Bezirksbeiräte können wenig entscheiden. Trotzdem engagieren sich darin Leute wie Peter Mielert und Roland Schmid leidenschaftlich und ehrenamtlich. Was treibt sie an?

Digital Desk: Sascha Maier (sma)

Stuttgart - Bei der jüngsten Bundestagsdebatte hat die Opposition der Regierung wieder mal eine „Arroganz der Macht“ vorgeworfen. Die konterte mit einem „unwürdigen Gerangel“, das die „Fundamentalopposition“ da im Parlament veranstalte. Auch wenn Peter Mielert und Roland Schmid eine Meinungsverschiedenheit haben, fliegen oft die Fetzen. Arroganz haben sie sich gegenseitig schon etliche Male unterstellt. Das Gremium, in dem sie sitzen, ist der Bezirksbeirat in Bad Cannstatt. Hier wird nicht über Freihandelsabkommen oder Mietrechtsreformen gestritten, sondern über Dinge wie die Höhe eines Bordsteins, die Farbe eines Schirmes, den Wildwuchs eines Busches.

 

Der Grünen-Politiker Peter Mielert und der CDU-Mann Roland Schmid können sich leidenschaftlich streiten. Und selbst wenn Bordsteine, Schirme und Büsche einen angemessenen Anlass dafür liefern könnten, so bringt das Gezänk doch recht wenig. Denn die Bezirksbeiräte, was sie nicht gerne hören, haben fast nichts zu entscheiden und nur eine beratende Funktion. Ob der Bordstein in der Waiblinger Straße also abgesenkt wird oder nicht, entscheidet der Gemeinderat oder – wenn es dem nicht wichtig genug ist – die Stadtverwaltung allein.

Dennoch kochen nicht nur in Bad Cannstatt, sondern im Beirat jeder der 23 Stuttgarter Stadtbezirke die Emotionen regelmäßig hoch. Warum treffen sich, je nach Größe des Stadtbezirks, zehn bis zwanzig Menschen etwa einmal im Monat, um oft stundenlang und bis in den späten Abend hinein Sachverhalte zu debattieren, auf deren Ausgang sie nur indirekt Einfluss nehmen können? Und das alles ehrenamtlich?

Politik gleich nach dem Frühstück

„Weil wir es als Bürger, die seit Jahren vor Ort leben, oft einfach besser wissen als die Verwaltung“, sagt Peter Mielert von den Grünen. Er sitzt seit 1980 im Bezirksbeirat Bad Cannstatt. „Wirkliche Ambitionen, höhere politische Ämter zu bekleiden, hatte ich nie.“ Zwar kandidierte der in Münster geborene Architekt zweimal für den Landtag, „aber nur pro forma“ – bei seinem schwachen Listenplatz damals. Geschenkt.

Mielert fühlt sich wohl in der Stadtteilpolitik. Der 69-Jährige ist mittlerweile Pensionär, empfängt in seinem Häuschen in Bad Cannstatt nahe der Haltestelle Ebitzstraße. Heimelig hat er es da: viel Holz, viel Grün, ein Apfelbäumchen im Garten, Urlaubsouvenirs, Bücher, etwas abgenutztes Geschirr auf dem Tisch, ein wenig Kunst an den Wänden. Haufenweise Zeitungen und andere Papierstapel, Ordner und Mappen.

Ein bis zwei Stunden täglich wende er für sein soziales Engagement im Bezirksbeirat auf, sagt er. Gleich nach dem Aufstehen um halb acht geht’s los. „Dazu kommen etwa zwei Abendveranstaltungen pro Woche zu politischen Themen“, sagt Mielert. Wenn im Bezirksbeirat mit Verve gestritten wird, kann so eine Sitzung gerne mal vier Stunden dauern. Nicht nur in Cannstatt ist die Nummer eins unter den ewigen Streitthemen: der Stellenwert von Autofahrern und Fahrradfahrern, Parkraum kontra Grünflächen. „Ich halte die Diskussionen auch für unsinnig. Aber die CDU fängt immer wieder damit an und feilscht um jeden Parkplatz.“

Im Beirat Stuttgart-Mitte können sich die Räte auch schon mal über den Verkehr in der Theodor-Heuss-Straße in Rage reden und die komplette Sperrung der Straße fordern. Und wenn die Vorsitzende dann argumentiert, die Theo sei eine Bundesstraße, und das Bundesverkehrsministerium werde sich wohl kaum um den Willen eines kleinen Bezirksbeirats scheren, stößt das in diesem Moment auf taube Ohren. Hauptsache, erst mal Luft ablassen.

Mehr als 500 Sitzungen in 30 Jahren

Peter Mielert hat in mehr als dreißig Jahren Bezirksbeirat mehr als 500 Sitzungen mitgemacht. Auch in Bad Cannstatt gab es kaum eine, in der es keinen Streit über die Bevorzugung unterschiedlichster Verkehrsteilnehmer gab. Dennoch: „Wir haben viel erreicht“, sagt Mielert. So hätten er und seine Mitstreiter in den 70er Jahren geholfen, den Erhalt des Klösterles zu sichern, später den Erhalt der Villa Streicher in der Neckarvorstadt. Und vor fünf Jahren habe man letztlich den Gemeinderatsbeschluss gekippt, der den Abriss des Friedrich-List-Heims in der Theodor-Veiel-Straße vorsah. „Das waren alles große Erfolge.“

Manchmal dauert es mit diesen großen Erfolgen auch etwas länger. Zum Beispiel, wenn es darum geht, den Straßenverkehr am Neckarufer zu beruhigen. „Ich hatte diese Vision bereits in den frühen 80er Jahren“, sagt Mielert. Seit 2014, also mehr als 30 Jahre später, ist die Hofener Straße zumindest an Sonn- und Feiertagen für Autos gesperrt.

Häufig spielt auch die Stadtverwaltung eine Rolle, wenn es zu Verzögerungen kommt. Mielert holt eine Liste hervor. In einer Spalte steht das Datum des jeweiligen Antrags, in der anderen das Datum der jeweiligen Beantwortung durch die Verwaltung. Laut der Gemeindeverordnung muss sie das eigentlich innerhalb von zwei Monaten hinbekommen. Im ersten Halbjahr 2016 hat sie es bisher nur bei einem Drittel der Anträge geschafft. „Was aus den Gedenktafeln in Erinnerung an die ehemalige Synagoge in der König-Karl-Straße werden soll, wollten wir eigentlich 2014 wissen“, sagt Peter Mielert. Die Antwort steht immer noch aus.

Der Umgang mit der Stadtverwaltung dürfte einer der wenigen Punkte sein, in denen sich Peter Mielert und sein Kontrahent Roland Schmid von der CDU im Cannstatter Bezirksbeirat einig sind. „Es wird Zeit, dass unser Gremium mehr Befugnisse bekommt“, findet Schmidt. Der 60-Jährige hat mit einiger Zeit Unterbrechung, als er Gemeinderatsmitglied war, 15 Jahre im Bezirksbeirat verbracht. Seinen wöchentlichen Aufwand verbunden mit der ehrenamtlichen Tätigkeit in dem Gremium beziffert er auf zehn Stunden. Es war das Thema Verkehr, das den Verwaltungsjuristen beim Kultusministerium in die Politik gebracht hat.

Nur ein Laberclub?

Eines seiner Herzensprojekte von damals, den Ortskern Bad Cannstatts mit einer Verbindung zwischen Benzstraße und Augsburger Straße zu entlasten, wurde bis heute nicht realisiert. „Sowohl von manchen Ämtern als auch von einigen Bürgern werden wir als Laberclub wahrgenommen“, weiß Roland Schmid. Deshalb sei es auch schwierig, die Leute für einen Posten in diesem Gremium zu begeistern: „Wenige Entscheidungsbefugnisse wirken auf viele leider wenig motivierend.“

Sinnlos findet Schmid die Arbeit im Bezirksbeirat durchaus nicht. Nach den Erfolgen seines Gremiums befragt, fallen dem gebürtigen Cannstatter zwar erst nur Kleinigkeiten wie „Wenn mal was mit der Höhe eines Randsteins nicht stimmte“ ein. Mit dem Bau des Rosensteintunnels oder dem Anstoß, die Stadtbahnlinie U 12 zu verlängern, was jetzt umgesetzt wird, erinnert er sich dann aber auch an größere Vorhaben, die von Erfolg gekrönt waren.

Bad Cannstatt ist mit 70 000 Einwohnern Stuttgarts größter Stadtbezirk, der Sitzungssaal im Bezirksrathaus ist mit Mikrofonen und fortschrittlicher Technik besser als ein durchschnittliches Klassenzimmer ausgestattet. Die Bezirksbeiräte Plieningen mit 12 500 Einwohnern und Birkach mit knapp 7000 Einwohnern haben es da nicht ganz so komfortabel. Sie tagen gemeinsam im Bezirksrathaus Plieningen. Historische Bausubstanz wie in Bad Cannstatt gibt es dort eher weniger. Entsprechend ist die Tagungsräumlichkeit – vorsichtig ausgedrückt – schmucklos: ein kahles Zimmerchen mit niedrigen Decken im ersten Obergeschoss.

Von Hinterzimmer zu Hinterzimmer

Dass sich Mitglieder des einen Bezirksbeirats mit Wortmeldungen in die Angelegenheiten des anderen einmischen, ist keine Seltenheit. Von Beobachtern wurde das Treiben auch schon mit dem eines Wirtshauses verglichen. Namensschilder gibt es keine, was es für Außenstehende schwierig macht, der Debatte zu folgen. Aber mehr als eine Handvoll Besucher, meistens betroffene Anwohner, sind bei den Sitzungen ohnehin nicht zu erwarten. Es gibt auch Wander-Bezirksbeiräte, etwa in Sillenbuch, die haben gar keine eigenen Tagungsräumlichkeiten. Sie ziehen ähnlich wie Vereinsstammtische von Hinterzimmer zu Hinterzimmer.

Peter Mielert und Roland Schmid können sich immer neu motivieren: „Wenn ich heute zum Beispiel vor dem Cannstatter Kursaal stehe und da ist kein Autoverkehr mehr“, schwärmt Mielert. Das sei so nicht vom Himmel gefallen. Sondern nach und nach demokratisch erkämpft worden. Jedes Mal, wenn er einen Aktivspielplatz sehe, wo einst ein Parkplatz war, sporne ihn das ebenfalls an.

Beim Kursaal hebt Roland Schmid vor allem den Bau der Parkgarage hervor, der das Gebäude für Besucher erst erlebbar mache. Und auch die Umgestaltung des Neckarufers gehe voran. „Aber da liegt noch viel Arbeit vor uns“, sagt er. Und auf diese Arbeit, sagt der Ton in seiner Stimme, freut er sich wirklich.

Peter Mielert und Roland Schmid sind keine Politiker, die eine steile Karriere angestrebt haben. Auch keine, die sehr viel bewegen können. Aber sie kümmern sich um ihren Stadtbezirk.