Noch vor der Sommerpause will Ministerpräsident Kretschmann die Inhalte und die Arbeitsstruktur des Strategiedialogs festlegen, der den Wandel der Autoindustrie begleitet. Der Rückgang von Verbrennungsmotoren betrifft längst nicht nur Autobauer.

Chefredaktion: Anne Guhlich (agu)

Stuttgart - Wenn es darum geht, wie sich der Wandel in der Automobilindustrie auf die Unternehmen im Land auswirkt, geht der erste Blick in die Richtung der Automobilhersteller und der zweite zu den Zulieferern. Weniger intensiv beachten viele hingegen die Auswirkungen des Umbruchs auf eine weitere baden-württembergische Schlüsselbranche: den Maschinenbau. „Dabei steht auch für unsere Firmen einiges auf dem Spiel“, sagt Dietrich Birk, Geschäftsführer des Maschinenbauverbands VDMA in Baden-Württemberg mit Sitz in Stuttgart.

 

„Die Autoindustrie ist für den Maschinenbau die wichtigste Abnehmerbranche“, sagt Birk. Bundesweit hat der Maschinenbau im vergangenen Jahr 220 Milliarden Euro umgesetzt. Mehr als zehn Prozent der Erlöse kommen aus der Autoindustrie.

Um die Folgen des Wandels auf die Wirtschaft in Baden-Württemberg auszuloten und das Land als einen Treiber bei der Elektromobilität zu positionieren hat der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) einen sogenannten Strategiedialog ins Leben gerufen. Nach einem ersten Treffen im Mai soll noch vor der Sommerpause der geplante Ausbau der Ladeinfrastruktur in trockene Tücher gebracht werden und die Arbeitsstruktur definiert werden. Auch Birk ist Teil des Strategiedialogs.

Große Abhängigkeit bei Werkzeugmaschinenherstellern

Er weist darauf hin, dass besonders bei den Werkzeugmaschinenherstellern eine große Abhängigkeit von der Autoindustrie besteht. Sie machen fast die Hälfte ihres Umsatzes mit den Autobauern und deren Zulieferern. „Und da die Hälfte der Werkzeugmaschinen- und Präzisionswerkzeughersteller in Baden-Württemberg sitzt, ist dieses Bundesland besonders betroffen“, sagt Birk. Der grundlegende Wandel hin zur Elektromobilität wirkt sich auf diese Branche überdurchschnittlich stark aus, sagt auch Jürgen Dispan, Sozialwissenschaftler am Stuttgarter IMU-Institut. „Wenn der Verbrennungsmotor mittelfristig vom Elektroantrieb abgelöst wird, dann werden sich die Produktionsprozesse und Maschinenkonzepte der Automobilindustrie radikal verändern und in Summe werden weniger zerspanende Werkzeugmaschinen benötigt“, so Dispan.

Zu den wichtigsten Fertigungsverfahren, die unter dem Überbegriff Zerspanen zusammengefasst sind, zählen Drehen, Fräsen, Bohren und Schleifen.

In 20 Jahren müssten vielleicht nur noch für wenige Baureihen Zylinder gefräst oder Kurbel- und Nockenwellen gedreht werden, so der Experte. Beides aber seien Bereiche, in denen baden-württembergische Werkzeugmaschinenhersteller weltweit führend seien, sagt Dispan.

Ein Elektromotor mit seinen 200 Teilen ist mit der Komplexität eines Verbrennungsmotors mit 1400 Teilen nicht zu vergleichen. Bei der Produktion des Antriebsstrangs für das Elektroauto insgesamt liegt beispielsweise die Zerspanungsleistung um rund 70 Prozent unter dem Verbrenner, so Dispan. „Denn der elektrische Antriebsstrang weist wesentlich weniger mechanisch hoch beanspruchte Komponenten und deutlich weniger rotierende Bauteile auf. „Bei vielen Werkzeugmaschinenherstellern höre ich eine zunehmende Beunruhigung.“

Nicht nur Risiken, auch Chancen

Was den Maschinenbau insgesamt angeht, sieht Birk allerdings auch neue Möglichkeiten in der Elektromobilität. „Die deutschen Maschinen- und Anlagenbauer sehen Chancen darin, ihr Marktfeld im Bereich der Batterieproduktion zu erweitern“, sagt er.

Dabei helfen die Kompetenzen im Bereich der Misch- und Beschichtungstechnik sowie der Assemblierung. Die Batterie gilt als das Herz der Elektroautos – auf sie entfällt 30 bis 40 Prozent der Wertschöpfung eines E-Fahrzeugs. Rund 70 Prozent der Wertschöpfung der Batterie wiederum macht die Batteriezelle aus. Bereits jetzt sind viele Unternehmen beim Thema Batterieproduktion gut im Geschäft – allerdings international, vor allem in Korea, China, USA, Polen und Ungarn.

„Ein privates Investment in Deutschland in eine Großserien-Batteriezellproduktion gibt es bisher leider nicht“, sagt Birk. „Wir bedauern dies ausdrücklich. Eine Zellproduktion in Deutschland wäre sehr zu begrüßen, vor allem wegen kurzer Wege, einem engen Austausch und der kulturellen Nähe, da die Entwicklung der Anlagen in starker Kooperation mit den Zellherstellern erfolgt.“ Er befürchtet, dass der Industrie hierzulande die Zeit davonläuft. „Eine Batteriefabrik für Großserie aufzubauen, dauert bis zu vier Jahre“, gibt er zu bedenken. Er plädiert daher für eine zügige Entscheidung. „Wir Maschinenbauer appellieren an die Automobilhersteller, sich zusammen zu setzen und Lösungen zu finden, bevor der Zug abgefahren ist. Mit seiner Forschungsinfrastruktur, seinen Autoherstellern, Zulieferern und Maschinen- und Anlagenbauern ist der Standort Baden-Württemberg für die Batterieproduktion prädestiniert.“

Doch auch in der Optimierung des Verbrennungsmotors stecke weiter Potenzial, sagt Birk, er dürfe daher nicht vernachlässigt werden. Die Fokussierung einiger Märkte auf Batteriefahrzeuge, in Zusammenhang mit der Tatsache, dass nicht alles mit Batterien lösbar ist – so zum Beispiel im Schwerlastverkehr – berge nachhaltige Chancen für den Technologieführer Deutschland in diesem Bereich. „Der Maschinenbau sieht in der Optimierung der Kombination von Verbrennungs- und Elektromotor weiter große Chancen für weltweit wettbewerbsfähige Mobilitätskonzepte“, ergänzt Birk.