Die Wahlen zum Kongress in den USA stehen im Zeichen von Ebola. Krude Theorien und Barack Obamas Führungsstärke sind im Fokus.

Washington - Er verkneift sich das jungenhafte Lächeln, das ihn für gewöhnlich so charmant macht. Er weiß, dass er jetzt ernst wirken muss. Weil auch das verhindern kann, dass sich die Sorge seiner Landsleute in Panik verwandelt. Also verzieht Barack Obama keine Miene, als er im Weißen Haus in Washington an einem Konferenztisch sitzt, mit den Händen gestikuliert und sagt, er selbst habe keine Angst, sich anzustecken. Vor ein paar Tagen habe er ein paar Krankenschwestern in Atlanta, die sich um eine infizierte Kollegin bemühten, „die Hand geschüttelt, umarmt und Küsschen gegeben“, sagt der US-Präsident: „Und ich habe mich dabei völlig sicher gefühlt.“

 

Seit einigen Tagen arbeitet Barack Obama wieder im Krisenbewältigungsmodus. Es hat gedauert, aber nun kämpft er wieder. Seit Thomas Eric Duncan, ein 42 Jahre alter Mann aus Liberia, den Erreger eingeschleppt hat, seit sich zwei Krankenschwestern in Dallas mit dem Virus angesteckt haben, seit das US-Fernsehen von Stunde zu Stunde reißerischer über relative Nichtigkeiten berichtet, seit die Angst die Vernunft der Menschen aufzufressen droht – seither ist Ebola zum Thema Nummer eins in den USA geworden.

Vom Geschick des Präsidenten, die Krise einzudämmen, hängt es ab, ob Ebola auch die Kongresswahlen am 4. November beeinflussen wird. Gelingt es Obama bis dahin, seinen Landsleuten die Angst zu nehmen, könnten davon auch seine Demokraten profitieren. Und die haben es bitter nötig.

Obama demonstriert Führungsstärke. Foto: AP

Umfragen sagen, dass Obamas Partei auf die Mehrheit der Sitze im Repräsentantenhaus ohnehin nicht hoffen darf, aber auch die demokratische Mehrheit im Senat in Washington in größter Gefahr ist. Nur sechs Senatsposten müssen die Republikaner gewinnen, damit es so kommt. Dann müsste Obama in den letzten beiden Jahren seiner Amtszeit gegen eine republikanische Mehrheit in beiden Häusern des US-Parlaments regieren. Dann wäre er eine „lahme Ente“, wie die Amerikaner sagen, und die Konservativen könnten den Präsidenten noch mehr blockieren, als sie es in den vergangenen Jahren ohnehin schon getan haben.

Noch ist es allerdings nicht so weit. Noch kämpft Obama. In den vergangenen Wochen ist er zwar wegen seiner schlechten Beliebtheitswerte vielen Wahlkampfveranstaltungen ferngeblieben, um die Chancen der Demokraten nicht noch weiter zu schmälern, doch der Kampf gegen Ebola hat aus dem US-Präsidenten indirekt wieder einen Wahlkämpfer gemacht. Wie im Herbst 2012, als Obama auf den Jahrhundertsturm Sandy besonnen und professionell reagiert hat. Das hat damals die Umfragewerte des Präsidenten verbessert. Mühelos gelang ihm die Wiederwahl.

Seine zahlreichen politischen Gegner und einige Parteifreunde, die um die Wiederwahl fürchten, haben allerdings auch schon gemerkt, dass sich da etwas wiederholen könnte. Also werfen sie Obama vor, viel zu spät auf Ebola in den USA reagiert und schließlich noch nicht einmal ein Einreiseverbot für Flugpassagiere aus den betroffenen westafrikanischen Ländern erlassen zu haben.

Wie die Taktik der Republikaner genau aussieht, lässt sich in diesen Tagen gut im  Bundesstaat Kansas beobachten. Dort bahnt sich Unerhörtes an. „Seit 1932 haben immer nur die Republikaner Senatoren nach Washington geschickt“, sagt der Politikprofessor Mel Kahn, der an der Universität in Wichita unterrichtet. Kahn hat Erfahrung, er ist 83 Jahre alt und beobachtet seit 1970 als Hochschullehrer die politische Szene in dem Staat, der ziemlich genau in der Mitte der USA liegt. Er sagt: „Kansas ist im Grunde ein roter Bundesstaat.“ Rot ist die Farbe der US-Republikaner.  Im flachen Land der Farmer und Rancher, wo das Musical vom Zauberer von Oz beginnt, sind die Demokraten zwar geduldet, werden aber selten gewählt. Vor ein paar Wochen etwa ließ sich der demokratische Senatskandidat von der Wahlliste streichen. Er wollte sich offenbar die unausweichliche Niederlage ersparen.

Auch der amtierende Senator Pat Roberts, ein Republikaner natürlich, hat aus der konservativen Grundhaltung der Menschen in Kansas viele Jahre seine Vorteile gezogen. Er ist seit bald 50 Jahren im politischen Geschäft in Washington, seit 18 Jahren sitzt er im US-Senat. Doch dann geschah etwas, was Kansas noch nie erlebt hat: Greg Orman, ein im Vergleich zu Roberts junger Mann, kam über das Land. „Niemand hätte noch vor ein paar Wochen geglaubt, dass Roberts deswegen solche Probleme bekommt“, sagt Kahn.

Demonstranten fordern ein totales Einreiseverbot. Foto: EPA
Nun könnte es tatsächlich passieren, dass die Wählerinnen und Wähler Roberts die vierte Amtszeit im Senat verweigern. Denn seit ein paar Wochen liegt der unabhängige Kandidat Orman in Umfragen vor Roberts oder gleichauf mit ihm. An einem Mittwochabend Mitte Oktober begegnen sich Roberts und Orman im Studio des lokalen Fernsehsenders KSN in Wichita. Vor der Tür stehen ein paar Schilder am Straßenrand, die für Roberts werben, und zwei Dutzend Menschen, die für Orman sind. Ein Mann spielt Gitarre, aus einer kleinen Gruppe am Straßenrand tönt der Ruf „Orman ist unser Mann, Orman ist unser Mann“, und Barry Carroll sagt, es sei nun wirklich an der Zeit für einen Wechsel im Senat. „Ich bin an Umweltschutz und an besserer Gesundheitsfürsorge interessiert“, sagt der 67 Jahre alte Orman-Fan. Carroll hat eine Bürgerinitiative gegründet, damit in Wichita endlich Fahrradwege gebaut werden. Ein bisschen mehr Europa sei nur gut für Kansas, sagt er und seufzt: „Ich hoffe, dass Greg gewinnt. Er könnte die Blockade im Senat brechen.“

In der Tat könnte der 45 Jahre alte Unternehmer Orman so etwas wie das Zünglein an der Waage sein. Auch an diesem Abend in Wichita sagt er nicht, mit welcher der beiden Parteien er stimmen würde, sollte er in den Senat gewählt werden. Orman sagt seit Wochen, er werde sich der Mehrheit anschließen. Wenn also die Republikaner demnächst 50 Sitze im neuen Senat halten und die Demokraten nur 49, dann wäre Orman ein gefragter Mann für beide Seiten. Schlösse er sich bei Abstimmungen den Konservativen an, hätten diese 51 Stimmen und damit die Mehrheit. Stimmte er mit dem Demokraten, hätten diese die Mehrheit, weil dann die Stimme des Senatspräsidenten entscheidet – und das ist Obamas Vize Joe Biden.

Es ist gut möglich, dass es so kommt. Denn nur in den Bundesstaaten South Dakota, West Virginia und Montana sind den Republikanern die Senatssitze so gut wie sicher. In allen anderen Staaten gelten die Rennen als offen, wobei den Konservativen große Vorteile zugesprochen werden.

Senator Pats Roberts, ein Mann mit einer tonsurartigen Frisur aus grau-weißem Haar, sieht diese Gefahr. Während der einstündigen TV-Debatte in Wichita sagt er mehrfach in fast flehendem Ton: „Die Augen der Nation sind auf Kansas gerichtet.“ Die Republikaner in Washington sehen das ähnlich. Der Bundesstaat könnte entscheidend sein. So stecken sie seit einigen Wochen Millionen von Dollar in die Fernsehwerbung in Kansas und schicken ihre Prominenten in die Prärie, wo sie um Stimmen für Roberts kämpfen. Selbst Sarah Palin, die gescheiterte Vizepräsidentschaftskandidatin des Jahres 2008 und seither nur noch schrille Tea-Party-Nudel, ist schon in Kansas gewesen und hat zusammen mit Roberts Pfannkuchen bei einer Wahlkampfveranstaltung gebacken. Das hat immerhin die Umfragewerte für den Senator leicht verbessert.

In Liberia sind US-Streitkräfte aktiv. Foto: Getty Images Europe
Während der Fernsehdebatte von Wichita versucht Roberts, seinen Konkurrenten als getarnten Obama-Anhänger zu entlarven. Orman habe schließlich für die Wahlkämpfe von Barack Obama und Hillary Clinton Geld gespendet. Wie könne so jemand glaubhaft machen, dass er kein bedingungsloser Anhänger des Präsidenten sei, fragt Roberts unschuldig in die Kamera. Dass Orman sagt, er habe 2012 für den konservativen Präsidentschaftskandidaten Mitt Romney gestimmt, davon spricht Roberts allerdings nicht. Er wettert lieber weiter. Und schließlich kommt auch noch Ebola zur Sprache.

Der Moderator fragt den Senator nach seiner Meinung zum Flüchtlingsproblem an der Grenze zu Mexiko. Zehntausende von Kindern und Jugendlichen aus Mittelamerika sind dort in den vergangenen Monaten aufgefangen worden. Roberts antwortet: „Das alles geht zurück auf Isis und Ebola und die anderen Probleme, die wir an der Grenze haben.“

Noch ist zwar kein Fall dokumentiert, in dem ein islamischer Terrorist oder ein Ebola-Kranker von Mexiko aus in die USA eingereist ist, aber die Vermengung von drei unterschiedlichen Phänomenen zu einer vorgeblichen Großbedrohung der USA gehört zur Standardargumentation vieler Republikaner in diesem Wahlkampf. So behauptet Scott Brown, der republikanische Senatskandidat im Neuengland-Staat New Hampshire, die Grenze sei so porös, dass sie jeder überqueren könne. Es sei naiv zu glauben, dass „Leute mit solchen Krankheiten oder anderen Absichten, kriminellen oder terroristischen“, nicht versuchen würden, in die USA zu gelangen. Und überhaupt: hätten die Amerikaner sich 2012 mal besser für Mitt Romney als Präsident entschlossen. Der hätte Ebola besser in den Griff bekommen als Obama, sagt Brown.

Wäre Greg Orman ein waschechter Demokrat in Verkleidung, wie sein Konkurrent Roberts behauptet, dann würde er spätestens an dieser Stelle sagen müssen, dass Unfug einfach Unfug ist. Doch Orman will sich an diesem Abend in Wichita nicht in die Rolle des aktiven Obama-Unterstützers drängen lassen. Denn seine Chancen, gewählt zu werden, würden im strukturkonservativen Kansas wahrscheinlich schnell gegen null sinken. Orman weist das Argument seines politischen Gegners nicht einmal zurück. Er lässt es im Fernsehstudio verhallen und fügt schnell an: „Beide Parteien in Washington spielen Spielchen und sind nicht an Lösungen interessiert.“ Orman wirkt noch ein wenig ungelenk, wenn er spricht. Er ist noch kein versierter Politiker. Er will es erst noch werden.

Aber er weiß genau, wo die Gefahr lauert. Schließlich sagt Orman, er sei auch für ein vorübergehendes Einreiseverbot für Menschen aus den Ländern, in denen der Ebola-Virus mittlerweile zu einer Epidemie geworden ist. Auch das soll ihn abgrenzen gegen Obama. Der hatte erklärt, Einreiseverbote seien wenig hilfreich im Kampf gegen Ebola.  Orman, der schon einmal die Demokraten unterstützt hat, bevor er sich den Republikanern zugehörig fühlte, um schließlich als Unabhängiger den Sprung in die große Politik zu versuchen, hat Berührungsängste.  Verständlich. Die Mehrheit im Land findet Obamas Amtsführung inzwischen nicht mehr gut, und ob das Krisenmanagement in Sachen Ebola funktioniert, ist noch nicht ausgemacht.