Was Google Ende vergangene Woche als „Neustart“ für Googleglass ankündigte, ist in Wirklichkeit das Eingeständnis des Scheiterns. Vieles an der Datenbrille war nicht ausgereift. Sie scheiterte aber letztlich an den weniger offensichtlichen, umso grundlegenderen Problemen.

Stuttgart - „Neustart für Googleglass“: Was Ende vergangener Woche viele Zeitungen vermeldeten, klingt in den Ohren Unbedarfter vielleicht wie eine positive Nachricht. Und Google tut alles, um diesen Eindruck zu verstärken: Das Team rund um die Brille sehe sich nun „einen Schritt weiter vom Konzept hin zur Realität“, ließ der Konzern verlauten. In Wirklichkeit gesteht Google damit aber ein, dass sein Konzept der Datenbrille vorerst gescheitert ist. Schließlich steckt hinter der Meldung die Tatsache, dass die sogenannte Explorer-Version der Brille, die einige Monate lang für 1500 Dollar an die Öffentlichkeit verkauft wurde, nun eingestellt wird. Eine neue Version werde es irgendwann geben, so der Konzern. Was in etwa das künftige Modell können soll und wann es auf den Markt kommt – dazu gibt es keine Informationen. Das klingt nach Ratlosigkeit. Zu Recht, wie europäische Forscher meinen, denn die Brille ist nicht nur an den offensichtlichen Problemen gescheitert.

 

Zu diesen Problemen gehört der Ausdruck „Glassholes“, eine Kombination der Worte „Glass“ (Brille) und „Assholes“ (Arschlöcher), der arrogante Brillenträger insbesondere in den USA bezeichnete. Es half auch nichts, dass Google seinen Nutzern Vorschläge für gutes Benehmen mit auf den Weg gab. Schnell wurde daraus ein geflügeltes Wort, mit dem Träger der Googlebrille aus dem ein oder anderen Café geworfen wurden – unabhängig davon, ob sie sich danebenbenahmen. Die aufgesetzte Kamera und die Befürchtung der Menschen, immer gefilmt zu werden, machte die Brille in vielen Kreisen unbeliebt.

Zu den weniger offensichtlichen, aber ebenso grundlegenden Problemen zählt die ungeklärte Frage, wer das Gerät wofür benutzen soll. „Die Brille wurde als Testprodukt verkauft“, sagt Kristof Van Laerhoven, Professor für eingebettete Systeme an der Universität Freiburg: „Aber als Testprodukt für was?“ Google hatte die Brille einst als eine Art Ersatz für das Smartphone beworben, als einen Minicomputer, der vom Mailslesen über Navigieren bis zum Fotografieren und Teilen der Bilder in sozialen Netzwerken alles kann. Als Van Laerhoven die Brille 2013 das erste Mal in den Händen hielt, war er begeistert: „Das war revolutionär: so etwas gab es damals nicht – ein Miniakku, ein starker Prozessor, eine gute Optik und ein geringes Gewicht, alles hat gestimmt.“ Aber die Begeisterung wich schnell einer gewissen Ernüchterung, als sich Van Laerhoven auf die Suche nach dem sogenannten „Usecase“, dem Anwendungsfall, machte – und die Brille für nichts so richtig praktisch fand. Als Fitness-App beim Radfahren nutzte er sie schließlich und im Büro, wenn er nicht am Computer saß und Texte las, um schnell über eingehende Mails informiert zu sein. „Das war aber selten der Fall, meistens saß ich sowieso am Computer.“ Und wenn er Freunde traf, wollte er nebenbei keine Mails checken. Fotos machte er so gut wie nie . „Auf der Brille gibt es noch nichts, was man wirklich haben will“, lautet sein Fazit.

Googleglass galt auch als Wegbereiter des Wearable Computing

Mit dem aktuellen Schritt nimmt Google die Brille auch aus dem Forschungslabor Google X heraus, in das der Konzern viel Geld für visionäre Forschung steckt. Das bewegt die europäischen Forscher, denn die Googlebrille gilt auch als Wegbereiter des „Wearable Computing“, der „anziehbaren“ Computer, zu denen auch die Applewatch zählt. Kommt nun nach dem Boom der Wearables die Ernüchterung? „Ich bin zumindest skeptisch, nachdem sich Googleglass nicht durchgesetzt hat“, sagt Gerhard Tröster. Der Leiter des Elektroniklabors der ETH Zürich forscht seit vielen Jahren an tragbaren Computern, aktuell unter anderem im textilen Bereich. Google sei frühzeitig auf ihn zugekommen mit der Bitte, die erste Version zu testen und Apps dafür zu entwickeln. „Die Brille ist technisch noch nicht ausgereift“, sagt er. Das größere Problem sieht er aber in der Anwendungsbreite. „Die Handhabung ist nicht so, dass man sie als Ersatz für das Smartphone nutzen kann“, sagt Tröster. Nutzer seien eine große Komplexität gewöhnt: „Wir haben im Schnitt 100 Apps auf dem Smartphone. Diese auf einen schlechten Bildschirm zu projizieren ist ein Problem.“ Ein besserer Bildschirm ist aber in der Miniaturversion kaum möglich.

Sinnvoll fand er die Brille nur für einige wenige Anwendungen, für die man gerne die Hände frei hat. Dafür wiederum ist sie zu teuer. „Aufwand und Nutzen sind nicht ausgelotet“, sagt er. Brille und auch Uhr bräuchten wohl noch einige Jahre – wenn sie überhaupt eine Chance haben. „Oder das Smartphone ist zu gut.“ Nachdem Forscher noch vor wenigen Jahren angesichts der aufkommenden Wearables das Aus für das Smartphone prophezeiten, ist Tröster inzwischen nicht mehr sicher: Es sei kaum möglich, eine andere Plattform zu entwickeln, die alle diese Aufgaben auch nur ähnlich gut übernimmt – von der Sensorik bis zum genau richtig großen Display für viele Apps.

Für die hiesigen Forscher im Bereich Datenbrillen ergeben sich auch Lehren aus dem Versagen von Googleglass. „Kameras versuchen wir zu vermeiden“, sagt Oliver Amft. Der Professor für Sensortechnologie an der Uni Passau entwickelt Datenbrillen für medizinische Zwecke – beispielsweise um den Lichteinfall in die Augen über den Tag zu messen. „Unsere Sensorik ist so einfach, dass die Privatsphäre der Person und der Umgebung gesichert ist.“ Aber auch unabhängig davon empfindet er die Googlebrille als Fehlentwicklung: „Sie war zu klobig und als Brille zu schwer.“

Schwierig, Technik kompakt in den Alltag zu integrieren

Er kennt das Problem aus seiner Forschung: „Es ist sehr schwierig, die Technik kompakt in den Alltag zu integrieren.“ Seiner Erfahrung nach kann man aktuell noch nicht auf ein zusätzliches Gerät wie ein Smartphone verzichten als Hilfe für die Steuerung und für die Rückmeldung von Informationen: „Smartglasses müssen ganz weg von der Bildschirm-Darstellung“, sagt er, „sie sollten als Sensor dienen und die Daten aufs Smartphone schicken.“

Auch er hält das Smartphone für kaum zu übertreffen: „Das stellt ein lokales Optimum dar.“ Das habe man vor ein paar Jahren noch nicht so klar gesehen, und es sei ein Stück weit Zufall: „Man muss bei Technologie oft ausprobieren.“ Das wird auch Google in Zukunft nicht erspart bleiben.

Was könnte Datenbrillen erfolgreich machen? „Wir erleben aktuell eine Diversifikation von Anwendungen“, sagt Van Laerhoven. In spezialisierten Fällen seien Computerbrillen durchaus sinnvoll: Beispielsweise hat er bei einem gemeinsamen Projekt mit Forschern in Mikrobiologielaboren erfahren, dass diese eine Brille für die Arbeit gut gebrauchen könnten, da dort alles, was mit der Hand berührt wurde, dekontaminiert werden müsse. „Mit einer Datenbrille hat man die Hände frei und kann gleichzeitig aufnehmen, was man gemacht hat.“ Der einzige Haken für Google dabei: Mit so einer speziellen Zielgruppe kann man nicht das große Geld machen.