Am 1. April 1963 hat Jürgen Riha seine Mechanikerlehre bei Stihl in Waiblingen angetreten. Jetzt ist er mit einem großen Fest von der Geschäftsleitung und dem Oberbürgermeister der Stadt für 50 Jahre Betriebszugehörigkeit geehrt worden.

Rems-Murr : Frank Rodenhausen (fro)

Waiblingen - Anderthalb Stunden noch. Dann werden sie alle eintreffen: die aktuellen Manager des Kettensägenimperiums, die Seniorchefs, die Familie Stihl, verdiente Ehemalige, der Waiblinger Oberbürgermeister. Alles ist gemäß den Wünschen von Jürgen Riha vorbereitet: Die etwa 30 privaten Gäste sind ein-, der Jazzpianist, der bei ähnlichen Anlässen üblicherweise spielt, ist ausgeladen. Riha hat sich einen Alleinunterhalter gewünscht, nun kommt auch einer. Der Stihl-Chor hat fünf seiner Lieblingsvolkslieder einstudiert. „Es kommen die lustigen Tage“ ist sinnigerweise darunter. Die Tischkärtchen sind platziert, die goldene Nadel mit drei Brillanten liegt bereit. Einzig die firmeneigenen Köche sind etwas enttäuscht. Es hat keinerlei Budgetvorgabe gegeben: sie hätten zaubern können, was immer Jürgen Riha gewollt hätte – er hat sich Flädlessuppe und Schlachtbraten mit Pilzen und Spätzle gewünscht.

 

Aufgeregt? „Ah wa“, sagt der Mann, der gleich für seine 50-jährige Betriebszugehörigkeit geehrt wird, „was wellet Se wissa?“

Direkt nach dem Hauptschulabschluss, 15 Jahre jung, ist Jürgen Riha „Stihlianer“ geworden. 1963, am 1. April – „kein Scherz“, wie er schmunzelnd betont – hat er seine Mechanikerlehre angetreten. Sein Leben hat die Firma sogar noch früher geprägt. Wenn sie beim Spielen im Bärentäle um 16.45 Uhr die Sirene hörten, die das Arbeitsende in der Kettensägenfabrik einläutete, war das auch für die Kinder ein Signal: höchste Zeit, um nach Hause zu gehen.

An den Tag seiner Bewerbung will sich der Mann, dem der Schalk aus den Augen blitzt, noch gut erinnern können. „Die Frau vom Andreas Stihl hat gesagt: was für ein süßer Kerle.“ Der erste Lehrtag hingegen war von einer kleinen Ungeschicklichkeit überschattet. In der Kantine bespritzte Riha seinen Lehrmeister mit Soße. Die Fleischspieße hatten nicht so recht runtergehen wollen. „Kerle, du fängst ja gut an“, habe der Lehrmeister gesagt, ihm den Fauxpas aber ebenso wenig nachgetragen, wie manchen Streich, den ihm die Lehrlinge gespielt hätten.

Überschaubarer sei die Arbeit bei Stihl damals gewesen, sagt Riha heute. Zwar beschäftigte die Firma schon mehr als 900 Mitarbeiter, aber es gab nur ein einziges Werk. „Man hat fast jeden gekannt.“ Wie für alle anderen auch dauerte der Dienst in der Qualitätskontrolle der Härterei von 7.45 bis 16.45 Uhr, 48 Stunden die Woche waren das normale Pensum, zehn bis zwölf Tage Urlaub wurden tarifgetreu gewährt.

Alle drei Generationen der Inhaberfamilie hat Jürgen Riha erlebt. Auch den Firmengründer Andreas Stihl. „Wenn man den mal in der Wirtschaft getroffen hat, hat er einen ausgegeben.“ Auch im Berufsalltag gab es Kontakt. „Er ist immer durch die Abteilungen gegangen und hat nach seinen Leuten geschaut.“

Natürlich habe sich der Konzern verändert, sagt Riha, der auch gut zehn Jahre lang Betriebsrat gewesen ist. An seinem eigenen Arbeitsplatz habe er geschätzt, dass der Computer die aufwendige Karteikästenarchivierung ersetzt habe. Nur die E-Mails, die mag er bis heute nicht leiden. „Wenn es ein Problem gab, hab’ ich lieber direkt mit den Leuten geschwätzt.“

Brand im Stihlwerk selbst gelöscht

Seine zupackende Art ist vor rund 20 Jahren ganz besonders geschätzt worden. In einem Keller des Werks war ein Salzbad in Brand geraten. „Die haben gewusst, dass ich bei der Waiblinger Feuerwehr bin“ – mittlerweile schon 48 Jahre lang –, „als sie angerufen haben, hab ich gesagt: dann komm ich halt gschwind.“ Mit einer Atemschutzmaske und drei Feuerlöschern verhinderte er ganz allein eine mögliche Katastrophe. „Die Jeans, die dabei drauf ging, hat mir die Firma ersetzt.“

Weit regelmäßiger hat Jürgen Riha ein zweites privates Talent in die Firma eingebracht. Mehr als 30 Jahre lang engagierte sich der frühere Amateurliga-Torwart des VFR Waiblingen als Sportwart der Stihl-Betriebssportgruppen. Nicht nur das Andreas-Stihl-Gedächtnis-Fußballturnier, zu dem alle drei Jahre auch die Auslands-Werksmannschaften anreisen, hat er aus der Taufe gehoben, sondern sich auch darum gekümmert, dass anderen Sportarten Trainings- und Wettkampftermine eingeräumt wurden. In 18 Sparten können sich die Mitarbeiter mittlerweile austoben – von Angeln über Tischtennis und Golf bis zum Zweitakt-Rollerrennen.

Rihas persönliches sportliches Idol war wohl nicht von ungefähr Petar Radenkovic. Der jugoslawische Keeper war einer der ersten ausländischen Spieler, der Anfang der 1960er-Jahre in die deutsche Fußball-Bundesliga wechselte. Riha ist deshalb bis heute ein treuer Fan des TSV 1860 München.ć „Der Radi war wie ich: immer ein bisschen Theater und Spaß gemacht – und natürlich ziemlich gut“, sagt Riha und zwinkert. „Ich bin halt keiner, der zum Lachen in den Keller geht.“

Und dann schaut er doch verstohlen auf die Uhr. Die Feier zu jenem Ereignis, das in der gesamten Firmengeschichte erst sieben Mitarbeiter erreicht haben, steht an. Wie schafft man es, 50 Jahre Arbeitsleben durchzuhalten? „Die Kollegen waren einwandfrei – und wenn mir was nicht gepasst hat, dann hab ich das gesagt.“

Seinen Arbeitsplatz hat Jürgen Riha schon geräumt, nur zum Fototermin kehrt er noch einmal kurz dahin zurück. In einer Woche wird er 65, den Geburtstag feiert er im Resturlaub, am 31. Mai ist offiziell Schluss. Was ist das für ein Gefühl nach 50 Jahren? „Ein bisschen komisch schon“, räumt er ein, „die letzten Jahre nach der 40er-Ehrung gingen so schnell vorbei.“ Aber auch nach dem heutigen Abend ist das Kapitel Stihl noch nicht abgeschlossen. Auch als Rentner wird man zu Festen immer wieder eingeladen. Einmal Stihlianer, immer Stihlianer.