Wasi war für Alben wie „Kopfnicker“ von den Massiven Tönen verantwortlich. Jetzt hat er auf seinen alten Festplatten geschaut, welche Beats aus den 90er Jahren noch geblieben sind.

Freizeit & Unterhaltung: Anja Wasserbäch (nja)

Stuttgart - Vor zwanzig Jahren erschien „Kopfnicker“, das erste Album der Massiven Töne. Die Beginner halten es für eines der besten Deutschrap-Alben überhaupt.

 

Wasilios Ntuanoglu, genannt Wasi alias Duan Wasi, war nicht nur MC bei den Massiven, sondern auch für die Produktion verantwortlich. Jetzt veröffentlicht er seine „Lost Beats“ ausschließlich auf Vinyl. Ein Gespräch über die goldene Ära des HipHop, wie schwer es war, die Dateien aus den 90er Jahren zu retten und warum er endlich mal wieder ein Interview gibt.

Wasi, was war der Anreiz nach mehr als zwanzig Jahren deine alten Disketten und Festplatten auf Band zu überspielen? Pure Nostalgie ?

Die Idee kam auf, als wir Anfang des Jahres mit Tommy Grehl einige Beatsessions auf seiner gerade erworbenen SP1200 (Beatmaschine) abhielten. Der Produktionsstil der 90er, auch als „goldene Ära des Hip Hops“ bezeichnet, erfuhr in den letzten fünf Jahren eine Renaissance und hat sich mittlerweile zu einer etablierten Stilrichtung entwickelt. Sample-basierende Beats als Kunstform finden endlich in der klassischen Musikfachpresse die Anerkennung, die sie verdienen. Nostalgie gibt es nur insofern, dass ich persönliche Erinnerungen an die Entstehungszeit knüpfe. Es ist, als würde man in seinem Tagebuch lesen. Für mich persönlich sehr erkenntnisreich. Ich brachte also einige Disketten von mir mit und war erstaunt, wie gut erhalten und vor allem wie zeitgemäß die Skizzen darauf waren.

Was verbindest du mit den Tracks?

Man könnte sagen, sie entstammen einer „frühen Schaffensphase“, in der ich nicht darüber nachgedacht habe, ob und wie ich ein Sample verwende oder nicht. Was die Samples angeht, sind diese sehr stringent und puristisch. Das Klangbild, Tempo und Arrangement der Tracks entspricht den sound-ästhetischen Prinzipien des typischen Stuttgarter HipHops der 90er Jahre. Auf dem Album ist zum Beispiel dasselbe Drumsetting, das ich schon bei Produktionen wie „Mutterstadt“, „Nichtsnutz“ oder „Schoß der Kolchose“ oder später „Unterschied“ verwendet habe – der „Kopfnickersound“ eben.

Wie oft bist du damals mit dem Studio in Stuttgart umgezogen?

Öfter als mir lieb war. Die zahlreichen Umzüge hatten verschiedene Gründe. Oftmals hatte ich das Pech – wie sicher viele meiner Zunft – in einer Nachbarschaft zu wohnen, in der die Lautstärke ein ernsthaftes Problem darzustellen schien. 1997 zog ich mit dem Studio in die Garage, die meine Eltern nebenbei auch als Lager für ihren Laden nutzten. Dort gab es zwar kein Problem mit dem Lärm, aber eines morgens, stand alles unter Wasser. Dabei gingen die Festplatten, die einen Großteil meiner damaligen Arbeit enthielten, komplett verloren. Gezwungenermaßen musste ich also meine Zelte auch dort abbrechen. In dieser Zeit waren die Online-Versionierungssysteme, wie man sie heute kennt, noch nicht in der jetzigen Entwicklungsstufe, als dass man die Dateien einfach online hätte ablegen können. Zudem muss ich zugeben, dass ich mir relativ spät angewöhnt habe backups zu ziehen.

Dann ging es ins Medienhaus Mitte in die Herzogstraße.

Dort konnte ich endlich richtig durchstarten. Während dieser Zeit hielt ich mich nicht lange an einer Skizze auf, denn ich hatte alle nötigen Geräte und konnte mich monatelang einschließen und ein Ding nach dem anderen heraus schrauben. Zurückgeworfen hat mich dort der Einbruch Ende 1999. Zum Glück konzentrierten sich die Einbrecher nur auf die nicht fest verkabelten Geräte. Die Festplatten hingegen waren in einem separaten Fach eingelassen und wurden übersehen. Trotzdem war es damals für mich ein weiterer Weltuntergang. Als Folge dieser Cuts habe ich Anfang 2000 alles verkauft und mir ein mobiles System zugelegt. Auch im Hinblick dessen, dass es an der Zeit war, die großen Kisten abzustoßen und die Technik zu modernisieren.

Jetzt werden die Skizzen aus den 90ern, die nicht auf dem Massive Töne-Album „Kopfnicker“ oder Afrobs „Rolle mit HipHop“ auftauchen, veröffentlicht. Warum?

Als 1996 das Album „Kopfnicker“ veröffentlicht wurde, fand es kaum Beachtung. Es ist von der Fachpresse erst viele Jahre später als bahnbrechend oder stilprägend für die Entwicklung deutschsprachiger HipHop Musik definiert worden. Mitte letzten Jahres kam von unserem früheren Labelscheff Akim (MZEE Records) der Impuls das Kopfnickeralbum als 20-jährige Sonderedition wieder neu aufzulegen. Wir haben mit den Massiven darüber lange diskutiert und uns, zum Bedauern vieler Fans, letztendlich gemeinsam dagegen entschieden. Demnach könnte man die „Lost Beats“ auch als wiederentdeckten fehlenden Baustein Stuttgarter HipHop Historie betrachten. Meine alten Arbeiten haben mich jedoch auch selbst interessiert. Darüber hinaus denke ich, dass ich in all den vergangenen Jahren meinen Freunden und Fans etwas schuldig geblieben bin. Letztendlich ist es meine Geschichte und demnach ein persönliches Anliegen diese Beats zu veröffentlichen – „Lost Beats“ ein Kapitel meiner künstlerischen Laufbahn, wenn man so will.

Wie war die Arbeit daran? Sind auch Dateien unwiederbringlich verloren gegangen?

Ein alter Bekannter aus Stuttgart arbeitet als Ingenieur in einer Firma, die sich auf Datenrettung spezialisiert hat. Dadurch wurde die Aktion erst bezahlbar. Die erste von vier Festplatten ist jetzt also in einem sterilen Reinraumlabor geöffnet worden. Bei einem darauffolgenden Diagnoseverfahren sind nur geringe Schäden an den sensiblen Schreib – und Leseköpfen, und keine nennenswerten Schäden an den Magnetoberflächen der Datenträgerscheiben festgestellt worden. Somit konnte ein Großteil der Dateien rekonstruiert werden. Bei den 1MB Disketten der SP1200 sind es bis jetzt sieben bis acht von zehn die funtionieren, obwohl wir noch nicht alle herausgespielt haben. Tommy Grehl (DJ Crypt) hat dann nach mehreren Aufnahmesessions an der SP1200 einzelne Titel mit Scratching-Sequenzen verfeinert. Im nächsten Schritt wurden die aufgenommenen Spuren von Michel Baur und mir neu gemixt und gemastert. Da es sich um eine Veröffentlichung ausschließlich auf Vinyl handelt, wurde der Schnitt des Vinyl-Masters vom Presswerk in enger Absprache mit mir vorgenommen um das Klangkonzept der Arbeiten mit der SP1200 abzurunden. Zu Buche geschlagen haben sich hierbei sicher die Erfahrungen aus New York, bei den Soundrack Studios von Atlantic Records, während der Mixingphase des Überfallalbums. Die Zusammenarbeit mit Toningenieur Michel Baur hat die aufwändige Arbeit an dem Projekt zusätzlich erheblich erleichtert. Ich arbeite gerne mit Profis und bin auf das Resultat sehr stolz. Es ist klassische Stuttgarter Präzisionsarbeit!

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