Zehn Prozent der Flächen im Staatsforst werden stillgelegt. Diese Refugien sind für Insekten, Vögel und Kleinsäuger reserviert. Der Staat verzichtet allein im Rems-Murr-Kreis auf rund 750 000 Euro, pro Jahr.

Rems-Murr/ Ludwigsburg: Martin Tschepe (art)

Backnang - Der Revierförster Jochen Bek und sein Chef, der Kreisforstamtsleiter Martin Röhrs, stehen mitten im Wald oberhalb von Backnang-Strümpfelbach und inspizieren ein Areal, das mancher Laie bestimmt nicht als Vorzeige-Forst bezeichnen würde. Ganz im Gegenteil: umgefallene Stämme liegen kreuz und quer herum. Die meisten Bäume sind ziemlich genau 15 Jahre alt, sie sind hier unmittelbar nach dem Jahrhundertsturm „Lothar“ gewachsen, der am zweiten Weihnachtsfeiertag 1999 über das Land gefegt war und nahezu alle alten Bäume umgeworfen hatte.

 

Ein paar dieser alten Buchen und Kiefern stehen noch, manche sehen nicht gut aus, einige sind bereits abgestorben. Richtig aufgeräumt hat hier oben im Staatswald ganz bewusst niemand. Jochen Bek schaut nur noch selten vorbei, fällt eventuell mal einen Stamm, weil dieser auf den Weg zu fallen droht. Doch auch so ein Stamm bleibt dann im Wald liegen.

Das Land auf Einnahmen von rund 750 000 Euro, pro Jahr.

Warum das denn, Holz ist doch wertvoll, der natürliche Rohstoff gefragt bei Häuslesbauern, Möbelproduzenten und Besitzern von Kaminöfen? Stimmt, sagt Martin Röhrs. Seit Januar 2015 müssen im Staatsforst im Rems-Murr-Kreis aber fünf Prozent der Flächen als Waldrefugien ausgewiesen werden, Areale wie jene oberhalb von Strümpfelbach. Und dazu noch mal fünf Prozent sogenannte Habitatbaumgruppen – das sind kleinere Waldparzellen mit Bäumen, die Kleintieren wie Insekten, Vögeln und Kleinsäugern Unterschlupf bieten, etwa weil Höhlen in den Stämmen sind.

„Der Forst Baden-Württemberg lässt sich den Artenschutz was kosten“, sagt Röhrs. Allein im Rems-Murr-Kreis verzichte das Land auf Einnahmen von rund 750 000 Euro, pro Jahr. Der Staatsforst im Landkreis ist rund 15 500 Hektar groß, die vorgesehenen 1550 Hektar sind bereits größtenteils stillgelegt.

„Wir denken halt in ganz langen Zeiträumen.“

Die Waldrefugien seien auf Dauer angelegt, und auch die Habitatbaumgruppen würden mehrere Jahrzehnte erhalten bleiben. „Wir denken halt in ganz langen Zeiträumen“, erklären der Revierförster und sein Vorgesetzter. Die Stilllegungsflächen werden zwar in Karten markiert, aber nicht veröffentlicht, man keinen Ökotourismus will. Die Kleinstlebewesen sollen möglichst ungestört bleiben. Was kreucht und fleucht denn in den Refugien? „Das sind Käfer, deren Namen nur die Experten kennen, Urwaldreliktarten“, sagt Jochen Bek. Man könnte spöttisch fragen, ob ein Fehlen solcher Arten überhaupt bemerkt würde.

Vermutlich nicht, so Bek. „Aber wir haben eine Gesamtverantwortung.“ Mit der Ausweisung der Waldrefugien reagiere das Land auf die Artenschutzvorgaben der Europäischen Union, sagt Martin Röhrs. Die Krabbeltiere sowie deren Eier und Larven seien Nahrung, beispielsweise für viele Meisenarten. In den Wäldern im Ländle werde schon immer Wert gelegt auf Nachhaltigkeit, so Röhrs. Andernfalls wären jene Arten, die jetzt noch besser geschützt werden sollen, vermutlich längst verschwunden.

„Global betrachtet ist die Ökobilanz schlecht.“

Röhrs sieht indes auch Nachteile, die sich aus immer mehr Schutzgebieten im heimischen Forst ergäben: Die Nachfrage nach Holz werde nicht sinken, bereits heute werde Holz aus Ländern importiert, die schlechte oder fast keine Umweltstandards einhielten. Global betrachtet sei die Ökobilanz also schlecht, und „das stinkt mir“.

Waldreicher Rems-Murr-Kreis

Fläche
Der Rems-Murr-Kreis ist mit rund 34 000 Hektar Forst (davon 15 500 Hektar Staatsforst) der waldreichste Kreis in der Region. 39 Prozent der Fläche ist bewaldet, im Nachbar-Landkreis Ludwigsburg sind lediglich 18 Prozent der Fläche bewaldet. In ganz Baden-Württemberg gibt es nur drei Kreise mit mehr Wald als im Rems-Murr-Kreis.

Forsteinrichtung
Die Waldrefugien werden im Rahmen der sogenannten Forsteinrichtung ausgewiesen. Forsteinrichtung steht für Betriebsregelung und ist damit ein Führungs- und Planungsinstrument für den Forstbetrieb. Die Landkreise im Land planen nicht alle parallel, deshalb müssen die Waldrefugien nicht allerorten zeitgleich ausgewiesen werden.