Die Kandidaten um die französische Präsidentschaft, Sarkozy und Hollande, ziehen von einer kriselnden Fabrik zur nächsten – und versprechen Rettung.

Paris - Die Tour de France hat begonnen. Oder ist es die Tour de Fabriques? Frankreichs Präsidentschaftskandidaten strampeln sich jedenfalls ab. Die Route führt von einer Fabrik zur nächsten. Etappe für Etappe versprechen die Anwärter auf das höchste Staatsamt vor der Pleite stehenden Werken wundersame Rettung.

 

Das Gelbe Trikot gebührt an diesem Tag speedy Sarko, dem um ein neues Mandat kämpfenden Staatschef. Nicolas Sarkozy hat gleich drei Industriebetriebe vor dem Untergang bewahrt – wählerwirksam, im Scheinwerferlicht der Fernsehkameras, versteht sich. Einer der vom Präsidenten beehrten Pleitekandidaten ist der Solarzellenhersteller Photowatt. „Ihr seid gerettet“, verkündet Sarkozy der Belegschaft. Im grauen Anzug steht der Rechtsbürgerliche im Neonlicht einer wellblechgedeckten Werkshalle, ballt die Faust, wie Revolutionäre es tun. Aus den Blicken der zum Redner aufschauenden Angestellten spricht ungläubiges Staunen. Zum Zeichen der Skepsis verschränkt eine Arbeiterin die Hände vor der Brust, setzt ein spöttisches Lächeln auf.

Doch es stimmt. Sarkozys Gefolgsmann Henri Proglio, Chef des Energieriesen EdF, hat die Rettung möglich gemacht. Proglio will tun, was er noch im Januar entrüstet von sich gewiesen hat. Er will den unrentablen Solarzellenhersteller übernehmen.

Mitarbeiterinnen recken Handys in die Höhe, um den Moment der Erlösung festzuhalten. „Wir haben Glück im Unglück, es ist Wahlkampf“, sagt die 26-jährige Angestellte Alexia Chappond. Auch Laurent Troude zückt die Kamera. „Eine faszinierende Mischung aus Abscheu und Anziehung“ hat der Fotograf der Zeitung „Libération“ auf den Gesichtern der Beschäftigten ausgemacht. „Selbst diejenigen, die Sarkozy nicht wählen werden, wollen ihn jetzt fotografieren, seine Hand berühren“, sagt Troude und drückt auf den Auslöser.

Dessous-Näherinnen machen künftig Handtaschen

Beim bankrotten Wäschehersteller Lejaby war Bernard Arnault eingesprungen, ein Freund des Präsidenten und der Chef des Luxusgüterkonzerns LVMH. Ein Lieferant der Konzerntochter Louis Vuitton wird die 90 Dessous-Näherinnen Lejabys nach einer Umschulung als Handtaschenschneiderinnen einstellen. Zum Lohn erhält der Zulieferer auf Jahre hinaus lukrative Aufträge von Louis Vuitton.

Bei der Raffinerie Petroplus, wo 450 Arbeitsplätze gefährdet sind, hat Sarkozy zwar nicht die Rettung verkündet, aber er hat den Beschäftigten des am 10. Januar stillgelegten Werks Ende Februar die frohe Kunde überbracht, dass es für sie dank eines Auftrags des Ölmultis Shell noch einmal für sechs Monate Arbeit geben wird. „Mein Job ist, Hoffnung zu machen“, so hat der Staatschef seine Mission erläutert. „Ich werde zurückkommen, ich gebe nicht auf.“

„Na also, es geht doch“, mag sich da der Wähler sagen. „Wenn die Politik will, kann sie uns vor den Grausamkeiten der Globalisierung bewahren.“ Zumal die anderen Kandidaten dieselbe frohe Botschaft überbringen. Wer in der Krise am überzeugendsten Schutz verspricht, wird die Wahl gewinnen. Die Anwärter auf das höchste Staatsamt sind davon samt und sonders überzeugt. Und sie handeln danach.

Marine Le Pen, die Chefin des rechtspopulistischen Front National, kündigt an, sie werde um Frankreich Brandmauern hochziehen. Das Böse kommt von draußen, suggeriert sie. Mit Zollschranken und einem Ausstieg aus dem Euro will sie ihm wehren.

Auf der anderen Seite des politischen Spektrums gebärdet sich der Linksaußen Jean-Luc Mélenchon nicht minder protektionistisch. Nach einem Abstecher zu einem wenig rentablen Peugeot-Werk offenbart der Kandidat der Front der Linken in einem Seitenflügel des Pariser Grand Palais, wie er seinen Landsleuten „das Elend der Globalisierung“ zu ersparen gedenkt. Rote Krawatte, dichte Brauen, störrisches Haar, raue Stimme – alles an diesem Mann signalisiert: Ich bin ein Draufgänger. Seine Botschaft passt zum Erscheinungsbild. Wer die Produktion in Billiglohnländer auslagert und Beschäftigte auf die Straße setzt, soll nach Mélenchons Willen strafrechtlich belangt werden.

Der Sozialist François Hollande liebt es feinsinniger. Ironisch lächelnd bekundet er seine Verwunderung darüber, dass der Staatschef erst kurz vor Ende seiner Amtszeit durch die Lande ziehe, um Arbeitsplätze zu retten. „Ist da eine Vision?“, fragt der von den Meinungsforschern als Favorit im Präsidentschaftsrennen ausgewiesene Elitehochschulabgänger und gibt selbst die Antwort: „Nein, da ist nur Kalkül.“

Das abschätzige Urteil über den an Fabriktoren klingelnden Rivalen hindert den 57-Jährigen allerdings nicht, ebenfalls Not leidende Unternehmen aufzusuchen. Bei der kriselnden französischen Filiale des Getränkegiganten Pepsi macht er Station, zieht weiter zum von der Schließung bedrohten Arcelor-Mittal-Werk im ostfranzösischen Florange. Die Hochöfen der Stahlschmiede sind erloschen. Vor dem Werkstor brennen stattdessen Autoreifen. „Retten Sie uns, Monsieur Hollande“, schallt es dem Kandidaten entgegen. Der Sozialist verspricht, ein Gesetz ins Parlament einzubringen, wonach Großunternehmen, die eine Produktionsstätte schließen wollen, einen Käufer zu suchen haben. „Was dem 1. FC Barcelona Messi ist, das sind Sie für uns“, bekommt Hollande zum Dank zu hören.

Allein ein paar Wirtschaftsexperten und Unternehmer stören die von den Präsidentschaftskandidaten inszenierte Idylle arbeiternaher Politik. Die Fachleute versichern, mit spektakulärer Nothilfe sei dem chronischen Übel mangelnder Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Industrie nicht beizukommen. 900 französische Unternehmen seien demnach in den vergangenen drei Jahren pleitegegangen. Die durch politisches Krisenmanagement geretteten Firmen lassen sich an einer Hand abzählen. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 9,8 Prozent, Tendenz steigend.

Der Staat soll in zukunftsträchtige Branchen investieren

Der Ökonom Jean-Louis Levet rät, eine langfristige industriepolitische Strategie zu entwickeln. „Seit Mitte der achtziger Jahre gibt es so etwas in Frankreich leider nicht mehr“, klagt Levet. Ein der Regierung nahestehender Unternehmer empfiehlt im Schutz der Anonymität: anstatt die Anpassung der französischen Industrie an den Weltmarkt zu sabotieren, solle der Staat lieber mehr in zukunftsträchtige Branchen investieren.

Die Kandidaten hören weg. Sie mögen das politische Schicksal Lionel Jospins vor Augen haben. Der Sozialist hatte 1999 von Stellenkürzungen bedrohten Mitarbeitern des Reifenherstellers Michelin staatlichen Schutz versagt. „Der Staat kann nicht alles“, beschied der damalige Premier die Beschäftigten. Die Absage kam ihn teuer zu stehen. Mit dem Makel unterlassener Hilfeleistung zog er 2002 in den Präsidentschaftswahlkampf und schied in der ersten Runde aus. Anstatt des Sozialisten gelangte der Rechtspopulist Jean-Marie Le Pen in die Stichwahl. Der Großteil der einst der Linken verbundenen Arbeiterschaft war zu ihm übergelaufen.