Welche Stadt ist denn nun wertvoller? Die Welterbeliste der Unesco wird länger und länger. Nun will auch Tübingen aufgenommen werden. Es wachsen die Zweifel am Sinn und am Verfahren des ganzen Spektakels.

Kultur: Tim Schleider (schl)

Stuttgart - Und es ward Abend und es wird Morgen, und siehe, da zählten wir 962 Welterbestätten. Seit fast vierzig Jahren gibt es das „Übereinkommen zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt“ der Unesco, der Kulturorganisation der Vereinten Nationen. 189 Staaten haben es unterschrieben, natürlich auch Deutschland. Einmal im Jahr trifft sich irgendwo auf der Welt das Unesco-Welterbekomitee und beschließt, welche weiteren Stätten dieser Erde zum Kultur- und Naturerbe zählen sollen, und besagte Liste wächst und gedeiht. Wobei keineswegs alle Unterzeichnerstaaten darüber befinden, sondern 21 stimmberechtigte Delegierte, die in einem komplizierten rollierenden Verfahren stets neu benannt werden.

 

Wenn also wie gerade jetzt in St. Petersburg das Welterbekomitee zwanzig weitere Weltkulturstätten benennt, dann hat das wenig mit Demokratie zu tun, aber leider auch nicht immer nur mit Denkmalschutz. Wenn die Mehrheit besagter 21 stimmberechtigter Delegierten die Geburtskirche Jesu in Bethlehem als Welterbe adelt, dann gibt es dafür in der Sache zwar Argumente – und es ist doch ein reines Politikum. Eigentlich hätte der Antrag der palästinensischen Regierung wie stets zunächst von der Unesco-Fachbehörde Icomos begutachtet werden müssen. Stattdessen wurde unter demonstrativer Missachtung Israels der Palästinenserantrag durchgewinkt.

Am tatsächlich höchst beklagenswerten Bauzustand der Kirche wird der Eilbeschluss von St. Petersburg aber gar nichts ändern. Die Ernennung zum Welterbe ist nämlich mit keinerlei Geldzuschüssen von der Unesco verbunden. Für den Erhalt des Kulturdenkmals ist ganz allein der Staat zuständig, auf dessen Gebiet es liegt. Das ist je nach Betrachtungsweise entweder Israel oder Palästina. Mit anderen Worten: das Welterbekomitee hat mit seinem symbolischen Beschluss dem Denkmalschutz nicht geholfen – aber derweil auch den Nahostkonflikt ganz sicher nicht löst. Ein Debakel.

In Gutachterverfahren naturgemäß keine Demokratie

Doch auch die Klagen über die Icomos wachsen. Dass es das Schwetzinger Schloss auf der Tagung in Petersburg wieder nicht auf die Welterbeliste geschafft hat, kreiden seine Fürsprecher aus Baden-Württemberg vor allem den Pariser Denkmalschutzexperten an: Sie hätten die Einzigartigkeit der Anlage nicht erkannt, seien aber für gute Argumente auch nie ansprechbar gewesen; das Verfahren leide unter mangelnder Transparenz. Schwetzingen will darum auf weitere Vorstöße lieber verzichten.

Nun kann man in Gutachterverfahren naturgemäß keine Demokratie verlangen. Dass der Ruf der Icomos-Behörde in Paris aber zusehends leidet, hat sie sich selbst zuzuschreiben. Ihre Positionen sind wenig stringent und keineswegs immer sorgfältig und sachlich fehlerfrei, vor allem lässt sie sich gern auch mal in politischen Streitfällen instrumentalisieren (wie bei den Brückenstreitigkeiten in Dresden und in Rheinland-Pfalz), während sie sich an anderen Orten dieser Welt, wo aufgrund politischer Unfähigkeit und Korruption Kulturwelterbe ganz real verfällt, wie etwa in Pompeji, auffallend zurückhält.

All das hindert deutsche Bürgermeister aber nicht, im Auftrag ihrer Tourismusreferenten eifrig neue Anträge auf Welterbe-Ernennung zu stellen. So ganz aktuell in Tübingen, das in Gänze und gemeinsam mit Marburg als „very typical German Universitätsstadt“ (so grob zusammengefasst die Begründung) den Unesco-Adelsschlag anstrebt. Mit anderen Worten: trotz aller Zweifel brummt die Kulturantragsmaschine munter weiter. Derweil schlagen die Islamisten in Mali das Welterbe unbehindert kurz und klein. Was man von der Unesco in dieser Lage leider am wenigsten erwarten darf, wäre das Sinnvollste: ein Moratorium im Welterbeverfahren und ein gemeinsames Nachdenken darüber, was diese Liste eigentlich kann und soll. Aber das würde den Betrieb einfach zu stark behindern.