Etwa 11 000 Beschäftigte aus Baden-Württemberg und Bayern sind nach Gewerkschaftangaben am Montag für eine bessere Bezahlung auf die Straße gegangen. Und der Streik könnte weitergehen.

Stuttgart - Etwa 11 000 Beschäftigte aus Baden-Württemberg und Bayern sind nach Gewerkschaftsangaben am Montag für eine bessere Bezahlung im Sozial- und Erziehungsdienst auf die Straße gegangen. An den Protestzug schloss sich eine Kundgebung auf dem Stuttgarter Schlossplatz an – es war eine der größten Demonstrationen, die es jemals bundesweit in dem Bereich gegeben hat. Im Südwesten blieben rund 700 Kitas geschlossen, weil sich 9000 Beschäftigte an dem eintägigen Warnstreik beteiligten. Im Sozial- und Erziehungsdienst sind zu 95 Prozent Frauen tätig – diese weibliche Oberhoheit zeigte sich auch bei der Kundgebung.

 

In Stuttgart blieben laut Stadt 161 der 187 Kindergärten zu. Acht Einrichtungen hatten teilweise, 15 ganz geöffnet. Insgesamt seien 1546 städtische Mitarbeiter im Warnstreik gewesen, etwas mehr als beim ersten Ausstand am 19. März. In drei Einrichtungen betreuten die Eltern ihre Kinder selbst. Einige städtische Mitarbeiter nutzten das Angebot der Stadt, ihre Kinder zum Arbeitsplatz mitzubringen. Aber viele Eltern mussten improvisieren. Zum Beispiel Nora Kopp: Die im Einzelhandel Beschäftigte ist mit ihrem fünfjährigen Sohn Adrian zum Schlossplatz gekommen und hat noch ein anderes Kind mitbetreut. „Ich habe Minusstunden genommen, weil ich keine Urlaubstage mehr übrig habe.“ Für den Streik habe sie Verständnis: „Ich streike ja auch“, sagt die Betriebsrätin – „das ist die einzige Möglichkeit, wie wir uns wehren können“.

Die Belastungen sind höher geworden, sagt eine Erzieherin

Natascha Hieulle-Behler ist mit einem ihrer vier Kinder aus Offenburg angereist. „Ich bin nicht mehr bereit, so weiterzumachen“, sagt die Erzieherin. Ihre Bereitschaft und die ihrer Kollegen, an einem längeren Streik teilzunehmen, sei gewachsen: „Die Belastungen sind höher geworden, die Erwartungen auch. Früher waren wir eine Betreuungseinrichtung, jetzt sind wir eine Bildungseinrichtung und müssen die Entwicklung der Kinder stärker dokumentieren: Das finde ich gut, auch den Orientierungsplan – aber bitte mit mehr Personal und mehr Vorbereitungszeit.“

Von gestiegenen Anforderungen berichten ebenso zwei Erzieherinnen, die mit ihren Kolleginnen in neun Bussen aus München gekommen sind: „Wir sind auch Sprachlehrer, Therapeuten, Psychologen, Bildungsvermittler – das Berufsbild hat sich stark verändert.“ Andrea Pfrommer und ihre Kolleginnen aus Calw betonen, dass „Qualität in der Betreuung eine Aufwertung verdient“. Angesichts einer vierjährigen qualifizierten Ausbildung lasse die Eingruppierung beim Gehalt „schwer zu wünschen übrig“. Die davon betroffenen Eltern stünden „voll dahinter“.

Ein Rapper bringt die Forderungen auf den Punkt

Mit einem mitreißenden Rap rockten Toba Borke und der Beatboxer Pheel den Schlossplatz und brachten das Thema auf den Punkt: „Soziale Berufe werden unterschätzt und wir fordern: Aufwertung jetzt.“ Auf der Bühne wurden Pfleger und Erzieher stellvertretend mit einer roten Schärpe geehrt. Sie berichteten aus ihrem Alltag, in dem hohe Flexibilität und Belastbarkeit gefordert sei – „nur in der Aufwertung hat sich noch nichts getan“, sagt Patricia De Moraes aus einer Stuttgarter Einrichtung.

Auch der Hauptredner heizte die Stimmung an: Verdi-Chef Frank Bsirske drohte mit dem Arbeitskampf für den Fall, dass die am Montag gestartete zweitägige Tarifverhandlungsrunde in Offenbach keine Fortschritte bringt: Die kommunale Arbeitgebervereinigung (VKA) würde die Gewerkschaft hinhalten, moniert Bsirske. Der Handlungsbedarf werde verneint, alles bleibe im Ungefähren. „Wenn die Arbeitgeber so weiter machen, stellen sie die Weichen auf Streik – dann lassen sie uns keine andere Wahl als die Urabstimmung.“

Bsirske: Frauen wie Facharbeiterinnen bezahlen

Am Verhandlungstisch verlangt Verdi eine Neuregelung der sogenannten Tätigkeitsmerkmale, was den bundesweit 240 000 Beschäftigten im Schnitt zehn Prozent höhere Gehälter bescheren soll. Bsirske schilderte, dass ein Mitarbeiter, der den Hof kehre, in der bayerischen Metallindustrie mit 2194 Euro im Monat bezahlt werde, und ein Berufseinsteiger erhalte dort nach einer abgeschlossenen Ausbildung 2800 Euro. Ein ähnliches Gehalt erhielten allerdings auch Leitungskräfte von Kindertagesstätten. Ein Facharbeiter in der Automobilindustrie dürfe nicht ein doppelt so hohes Einkommen beziehen wie eine Erzieherin. „Jetzt sind wir dran“, betont Bsirske . „Es geht darum, die Frauen wie pädagogische Facharbeiterinnen zu bezahlen.“

Als „Arbeitgeber-Märchen“ und „Irreführung der Öffentlichkeit“ wies Bsirske die Feststellung der Gegenseite zurück, dass die Erzieherinnen seit 2009 bereits Gehaltssteigerungen von mehr als 30 Prozent bekommen hätten. Denn vom Tarifergebnis vor sechs Jahren, das in einem langen Streik erkämpft wurde, hätte das Gros der Beschäftigten nicht profitiert. Vielmehr seien lediglich die 2005 vorgenommenen Verschlechterungen für jüngere Mitarbeiter ausgeglichen worden.

Alles deutet auf ein Scheitern der Gespräche hin

Die VKA hat noch einen weiteren Verhandlungstermin für den 11./12. Mai angeboten, den Verdi offenbar aber nicht mehr wahrnehmen will. Somit deutet alles darauf hin, dass die Verhandlungskommission an diesem Dienstag in Offenbach das Scheitern der Gespräche feststellen wird.