In den Städten und Gemeinden kommt es jetzt auch auf die Stimmen der Jugendlichen an. Wer als Bürgermeister oder Gemeinderat kandidiert, muss um die Stimmen der 16- und 17-Jährigen werben. Denn die reden plötzlich mit.

Stuttgart - Jugendliche können künftig schon mit 16 Jahren an Kommunalwahlen teilnehmen. Das hat der baden-württembergische Landtag am Donnerstag mit der grün-roten Regierungsmehrheit beschlossen. Innenminister Reinhold Gall (SPD) nannte es „wichtig, die jungen Menschen in die Entscheidungsprozesse einzubeziehen“. Nirgends sonst lasse sich das besser bewerkstelligen als auf kommunaler Ebene. Dort gebe es viele Bezugspunkte zu den Jugendlichen: „Bildung, Sport, Kultus und all diese Dinge.“ CDU und FDP lehnten die Reform hingegen ab.

 

Die Neuregelung bezieht sich indes allein auf das aktive Wahlrecht. Mit Vollendung des 16. Lebensjahres können Jugendliche an den Wahlen zu den Gemeinde- und Ortschaftsräten, zu den Kreistagen und im Raum Stuttgart zur Regionalversammlung teilnehmen. Ebenso verhält es sich mit der Bürgermeisterwahlen sowie mit Bürgerentscheiden. Die erste Gelegenheit bietet sich bei der OB-Wahl in Singen (Kreis Konstanz) am 30. Juni. Junge Stuttgarter dürfen nächstes Jahr bei der Kommunalwahl zum ersten Mal ihr Kreuz machen.

Aktives Wahlrecht, passives Wahlrecht

Das passive Wahlrecht jedoch bleibt auch weiterhin mit der Volljährigkeit verbunden: Wählen lassen kann man sich erst mit der Vollendung des 18. Lebensjahres. Baden-Württemberg folgt dem Vorbild von sechs Bundesländern, zu denen etwa Nordrhein-Westfalen zählt. Innenminister Gall wies darauf hin, dass mit dem Wahlrecht auch Pflichten verbunden sind, womit er zum Beispiel die Verpflichtung als amtlicher Wahlhelfer in der Gemeinde meinte.

Die CDU zeigte sich mit der Gesetzesnovelle nicht einverstanden. Der Abgeordnete Alexander Throm monierte, dass Grün-Rot „das aktive und das passive Wahlrecht auseinanderreißen“. Zudem bleibe es bei Wahlen zum Landtag, zum Bundestag und zum Europaparlament weiterhin beim Alter von 18 Jahren. „Sie schaffen ein Wahlrecht erster und zweiter Klasse“, monierte Throm. Es gebe genügend andere Möglichkeiten, die jungen Leute an der politischen Willensbildung zu beteiligen. Auch die Junge Union folgte der Parteilinie. Das Wahlrecht sei an die Volljährigkeit geknüpft, sagte JU-Landeschef Nikolaus Löbel. „Wir dürfen demokratische Wahlen aber nicht zur Spielwiese werden lassen.“ Grün-Rot betreibe lediglich Symbolpolitik. Der Landesjugendring hingegen sprach von einem „wichtigen und notwendigen Schritt, um junge Menschen besser zu beteiligen.“

Das Gesetzespaket der grün-roten Koalition sieht noch einige weitere Änderungen vor. So wird die einst auf Druck der FDP eingeführte Regelung, welche Doppelkandidaturen eines Bewerbers in zwei Wahlkreisen für dieselbe Partei oder Wählervereinigung ermöglichte, wieder abgeschafft. Der FDP-Abgeordnete Ulrich Goll kritisierte, damit begebe man sich der Möglichkeit, Wahllisten attraktiv zu gestalten und auch Frauen verstärkt zu berücksichtigen. Dagegen sprach die Regierungskoalition von einer Verzerrung des Wählerwillens, wenn ein Kandidat in zwei Wahlkreisen antrete. Es handle sich um eine ungerechtfertigte Bevorzugung kleiner Parteien, die bei Kandidatenknappheit bekannte Bewerber in zwei Wahlkreisen platzieren konnten.

Mehr Frauen in die Kommunalparlamente

Schließlich fügte die grün-rote Koalition auch eine Soll-Regelung in die Kommunalgesetze ein, die mehr Frauen in die Kreistage und Gemeinderäte tragen soll. Das Ganze zielt darauf ab, dass die Wahllisten der Parteien und Vereinigungen in gleicher Zahl Frauen und Männer berücksichtigen, und zwar im Reißschlussverfahren: Frau, Mann, Frau, Mann etc. Nicht etwa in der Form, dass die Männer auf den vorderen Plätzen stehen, die Frauen aber mit den hinteren Listenplätzen vorlieb nehmen müssen.

Allerdings wird im Gesetz ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Beachtung dieses Grundsatzes „nicht Voraussetzung für die Zulassung eines Wahlvorschlags“ sei. Die Regelung ist dem Umstand geschuldet, dass nur 22 Prozent der Gemeinderatsmandate von Frauen wahrgenommen werden. In den Kreistagen sind es sogar nur 16 Prozent Frauen. In 30 Gemeinderäten im Land sind überhaupt keine Frauen vertreten. Im Ländervergleich liegt Baden-Württemberg damit auf dem letzten Platz.

Ursprünglich hatten die Grünen, aber auch frauenpolitische Kräfte in der SPD auf eine verbindliche Regelung gedrungen. Schließlich verpflichtet Artikel drei des Grundgesetzes zur „tatsächlichen Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern“. Dagegen steht das Parteienprivileg nach Artikel 21 des Grundgesetzes. Der Grünen-Abgeordnete Andreas Schwarz sprach von einem „klaren Appell“, mit dem die Chancen für Frauen, auf einen guten Listenplatz verbessert würden. Zufrieden zeigte sich am Ende auch Nikolaos Sakellariou (SPD, der in der Reformdiskussion auf die Verfassungswidrigkeit einer Muss-Regelung hingewiesen hatte.