Am Freitag, dem 5. Dezember, eröffnet das Landgericht Stuttgart den Prozess zwischen der Stadt Stuttgart und der Energie Baden-Württemberg (EnBW) – es geht darum, welcher Preis für das 2500 Kilometer lange Trinkwassernetz angemessen ist. Die Stadt will die Versorgung wieder selbst übernehmen.

Klima/Nachhaltigkeit : Thomas Faltin (fal)

Stuttgart - Es ließen sich jetzt reichlich Wortspiele machen, vom vielen Wasser, das bereits den Neckar hinabgeflossen ist, oder von den Mühlen, die so langsam mahlen. Fakt ist: Bereits vor 18 Monaten hat die Stadt Stuttgart Klage eingereicht, weil sie das Wassernetz von der Energie Baden-Württemberg (EnBW) zurückkaufen will, den Preis von 750 Millionen Euro aber für massiv überhöht hält – doch erst jetzt findet am Freitag um 14 Uhr der erste Prozesstag am Landgericht Stuttgart statt. Arbeitsüberlastung, so lautete die Begründung für den deutlich verspäteten juristischen Auftakt.

 

Das ist nicht die einzige Verzögerung. Bereits vor vier Jahren hat der Gemeinderat – nach einem erfolgreichen Bürgerbegehren – beschlossen, das Wassernetz, das 2002 an die EnBW verkauft worden war, wieder selbst zu betreiben. Spätestens zum 1. Januar 2014 sollte es soweit sein. Ein Jahr hinkt man also schon hinter dem Zeitplan her, und es könnten viele weitere folgen. Denn wenn eine oder beide Parteien den Prozess bis zum Bundesgerichtshof durchfechten, können leicht fünf Jahre vergehen. Da es sich um eine Musterklage mit bundesweiter Bedeutung handelt, ist dieses Szenario nicht abwegig.

Zwischen den zwei Angeboten liegen 610 Millionen Euro

Um was geht es im Kern? Die EnBW geht bei ihrer Preisvorstellung vom sogenannten Sachzeitwert aus, sprich: Sie rechnet zusammen, was die 2500 Kilometer an Wasserrohren, die 44 Hochbehälter, 39 Pumpwerke und 16 958 Hydranten im heutigen gebrauchten Zustand noch wert sind. Sie kommt so, gestützt durch Gutachten von zwei Unternehmensberatungen, auf einen Wert von etwa 550 Millionen Euro. Hinzu kämen 120 Millionen Euro als Gegenwert für die Anteile an den beiden Zweckverbänden Bodensee- und Landeswasserversorgung. Die EnBW beziffert den realistischen Verkaufspreis deshalb grob auf 600 bis 750 Millionen Euro.

Die Stadt Stuttgart rechnet dagegen mit dem Ertragswert – aus der Rendite lasse sich der tatsächliche Wert des Netzes ermitteln. Die Stadt will deshalb 140 Millionen Euro bezahlen. Da es keine entsprechende Rechtsprechung gibt, könnte das Gericht am Ende entscheiden, ob Sachzeit- oder Ertragswert anzusetzen sind. Es gilt dagegen als unwahrscheinlich, dass die Richter eine Summe nennen werden.

In Berlin flossen 1,3 Milliarden Euro für das Wassernetz

Auch in dieser Sache schielt Stuttgart im Übrigen mit einem Auge nach Berlin. Denn dort haben RWE und Veolia vor einem Jahr ihren Anteil von 49,9 Prozent am Trinkwasser- sowie am Abwassernetz an das Land Berlin zurückverkauft – für insgesamt 1,3 Milliarden Euro. Würde man das Abwassernetz herausrechnen und den Verkaufspreis in Relation zur Zahl der versorgten Menschen setzen, so käme man für Stuttgart auf 200 bis 300 Millionen Euro. Allerdings gibt es viele Unwägbarkeiten: Die Topografie in Stuttgart ist schwieriger und deshalb teurer, auch könnten auf den Berliner Netzen noch Schulden liegen; umgekehrt könnte das Netz in Berlin besser in Schuss sein, da nach der Wende viel investiert wurde. Ob in Berlin der Sachzeit- oder Ertragswert angesetzt worden war, konnte die Senatsverwaltung für Finanzen in Berlin am Dienstag spontan nicht sagen.

Daneben existiert eine andere Zahl: 2009 hat die Stadt schon einmal, aber gemeinsam mit der EnBW, das Wassernetz betreiben wollen – die EnBW hatte bereits konsequenterweise den Sachzeitwert angesetzt, kam aber nur auf 160 Millionen Euro. Grundstücke und Anteile an den Zweckverbänden waren berücksichtigt. Heute wird die Summe bei der EnBW als Schnellschuss bewertet. Und: Der Preis sei anders, wenn man, wie damals geplant, beteiligt sei und Betriebsführer bleibe.

Partner und Prozessgegner – ein schwieriger Spagat

In Stuttgart befinden sich EnBW und Stadt ja auch deshalb in einer schwierigen Lage, weil sie bei Strom- und Gasnetz Partner sind, aber trotzdem wegen des Hochspannungsnetzes den Rechtsweg bestreiten. Auch die fast zehnprozentige Erhöhung des Wasserpreises hat die Stadt verärgert. Dennoch wird teils betont, dass man vor Gericht quasi als Freunde aufeinander treffen werde. Man brauche jetzt einfach eine unabhängige Meinung, um einen Ausgangspunkt für die Verhandlungen zu haben – oder eben die Legitimation, sich preislich zu bewegen. Ein schneller Vergleich am Freitag ist deshalb kaum zu erwarten.