Was ist Mobbing? Diese Frage stellen Jugendliche der alevitischen Gemeinde Winnenden in einem Theaterstück im Waiblinger Kulturhaus Schwanen. Das Schauspiel ist ein Kooperationsprojekt mit dem Kreisjugendring Rems-Murr.

Waiblingen - Ja, das ist ja mal wieder klar, dass die Paris in der ersten Reihe sitzt“, beschwert sich lautstark ein Mädchen hinten im Saal des Kulturhauses Schwanen. Die Angesprochene, die durch ihr feines blaues Kleid als Kind aus wohlhabendem Hause zu erkennen ist, äußert sich daraufhin herablassend über die Kleidung und die Intelligenz der Pöblerin, die einen pinkfarbenen Kapuzenpulli zu einer schwarzen Jeans und Turnschuhen trägt. Und schon sind die Zuschauer im voll besetzten Saal mitten in der Handlung des Theaterstücks drin, das eine Gruppe Jugendlicher der alevitischen Gemeinde Winnenden zum Thema Mobbing aufführt.

 

Im weiteren Verlauf doziert ein Junge über die Unterschiede der Kontrahentinnen: „Wir sehen hier den klassischen Tätertyp mit strubbeliger Frisur und nachgemachten Schuhen“, sagt er und weist auf das Mädchen im pinken Pulli. „Die Eltern Harz-IV-Empfänger – wo nichts ist wird eben nichts.“ Das typische Problem der Förderung eben, meint er und wendet sich dann der jungen Schönen zu, der aufgrund ihres Aussehens und ihrer Kleidung sicherlich „eine erfolgreiche Biografie“ bevorstehe. Daraufhin geht er mit ihr von der Bühne ab. Die anfängliche Pöblerin bleibt zurück – allein und verlassen. Ihr tieftrauriger Blick spricht mehr als tausend Worte, macht den Schmerz in ihr durch die soziale Ausgrenzung den Zuschauern deutlich. Die vermeintliche Täterin wird zum Opfer.

Erfahrungen der Jugendlichen verarbeitet

Auch wenn die Szenen des Theaterstücks erfunden seien, so spiegelten sie doch Erfahrungen wieder, welche die Jugendlichen selbst gemacht hätten, erklärt Ruhsar Aydogan. Die Autorin und Schauspielerin hat das Stück geschrieben und mit den Mädchen und Jungen im Alter von neun bis 18 Jahren einstudiert. Es ist das zweite Schauspielprojekt, das sie mit den Jugendlichen der alevitischen Gemeinde Winnenden in Zusammenarbeit mit dem Kreisjugendring Rems-Murr umsetzt. „Von den Eltern kam der Wunsch, etwas über Mobbing zu machen“, berichtet Ruhsar Aydogan. Daraufhin habe sie mit ihren jugendlichen Darstellern das Thema angesprochen und „schnell gemerkt, dass da vieles im Argen liegt“. In Einzelgesprächen tastete sie sich heran. „Dabei sind auch Tränen geflossen“, erzählt Aydogan. Weinend habe ihr ein Mädchen zum Beispiel davon berichtet, dass es, nur weil es Türkin sei, von Mitschülern gemobbt werde.

Aydogan sammelte die Erfahrungen und die Gedanken der Mädchen und Jungen zu dem Thema. Heraus gekommen ist ein Stück, das Mobbing in seiner Vielschichtigkeit darstellt, das zeigt wie Kinder allein durch ihre soziale oder kulturelle Herkunft oder ein paar Gramm zu viel auf den Rippen zum Ziel von Sticheleien und Gehässigkeiten werden und das die Frage mit dem Umgang damit aufwirft.

Das Stück verändert die jungen Darsteller

Doch das Stück sensibilisiert nicht nur die Zuschauer für Diskriminierungen im Alltag – auch unbedachte – sondern es hat auch die jungen Darsteller selbst verändert. „Vorher war meine Tochter eher ruhig und schüchtern und hat sich lieber im Hintergrund gehalten“, berichtet Jacqueline Dogan. Doch jetzt sei die Zwölfjährige sehr viel selbstbewusster geworden. „Wie sie da heute auf der Bühne auf dem Tisch getanzt hat, einfach toll“, meint Dogan stolz, die ebenfalls an dem Stück mitgewirkt hat. „Sie ist dadurch so gewachsen und nicht nur sie, auch die anderen Jugendlichen.“