Angesichts der Gespaltenheit Österreichs muss der neue Kanzler Kern Stärke zeigen, kommentiert der StZ-Autor Mirko Weber.

Manteldesk: Mirko Weber (miw)

Wien - Von Alexander Van der Bellen, dem neuen österreichischen Bundespräsidenten, zu erwarten, dass er vom 8. Juli an in Österreich mit ein paar wohlüberlegten Reden allein wieder ein Gefühl der Einigkeit und Redebereitschaft schaffen könnte, wäre vermessen. Auch wenn nicht auf einmal fünfzig Prozent der Österreicher Rechtspopulisten geworden sind, weil sie Norbert Hofer gewählt haben, so ist doch das Protestpotenzial nicht zu unterschätzen. Die FPÖ wird zu nutzen verstehen, dass sie mit einem der Ihren fast das höchste Amt hätte besetzen können.

 

Der Blick geht deswegen weniger in Richtung Van der Bellen, sondern fokussiert sich auf den neuen Bundeskanzler Christian Kern von der SPÖ. Sachlich und bestimmt, wie er bei den ersten Auftritten zu erleben war, muss er dafür sorgen, dass in Österreich bestimmte Schweigeverbote aufgehoben werden. EU-Politik und Flüchtlingsfrage wollen offen diskutiert werden, Korruption und Vetternparteiwirtschaft aufhören. Beibehaltene Gleichgültigkeit und Abgehobenheit, wie jahrelang praktiziert, würden das Ende der großen Koalition bedeuten, was im Rahmen allgemeinen politischen Großreinemachens womöglich sogar wünschenswert wäre. Käme es bald dazu, profitierte freilich vor allem die FPÖ von der brisanten Stimmungslage. Österreich wackelt bedenklich.