In Stuttgart eröffnen mit dem Gerber und dem Milaneo zwei neue große Einkaufszentrem. Doch die Kommunen im Umkreis halten dagegen. Sie schaffen ihrerseits weitere Handelsflächen in großem Umfang, um die Kaufkraft am Ort zu binden.

Stuttgart - Entweder es werden Hunderte Millionen Euro mehr ausgegeben – oder etliche Geschäfte werden schließen müssen. Aus Sicht des Einzelhandels lässt sich die aktuelle Entwicklung des Handels in Stuttgart mit diesem einen Satz zusammenfassen. Doch die Nachbarstädte wie Ludwigsburg, Böblingen, Reutlingen oder Göppingen wollen nicht die Verlierer sein und setzen dem Boom in der Landeshauptstadt etwas entgegen. In der Region wird in den kommenden Jahren mehr neue Verkaufsfläche geschaffen als in Stuttgart – die Center-Riesen Gerber und Milaneo eingerechnet.

 

Auf 25 000 Quadratmetern sind 86 Läden

Vor geladenen Gästen macht Stuttgarts Oberbürgermeister Fritz Kuhn an diesem Montag dem Gerber seine Aufwartung, am Dienstag eröffnen die 86 Shops auf rund 25 000 Quadratmetern Verkaufsfläche in dem neuen Zentrum offiziell. Gut zwei Wochen danach folgen die 200 Ladengeschäfte auf den 43 500 Quadratmetern des Milaneo. Experten meinen, dass die beiden Center zusammen zwischen 300 und 350 Millionen Euro Umsatz im Jahr erwirtschaften müssen, um zu überleben. Diese Rechnung legt nur den derzeit erzielten Flächenumsatz in Stuttgart zugrunde. Ob sich die Projektentwickler damit begnügen, ist aber fraglich. Sicher ist, dass diese Kaufkraft entweder zusätzlich in die Stadt kommen muss oder andernorts abgezogen wird.

Ein Szenario, das als relativ wahrscheinlich gilt, sieht so aus: Anstatt in den Mittelzentren rund um Stuttgart einzukaufen, werden sich die Menschen häufiger ins Auto setzen und die beiden neuen Shopping-Malls in der Landeshauptstadt anfahren. Das Umland wäre dann der große Verlierer des Stuttgarter Handelsbooms. Das Milaneo beispielsweise definiert sein Einzugsgebiet nach Aussage von Centermanagerin Andrea Poul so: „Von Tübingen bis Heilbronn, von Göppingen bis Pforzheim.“

Auch die Kommunen der Region stärken des Handel

Allerdings werden die Kommunen im Umkreis der Landeshauptstadt nicht kampflos hinnehmen, dass immer mehr Kaufkraft nach Stuttgart abfließt, im Gegenteil. Auch sie schaffen neue Angebote. Die Folge: innerhalb einer halben Autostunde ist derzeit ein größerer Flächenzuwachs im Handel geplant, als die Eröffnungen von Gerber und Milaneo zusammen ergeben. Zusätzlich rund 90 000 Quadratmeter Fläche könnten in den kommenden Jahren zum aktuellen Angebot hinzukommen (siehe Grafik).

Doch ist es sinnvoll, dass Landeshauptstadt und Region parallel in Sachen Handel derart aufrüsten? Ja, sagt Sabine Hagmann, die Geschäftsführerin des Handelsverbands Baden-Württemberg. „Wenn das Umland stagniert, wird es rasch einen Trading-Down-Effekt geben – und der ist so leicht nicht mehr zu stoppen oder aufzuholen“, sagt sie. Jeder Standort müsse sich im Wettbewerb behaupten. „Vor allem nach Eröffnung der neuen Flächen in Stuttgart und vor dem Hintergrund der stetigen Zunahme des Onlinehandel muss dies auch in Zukunft geschehen“, so die Geschäftsführerin. Doch auch Sabine Hagmann findet kritische Worte: „Es ist sicher nicht immer sinnvoll, wenn Städte zum scheinbaren Allheilmittel der Erschließung neuer Flächen greifen, auch wenn das einnahmeseitig kurzfristig erfolgreich ist.“

Die Mittelzentren müssen attraktiv bleiben

Doch wie kann der Flächenboom gesteuert werden? Hier kommt der Regionalverband ins Spiel. „Aus unserer Sicht geht es darum, die Innenstädte der Mittelzentren attraktiv zu halten“, erklärt Thomas Kiwitt, der Planungsdirektor des Verbands Region Stuttgart. Die Outlet-Stadt Metzingen bezeichnet er beispielsweise als starke Konkurrenz für die Stadtkerne der Region. „Ohne eine vernünftige Planung tun sich die Innenstädte im Kampf gegen die grüne Wiese enorm schwer“, sagt er. Angesprochen auf die aktuelle Entwicklung meint Kiwitt: „Wir prüfen, ob ein Vorhaben an den jeweiligen Ort passt, und wir achten darauf, dass Sortimente, die in eine Innenstadt gehören, auch nur dort angeboten werden.“ Auch die Städte selbst beobachten dies genau. So befindet sich die Stadt Sindelfingen derzeit mit Breuninger in einem Rechtsstreit wegen der geplanten Erweiterung des dortigen Einkaufszentrums. Die Stadt hatte die Genehmigung zur Vergrößerung um 10 000 Quadratmeter zurückgenommen. Der Fall soll noch in diesem Jahr vor Gericht verhandelt werden.

Doch wenn es in der Region gelingt, die Menschen zum Einkauf vor Ort zu bewegen, ergibt sich die Frage, wer dann zu den Verlierern gehören wird. Handelsexperten und Gewerbemakler gehen davon aus, dass die bereits etablierten Einkaufsmeilen, wie beispielsweise die Königstraße und gehobene Angebote entlang der Stiftstraße, nicht durch das Großangebot an Einkaufszentren gefährdet sein werden.

Gefahr droht den Stuttgarter Randbezirken

Ihrer Meinung nach droht eher den Randbezirken Gefahr. Schon mehrfach haben die Händler abseits der Innenstadt auf die Bedrohung ihrer Standorte durch Flächenzuwachs in der City und zunehmenden Internethandel aufmerksam gemacht. Jüngstes Beispiel war eine Aktion Gewerbetreibender in Botnang, die ihre Schaufenster für eine Woche mit Papier abgehängt hatten. Der Sinn der verhüllten Einkaufssträßchen: das Bild einer ausgestorbenen Stadt vor Augen zu führen.