Gegner des Bahnprojekts S 21 haben Sigmar Gabriel am Dienstag bei einer Wahlkampfveranstaltung ausgepfiffen. Der SPD-Chef hielt dagegen. Es gebe auch noch ein paar Themen „außer das, was mit dem Bahnhof passiert“.

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

StuttgartSigmar Gabriel ist ein großer Freund der verbalen Attacke. Geradezu mit Wollust stürzt sich der Bundeswirtschaftsminister und Vizekanzler bei Wahlkampfveranstaltungen auf den Gegner, wenn er Druck verspürt. Am Dienstag auf dem Stuttgarter Schlossplatz bekam Gabriel mächtig Druck. Mehrere Dutzend Stuttgart-21-Gegner bereiteten ihm bei der SPD-Veranstaltung zur Europawahl einen lautstarken Empfang. „Gut, dass sie in einem Land leben, in dem man seine Meinung frei sagen kann“, rief Gabriel der skandierenden Menge entgegen, die ihm mit einem lauten Johlen antwortete.

 

Doch Gabriel war noch lange nicht fertig. Die ersten zehn Minuten seiner rund halbstündigen Rede arbeitete er sich an den S-21-Gegnern ab, die in dieser Zeit einige verbale Breitseiten einstecken mussten. Es gebe auch noch Themen auf dieser Welt, die wichtiger seien als ein Bahnhof, rief er. „Lügenpack, Lügenpack“, kam das Echo zurück.

Immer wieder setzte er zu seiner Europarede an, konnte sein Redetemperament dann aber doch nicht zügeln. „Helfen Sie mit, dass am 25. Mai…“, begann er, wurde gestört und setzte dann neu an: „Die Art und Weise, wie sie hier mit Andersdenkenden umgehen, ist das Gegenteil von dem Europa, das ich mir wünsche.“

Doch Sigmar Gabriel ist ein Politikprofi und erkennt sehr genau, wie er selbst bei seinen Gegnern punkten kann. Also warb er in Stuttgart zuerst nicht dafür, dass die Menschen ihre Stimme den Sozialdemokraten geben sollen. Er redete den Menschen ins Gewissen, überhaupt zur Wahl zu gehen. Das sei der beste Schutz gegen die Populisten, die in vielen Ländern der Europäischen Union immer weiter an Boden gewinnen. Hier sprach Sigmar Gabriel der Europäer, nicht der SPD-Wahlkämpfer. Die Rechtspopulisten hätten nichts in einem demokratischen Parlament zu suchen, so Gabriel. Er wolle nicht, dass im nächsten europäischen Parlament ein deutscher Abgeordneter der NPD eine Brandrede halte. In diesem Moment verstummte der lautstarke Protest der S-21-Gegner für einige Augenblicke.

Gabriel bittet S-21-Gegner, wiederzukommen

Das war für Gabriel das Zeichen, nun über Europa zu sprechen. Eine hohe Wahlbeteiligung sei auch wichtig, damit die russische Regierung merke, dass Europa im Konflikt um die Ukraine zusammenstehe und sich nicht spalten lasse, wo Bürgerkrieg und die Verletzung von Menschenrechten drohten, sagte Gabriel. „Das ist das wichtigste Signal, das wir senden wollen.“

Eher professionell spulte der SPD-Vorsitzende schließlich den Rest seiner Rede herunter. Dass die Exportnation Bundesrepublik Deutschland der Gewinner der Europäischen Union sei, dass die Finanzmärkte reguliert werden müssten, dass ein Unternehmen dort Steuern zahle, wo es Gewinne mache. Er gehöre der ersten Generation an, die in Frieden in Europa geboren worden sei und in Frieden sterben werde. Am kommenden Sonntag müsse jeder zeigen, dass Europa für diese Werte auch einstehe.

Am Ende seines Auftritts konnte es sich der SPD-Vorsitzende dann nicht verkneifen, fast schelmisch grinsend noch einmal zum Angriff gegen die Stuttgart-21-Demonstranten überzugehen. „Wenn ich das nächste Mal komme, kommt unbedingt wieder. Ich bin besser, wenn ich solche Leute vor mir habe.“