Ist der Waffengang unausrottbarer Teil des Menschendaseins? Anmerkungen aus gegebenem Anlass.

Stuttgart - Von dem preußischen Militärtheoretiker Carl von Clausewitz stammt der Satz: Wer in einen Krieg hineingeht, sollte bedenken, wie er wieder herauskommt. Man darf davon ausgehen, dass der französischen Regierung nach dem islamistischen Angriff auf Paris nicht danach zumute ist, strategische Klassiker zu lesen, sondern dem in seiner Seele verwundeten Volk Handlungsfähigkeit vorzuführen. Deshalb sagt Premierminister Manuel Valls: „Wir sind im Krieg“ und folgt damit der Vorgabe seines Staatspräsidenten Hollande, der derzeit darum bemüht ist, eine Kriegskoalition zustande zu bringen. Vorbild ist die amerikanische Regierung, die sich nach 9/11 um ein Mandat des UN-Sicherheitsrates bemühte und dann mit den Partnern einen Feldzug in Afghanistan führte. Der ging bekanntlich verloren.

 

Es ist also nicht so einfach mit dem Krieg. Die Zeiten sind jedenfalls vorbei, da Bismarck 1866 zum preußischen Außenminister Graf Bernstorff sagten konnte: „Ich bin in der Lage, binnen Wochen einen deutschen Bruderkrieg bester Qualität zu liefern.“ Damals waren die Staaten noch die Herren des Krieges und konnten bestimmen, wann, wo und gegen wen sie Krieg führen wollten. Paradox gesagt: Der Krieg, dessen Zweck es war, die Ordnung der Gegenseite zu zerstören, war dabei auf Ordnung bedacht. Das wirkt bis heute nach.

Wer legt die Regeln fest?

Wir reden uns immer noch ein, unsere politischen Institutionen hätten der Gewaltbereitschaft des Menschen Fesseln angelegt, die so wirksam sind, dass Gewalttätigkeit als kriminell bestraft wird, aber die von Staaten ausgeübte Gewalt nur in Form zivilisierter Kriegführung auftritt. Dabei galt als Voraussetzung, dass kriegerische Handlungen nach festgelegten Regeln ablaufen, und selbstverständlich wurde vorausgesetzt, dass Kriege einen Anfang und ein Ende haben. Bis dahin war es aber ein schwerer Weg.

Der Mensch ist ein potenziell gewalttätiges Wesen und hat immer schon Kriege geführt. Nicht von ungefähr ist die schriftlich überlieferte Weltgeschichte weitgehend Kriegsgeschichte. Die rechtliche Einhegung des Krieges war eine große Herausforderung. Den Durchbruch brachte der Dreißigjährige Krieg, an dessen Ende sich der holländische Völkerrechtler Hugo Grotius um eine Definition des gerechten und ungerechten Krieges bemühte. Die Konzentration der Gewalt auf das Militärische ist kennzeichnend für das Kriegsmodell, wie es sich in Europa unter den Bedingungen des Westfälischen Friedens seit 1648 entwickelt hat. Grotius konnte sein berühmtes „pax finis belli“ notieren, der Frieden beendet den Krieg.

In der Zeit der Aufklärung wuchs die Hoffnung, der menschliche Fortschritt werde die Kriege zum Verschwinden bringen. Immanuel Kants Schrift „Zum ewigen Frieden“ fußte auf der Vorstellung, dass der Geist des Kriegs gegen den des Handels und Tausches zwischen den Völkern auf Dauer nicht bestehen könne. Aber dann kam Napoleon, der den Krieg zum Mittel der Politik schlechthin erhob. Zum Fürsten Metternich sagte er 1813 in Dresden: „Ein Mensch wie ich pfeift auf das Leben einer Million Menschen.“

Was schon Clausewitz wusste

Die napoleonischen Kriege haben den preußischen Offizier Carl von Clausewitz stark beeinflusst. Auf russischer Seite nahm er an den Befreiungskriegen teil und hat die Schlacht von Borodino miterlebt. Er wusste also, was Krieg bedeutet, und er hätte dem Votum des nordamerikanischen Generals William Tecumseh Sherman, der im Bürgerkrieg die Stadt Atlanta hatte niederbrennen lassen, zugestimmt: „Der Krieg ist die Hölle.“ In seinem Buch „Vom Kriege“, das als Standardwerk in den Kriegsakademien weltweit eingeführt ist, analysiert Clausewitz schonungslos das Wesen des Krieges. Er sei, schrieb er, auf drei Ebenen aufgebaut: „Brutalität, Kreativität, Rationalität. Dabei war ihm klar, dass die Brutalität im Vordergrund stand, denn er definierte: „Der Krieg ist ein Akt der Gewalt, und es gibt in der Anwendung derselben keine Grenzen.“

Zu sagen, was und wie der Krieg wirklich sei, hielt er für unmöglich. Er nannte ihn ein „Chamäleon, das sich fortgesetzt seinen Umweltbedingungen anpasst“. Dass es mit dem Kriegswesen einmal zu Ende gehen könnte, nahm er ebenfalls nicht an. Als wäre es für die Situation von heute geschrieben, formulierte er: „Selten ist in Europa überall Frieden, und nie geht der Krieg in den anderen Welten aus.“

Der im 19. Jahrhundert aufkommende Nationalismus trieb die Staaten dazu, aufzurüsten. Damals kam der Satz auf: „Der Friede ist stets nur um Haaresbreite vom Krieg entfernt.“ Die Nationen fühlten sich verpflichtet gegenzusteuern und kamen in der Haager Konvention von 1899 und 1907 überein, ihre unbegrenzte Freiheit, über Krieg und Frieden zu entscheiden, vorsichtig einzuschränken. Nach dem Ersten Weltkrieg, der es vor allem an Rationalität hatte fehlen lassen, einigte man sich im Kellogg-Pakt von 1928 darauf, alle Streitigkeiten mit friedlichen Mitteln zu regeln. Die Charta der Vereinten Nationen hat diese Formulierung übernommen.

Trügerischer Glauben

Gleichwohl – der Geist der westlichen Kriegführung sollte sich als trügerisch erweisen. Zwischen 1914 und 1918 sah es so aus, als führten Deutsche, Franzosen und Engländer den Krieg um des Krieges willen. Aber er kostete mehr Ressourcen und Opfer, als die kriegstreibenden Mächte sich hatten vorstellen können. Der Erste Weltkrieg beendet die globale Vorherrschaft Europas mit entsprechenden Auswirkungen auf die dann später so genannte Dritte Welt. Und der Zweite Weltkrieg vollendete das Zerstörungswerk, das der Erste begonnen hatte. Aber immerhin, in Europa ist der Geist der Konfrontation durch den der Zusammenarbeit ersetzt worden. Im Alltag der Menschen spielten Krieg und Gewalt über viele Jahre hinweg keine besondere Rolle. Zwar bedeuteten die Atomwaffen des Kalten Krieges keineswegs das Ende aller Kriege, aber die großen Mächte verharrten in „gegenseitig gesicherter Zerstörungsfähigkeit“.

Die Flut des Krieges war längst auf die Länder der Dritten Welt übergeschwappt und hatte dort die Militarisierung vorangetrieben. Das brachte meist keine Befreiung, sondern die Verfestigung repressiver Systeme. Die Meinung des Westens, hier einzugreifen und zu einem „Arabischen Frühling“ beitragen zu müssen, hat vielfach nur zu zerfallenden Staaten geführt, in denen sich die Gruppierungen einnisten, die eine Angriffsfähigkeit gegen die Wohlstandszonen der nördlichen Staaten entwickeln. Das Mittel ist der Terrorismus. Was Terroristen eigentlich angreifen, ist die labile psychische Infrastruktur der westlichen Welt. Damit wollen sie Schrecken verbreiten, der umso intensiver um sich greift, je größer die mediale Dichte des angegriffenen Landes ist. Der Terrorismuskenner Walter Laqueur sagt: „Der Angriff auf Europa bringt größeres Echo.“ Das dient der Selbstbehauptung von Gruppierungen wie dem Islamischen Staat. Er inszenierte die Anschläge auf Paris, und dafür nun will Frankreich gegen ihn Krieg führen.

Aber ist der IS überhaupt ein Staat, dem man den Krieg erklären kann? Oder wertet man ihn damit nicht auf und macht Schurken zu Kombattanten mit völkerrechtlichem Status? Der französische Historiker Marcel Gauchet ist für verbale Abrüstung und empfiehlt: „Bekämpfen wir die fundamentalistische Gewalt für das, was sie ist, ohne ihr eine Macht zuzusprechen, die sie nicht hat.“