Elmar Goerden bringt zum Saisonauftakt am Nationaltheater Mannheim Friedrich Schiller auf die Bühne. heraus kommen vier Stunden brave Klassikpflege mit hilflos aufgesexten Regieeinfällen.

Bauen/Wohnen/Architektur : Nicole Golombek (golo)

Mannheim - Wenn ein Intendant seinen Spielplan vorstellt und den „Wallenstein“ ankündigt, winken die Damen im Ensemble enttäuscht ab – Schauspielfutter für männliche Kollegen. Nicht so am Samstag im Mannheimer Nationaltheater.

 

Elmar Goerden, von nächster Saison an voraussichtlich häufiger auch wieder in Stuttgart zu sehen, wie der designierte Stuttgarter Schauspielchef Burkhard C. Kosminski angekündigt hat, hält es anders. In seiner Inszenierung des Schiller-Dramas spielen zwar nur drei Frauen mit, aber sie erhalten große Rollen: Wallenstein, Octavio und Max Piccolomini. Im Gegenzug verkörpern Männer Damen: Wallensteins Tochter, seine Gattin und Gräfin Terzky.

Kerle, die auf Stiefel spucken

Damit ist aber schon Schluss mit dem Geschlechtertausch. Die soldatischen Haudegen, Wallensteins getreue Mannen sowie der Höfling des Kaisers werden klassisch mit Herren besetzt. Warum? Gibt es nicht genügend Damen im Ensemble? Auch für Octavio Piccolomini wurde ein Gast verpflichtet, die wunderbare Annelore Sarbach. Oder meinen Dramaturgie und Regie, echte Kerle müssten von echten Kerlen gespielt werden? Pappkameraden, die nicht lange fackeln, sondern handeln, auf ihre Stiefel spucken und sie voller Inbrunst mit Bürsten bearbeiten und lieber gestern als heute wieder in den Kampf zögen? Die Piccolominis sind dagegen ja eher Intriganten (Octavio) oder Bedenkenträger (Max), die an Wallensteins Untergang mitwirken. Das wäre einigermaßen sexistisch – was das Männer- und das Frauenbild betrifft.

Man hätte womöglich weniger über diese Inkonsequenz und bemühte Anbiederung ans Trendthema Gender gerätselt, wenn das Konzept funktioniert hätte. Und wenn einige Schauspieler nicht vor allem nur viel Mühe darauf verwendet hätten, irgendwie weiblich, irgendwie männlich zu spielen. Goerdens Inszenierung gerät immer wieder unfreiwillig komisch, auch weil die männlichen Darsteller zum Chargenspiel neigen.

David Müller als Wallensteins Tochter Thekla stehen der Hosenanzug (die eleganten Kostüme stammen von Lydia Kirchleitner) und die langen Haare gut; das hat Conchita-Wurst-Appeal (ohne Bart). Doch was für eine Frau stellt er dar? Seine Thekla starrt wahlweise wütend. Oder zittert wie Espenlaub, wenn sich der Geliebte Max Piccolomini nähert. Zu diesem aufrechten, arglosen Soldaten und Wallensteins Darling fällt Katharina Hauter kaum mehr ein, als hüftsteif und vornübergebeugt über die Bühne zu marschieren. Klaus Rodewald wiederum genießt seinen Auftritt als Gräfin Terzky und schüttelt mit weibischer Wonne die Zopfperücke, dass es eine Lachlust ist.

Ragna Pitoll spielt den Superhelden Wallenstein

Diese Aktualisierung durch Geschlechtertausch wirkt umso bemühter, als Regisseur Elmar Goerden und Dramaturg Ingoh Brux eine gute Fassung des mächtigen Textes über den Dreißigjährigen Krieg gelungen ist, an dem Schiller so viele Jahre gearbeitet hatte und der 1799 in Weimar erstmals zu sehen war. In der knapp vierstündigen Inszenierung in Mannheim konnte ohne Verlust selbst der Astrologe Seni fehlen.

Fast ohne auf selbst ernannte Heilsbringer der jüngeren Geschichte anzuspielen, wird Wallenstein durchaus ambivalent gezeichnet. Mit einem leichten Zittern der Hand und einer gelegentlich ins Gesicht fallenden schwarzen Haarsträhne deutet Wallenstein-Darstellerin Ragna Pitoll an, worum die Inszenierung kreisen soll – die Frage, ob Charismatiker nicht mehr Unheil als Heil über die Welt gebracht haben. Pitoll interpretiert Wallenstein als pragmatischen, sich seiner Macht allzu selbstgewissen Führer, der (anders als der Kaiser) den Frieden will, aber auch die Macht. Er ist einer, der nicht laut zu werden braucht, um seine Autorität zu beweisen.

Dass Wallenstein schon zu Beginn des Dramas verloren ist, weil er dem Hofe nicht mehr dienen will, sich aber nicht von Freunden, dem Haudegen Illo (Jacques Malan) und Graf Terzky (Stefan Reck), beraten lassen will, wird in guten Szenen klar. Sein Hamlet’sches Zögern, seine Gedankenspiele – „Kühn war das Wort, weil es die Tat nicht war“ – zwingen ihn zu fatalem Handeln.Und auch Annelore Sarbachs Octavio Piccolomini merkt man an, dass es dem von Wallenstein so geliebten Mann schwerfällt, Pflicht über Neigung zu stellen, Wallenstein zu hintergehen. Sarbach spielt aber auch fein, wie heimlich lüstern sie darauf schielt, selbst die Macht zu übernehmen.

Über weite Strecken hätte man die Inszenierung allerdings auch in ein Tonstudio verlegen können, denn die Bühne forciert ein statisches Spiel. Bühnenbildner Silvia Merlo und Ulf Stengl haben eine Art ins Vertikale gekipptes Labyrinth gebaut, bestehend aus Platten, die auf- und zuschiebbar sind. Sie erinnern vage an Schilde, die Krieger vor der Brust tragen, um sich vor dem Feind zu schützen. Man kann vor den Platten hin- und hergehen, sich dahinter verstecken, mal von einer Etage weiter oben nach unten schauen, doch mehr als mal einen Tisch auf die Bühne zu knallen oder mit Klappstühlen zu hantieren ist nicht möglich. Auch der mit viel Theaterblut zelebrierte Mord von Buttler (Edgar M. Böhlke) an Wallenstein hilft da nicht über den Eindruck hinweg, vier Stunden letztlich braver Klassikerpflege mit hilflos aufgesexten Regieeinfällen beigewohnt zu haben.

Info zum Regisseur Elmar Goerden

Regisseur
Elmar Goerden, Jahrgang 1963, in Viersen (Nordrhein-Westfalen) geboren, soll Hausregisseur am Schauspiel Stuttgart werden, wenn dort von der Saison 2018/19 an Burkhard C. Kosminski Schauspielintendant wird. Goerden war schon einmal in Stuttgart Hausregisseur, damals leitete Friedrich Schirmer die Schauspielsparte der Württembergischen Staatstheater. Seine Inszenierung von Karl Philipp Moritz’ „Blunt oder Der Gast“ aus dem Jahr 1995 wurde zum Berliner Theatertreffen eingeladen, ebenso sein „Iwanow“ von Anton Tschechow (1996). Von 2005 bis 2010 leitete Elmar Goerden das Schauspielhaus Bochum, seither arbeitet er als freier Regisseur.

Dichterfürsten zum Saisonauftakt

Mannheim startete mit Schillers „Wallenstein“ in die Saison, im Schauspiel Stuttgart beginnt die Spielzeit mit Schillers Freund Goethe. Stephan Kimmig inszeniert „Faust I“. Premiere ist am 7. Oktober. Goerdens vierstündige Inszenierung von Friedrich Schillers Drama „Wallenstein“ ist am Nationaltheater Mannheim an diesen Tagen zu sehen: 30. September, 1. 14., 18., 31. Oktober. Kartentelefon: 0621/1 68 01 50. www.nationaltheater-mannheim.de