Justizminister Stickelberger (SPD) will einen Ministerialen zum Chefaufseher über die Staatsanwaltschaften machen. Die Grünen sind irritiert: sie hatten eigentlich auf frischen Wind gehofft.

Stuttgart - Ulrich Goll (FDP) war voll des Lobes für seinen neuen Ministerialdirigenten. Als Chef der Strafrechtsabteilung, schwärmte der Justizminister im Februar 2006, sei Achim Brauneisen – zuvor Leiter der Staatsanwaltschaft Tübingen – „ideal“ geeignet: „Einen so exzellenten Juristen und im persönlichen Umgang ebenso aufrichtigen wie herzlichen Menschen hat man gerne im Haus.“

 

Auch Golls Nachfolger Rainer Stickelberger (SPD) hält große Stücke auf den 55-jährigen Brauneisen. Daher hat er ihn für einen Schlüsselposten in der Südwest-Justiz vorgeschlagen: Er soll neuer württembergischer Generalstaatsanwalt werden, wenn der Amtsinhaber Klaus Pflieger Ende Juli in den Ruhestand geht. Als solcher würde er alle Staatsanwaltschaften zwischen Schwäbisch Hall und Ravensburg beaufsichtigen.

Ministerium macht den Namen publik

Der Hauptstaatsanwaltsrat hat der Besetzung, die für Brauneisen eher einen Umstieg denn einen Aufstieg darstellt, bereits zugestimmt. Obwohl die Stelle im Internet ausgeschrieben war, soll er, wie oft in der Justiz, der einzige Bewerber gewesen sein. Das Plazet des Kabinetts steht dagegen noch aus – und das schon auffällig lange. Bereits Mitte Mai war die Personalie durch einen Medienbericht publik geworden. Man habe eine entsprechende Presseanfrage „im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben beantwortet“, sagt Stickelbergers Sprecherin. Seither wartet das Justizressort, dass die Entscheidung auf die Tagesordnung des Ministerrats kommt; für diese sei man nicht zuständig.

Die Verzögerung ist womöglich kein Zufall. Vor allem auf Seiten der Grünen hält sich die Begeisterung über den Vorschlag des SPD-Mannes in Grenzen. Das hat nicht so sehr mit der Person des parteilosen Brauneisen zu tun als mit grundsätzlichen Überlegungen. Bereits zu Oppositionszeiten sahen die Grünen die Rolle von Staatsanwaltschaft und Generalstaatsanwaltschaft in Stuttgart durchaus kritisch. Im Fokus hatten sie vor allem die politische Abteilung der Anklagebehörde unter Leitung von Oberstaatsanwalt Bernhard Häußler.

Unbehagen über Ermittler um Häußler

Sie störte zum einen, dass Häußler überhaupt nach dem „Schwarzen Donnerstag“ ermittelte, obwohl er den Polizeieinsatz im Stuttgarter Schlossgarten bis tief in die Nacht begleitet hatte, noch mehr aber, wie er ermittelte: Stuttgart-21-Gegner, so ihr Eindruck, würden schnell und hart verfolgt, Polizeibeamte dagegen zögerlich und eher milde. Ins Bild passte für sie auch, dass die politische Abteilung anderthalb Jahre lang keinen Grund zu Ermittlungen wegen Stefan Mappus’ EnBW-Deal sah – bis ihr ein Prüfbericht des Landesrechnungshofs die Augen öffnete. Erst dann übernahm die als zupackender geltende Wirtschaftsabteilung die Federführung.

Alle Kritik, auch von den Anwälten der Demonstranten, wurde von der Generalstaatsanwaltschaft stets zurückgewiesen. Seine Stuttgarter Kollegen ermittelten unabhängig, verteidigte sie Klaus Pflieger, jede Entscheidung sei zudem mit seiner Behörde abgestimmt. Es gebe keine einsamen Beschlüsse womöglich nach persönlichen oder politischen Motiven, vielmehr gelte das „16-Augen-Prinzip“.

Hoffen auf ein Ende des „Krähenprinzips“

Häußler & Co konnten tun und lassen, was sie wollten, die Rückendeckung des „Generals“ (und damit auch des Ministeriums) war ihnen gewiss – dieser Eindruck missfiel maßgeblichen Grünen schon länger. Wirkliche Kontrolle, so ihr Verdacht, werde durch eine Art Korpsgeist verhindert. Die Neubesetzung des Chefpostens galt ihnen daher als Chance, das „Krähenprinzip“ innerhalb der Justiz aufzubrechen: Ein Generalstaatsanwalt, der nicht aus dem Dunstkreis der immer gleichen, überwiegend konservativen Juristen im Staatsdienst stamme, könne einen frischeren und unbefangeneren Blick auf die Staatsanwaltschaften (nicht nur in Stuttgart) werfen.

Doch die Hoffnung trog. Schlucken mussten manche Grünen schon, als Stickelberger die Amtszeit Pfliegers über die Altersgrenze hinaus um ein Jahr verlängerte. Sein Nachfolgevorschlag irritierte sie noch mehr: statt für frischen Wind stehe Brauneisen für ein Weiter-so. Als Chef der Strafrechtsabteilung sei er Staatsanwaltschaft und Generalstaatsanwaltschaft schließlich nie in die Parade gefahren – genauso wenig wie Stickelberger selbst.

Ministerium hat alles abgesegnet

Brauneisens Abteilung, bestätigt die Ministeriumssprecherin, obliege „unter anderem die weitere Dienstaufsicht des Justizministeriums“ über die Staatsanwaltschaften. Dabei sei er auch mit der Prüfung von Berichten zum Polizeieinsatz und zum EnBW-Deal befasst gewesen. Im vorgegebenen Prüfungsrahmen habe er jedoch „keine Rechtsfehler“ festgestellt, die Anlass etwa für eine Weisung gegeben hätten. Soll heißen: er hätte gar nicht eingreifen können. Der Vize Brauneisens war es übrigens, der einst bei der Staatsanwaltschaft im Auftrag Golls recherchierte, welcher Wirtschaftsanwalt eigentlich Anzeige gegen Mappus erstattet habe. Später wurde der Anwalt darauf von einem Kollegen angesprochen, der auf Vorschlag von Mappus im Aufsichtsgremium eines landesbeteiligten Unternehmens sitzt – bis heute.

Zwei Jahre nach dem Regierungswechsel, bedauern Grünen-Strategen intern, seien „die alten Seilschaften“ in der Justiz noch voll intakt. Stickelberger sei einfach zu harmoniebedürftig, um auch mal einen notwendigen Konflikt zu wagen, wird selbst in SPD-Kreisen moniert. Schon kursiert im Blick auf ihn wieder einmal das böse Spottwort von der „Urlaubsvertretung“ der CDU. Hohe Justizvertreter äußern sich dagegen überaus wohlwollend über den Justizminister, der die Tradition seiner Vorgänger so nahtlos fortsetze.

Stickelbergers Chancen, seinen neuen „General“ durchzusetzen, scheinen trotz der Verzögerung gut zu sein. Da der Name schon öffentlich sei und der Staatsanwaltsrat bereits zugestimmt habe, sagen die Kritiker, seien Fakten geschaffen. Wollte man die Personalie ernsthaft in Frage stellen, würden zu viele Akteure beschädigt.

Info – die Generalstaatsanwaltschaft

Behörde Der Generalstaatsanwaltschaft obliegt die Personal- und Fachaufsicht über die acht Staatsanwaltschaften in Württemberg. Bei diesen finden regelmäßig „Nachschauen“ statt, wo Strukturen und Abläufe der Behörden kontrolliert werden. Ziel ist eine einheitliche und gleichmäßige Entscheidungspraxis.

AufgabenZuständig ist die „GenStA“ zudem für Rechtshilfe in Strafsachen mit Auslandsbezug, für Auslieferungsersuchen und für Verfahren gegen Rechtsanwälte. Bei der Stuttgarter Behörde – der viertgrößten ihrer Art im Bundesgebiet – sind ferner drei Zentralstellen angesiedelt, so zu jugendgefährdenden Schriften oder zur Organisierten Kriminalität. Seit zwölf Jahren wird sie von Klaus Pflieger geleitet.