Die Bundestagswahl hat die CSU krachend verloren. Aber ein Sturz des Parteichefs Seehofer allein wäre für die Partei noch kein Gewinn, kommentiert Paul Kreiner.

München - Bayern ist wieder politischer geworden. An der Bundestagswahl haben 807 000 Bürger mehr teilgenommen als 2013, obwohl der Ausgang – ein hoher Sieg der CSU – festzustehen schien. Oder gerade deshalb. Den zusätzlichen Wählern ging es darum, diesen Sieg wenn nicht zu verhindern, so doch ein starkes Zeichen dagegen zu setzen: Wir sind auch noch da. Wir, die wir uns nicht einlullen lassen von Horst Seehofers pausenlosen Beschwörungen, wie schön und sicher und perfekt doch dieses CSU-regierte Bayern sei, „die Vorstufe zum Paradies“. Wir, die wir unsere eigentlichen Bedürfnisse nicht in Vollbeschäftigung und überdurchschnittlichem Wirtschaftswachstum erfüllt sehen. Wir, die wir uns vom allzu selbstsicheren Establishment überfahren fühlen und – „Jetzt red i!“ – auch mal was sagen wollen.

 

Bayern dieses Typs sind bisher zunehmend den Wahlen ferngeblieben, weil sie keine Möglichkeit sahen, ihren Unmut wirkungsvoll in Kreuzchen umzusetzen. Mit dem Auftreten der AfD hat sich das radikal geändert. Das bestätigt sich in Niederbayern, im Bayerischen Wald, wo sich die Leute immer schon abgehängt gefühlt haben und die Wahlbeteiligung stetig zurückgegangen ist auf zuletzt 60,4 Prozent: kein Interesse mehr an den nur mit sich selber beschäftigten Großkopferten; gestorben die Hoffnung, irgendwas zu verändern.

Ein Existenzproblem, kein Luxusproblem

Jetzt taucht die AfD auf, macht einen hochprofessionellen, kessen Wahlkampf – „Wir halten, was die CSU verspricht!“ –, und der Zustrom ins Wahllokal steigt auf 71,7 Prozent. Wo der Strom am stärksten anschwillt, gewinnt auch die AfD am meisten. Leicht anders als in Niederbayern ist es nur im Münchner Speckgürtel mit dem reichsten Landkreis (Starnberg) und der reichsten Gemeinde der Republik (Grünwald). Da haben die Wähler das zweite sich diesmal öffnende Fenster genutzt, um der CSU die Meinung zu sagen: da boomt die wiedererweckte FDP.

Man könnte Letzteres als Luxusproblem der CSU abtun, wenn sie selbst es nicht als Existenzproblem sähe: Bei der Landtagswahl 2018 die absolute Mehrheit zu verlieren und eine Koalition eingehen zu müssen (wie schon 2008, eben mit der FDP), davor hat die bayerische Regierungspartei nach den Worten der Politologin Ursula Münch „eine schauderhafte Angst“.

Das ist jetzt nicht die Schuld von Horst Seehofer, das ist eine eingewurzelte politische Kultur in Bayern: Du sollst, sagt die CSU dem Wähler, keine andere Partei neben mir haben. Wir machen eh alles für dich; mehr brauchst du nicht. Eine selbstherrliche Haltung wie diese aber führt zur systematischen Dialogverweigerung: mit anderen Parteien, mit dem Bürger. Dieser sucht sich dann eben eine Alternative, und diesmal hat er gleich zwei gefunden.

Die CSU muss ihre Denkweise erneuern

Es bringt also nicht viel, wenn die CSU jetzt einfach nur ihren aktuellen Vorsitzenden stürzt. Dann kommt Markus Söder. Es mag zwar sein, dass so ein Haudrauf in Nieder- und Sonstwo-Bayern mehr Beifall findet als ein Horst Seehofer im Spiegelkabinett seiner Wendemanöver und Machtspielchen. Aber was wäre der Preis, wenn jetzt auch noch ein CSU-Chef den AfD-Mann macht? „Die rechte Flanke schließen, ohne nach rechts zu rücken“, hat der glücklose Spitzenkandidat Joachim Herrmann von seiner Partei verlangt. Schwierig genug. Und dann auch noch mit einem Brachialpopulisten wie Söder?

Nein. Bayern braucht mehr und hat jetzt nach etwas anderem gerufen: nach einer Kultur des politischen Dialogs. Wenn die CSU da bestehen will, muss sie ihre gesamte Struktur und ihre Denkweise erneuern. Bis zur Landtagswahl in zwölf Monaten ist dies kaum zu schaffen. Aber das Risiko AfD sollte Antrieb genug sein, damit loszulegen. Mit den Bürgern lässt sich arbeiten: Sie interessieren sich – siehe Wahlbeteiligung – endlich wieder für Politik.