenladens am Talplatz. Als Zugezogener identifiziert sich der 70-jährige Rheinländer wie selbstverständlich mit dem Unternehmen. Sein halbes Leben ist er schon hier.

Der Aufschwung für die Rüstungsindustrie beginnt gleich nach dem deutsch-französischen Krieg 1870/71. Die in der Gewehrfabrik ausgebildeten Brüder Wilhelm und Paul Mauser beginnen damit, Gewehre zu bauen. Zu Tausenden und Abertausenden werden sie in beiden Weltkriegen gebraucht. Ende des Zweiten Weltkrieges hat das Unternehmen mehr als 10 000 Mitarbeiter, die Hälfte davon Zwangsarbeiter.

1949 wollen die Mauser-Ingenieure Edmund Heckler und Theodor Koch das Rüstungsverbot umgehen. Sie gründen mit einem Kompagnon Heckler & Koch und liefern Waffen und Ersatzteile an Polizei, Bundesgrenzschutz und die Alliierten. Bald schon schrauben sie Gewehre für den spanischen Diktator Franco zusammen. Mauser geht 2004 in der Firma Rheinmetall auf. Dritter im Bunde ist die Firma Feinwerkbau, die Luftgewehre und Sportpistolen baut.

Säureanschlag auf Garten des ehemaligen Diakons

„Kein Mensch würde von diesem Nest Notiz nehmen, gäbe es hier nicht seit 200 Jahren Waffenproduzenten“, sagt der ehemalige Diakon Ulrich Pfaff, 77, gebürtiger Oberndorfer und der einzige Pazifist weit und breit, der sich so etwas zu sagen traut. Dem ehemaligen Botschafter von „Brot für die Welt“ ist sein Mut schlecht bekommen. Auf seinen Garten wurde ein Säureanschlag verübt. „Es gab Vandalismus“, sagt er. Den übrigen Einwohnern geht die andauernde Berichterstattung vor allem eins: auf die Nerven. Gerne reden will niemand darüber. „Wenn die die Waffen nicht liefern, dann tun es andere“, sagt die Apothekerin und zuckt mit den Schultern.

Kritik an der Firma wird, wenn überhaupt, nur versteckt geübt. Die Verkäuferin in der Metzgerei meint, dass mit den Heckler & Koch-Waffen „schon viele Menschen sterben“ müssten. Doch das sind Einzelmeinungen. „Ich habe nichts gegen die Firma. Die hat auch ihre Daseinsberechtigung“, sagt Leon, der auf seinen Bus wartet. Die meisten seiner Mitschüler aus der achten Klasse denken ähnlich wie der 14-Jährige über die Waffenfirma. Als sie das Thema Heckler & Koch im Gemeinschaftskundeunterricht besprechen wollen, winkt der Lehrer ab. Nein, danke. Kein Interesse.