Tarifgebundene Unternehmen zahlen mehr als andere. Doch die Tariffront bröckelt. Gerade neue Unternehmen wollen oft möglichst keine Verträge abschließen.

Wirtschaft: Ulrich Schreyer (ey)

Stuttgart - Rechtzeitig zum Beginn der Weihnachtsmärkte können sich die Mitarbeiter vieler Unternehmen über Geld freuen, das sie an den Buden oder später für Geschenke ausgeben können.

 

Mehr als die Hälfte aller Beschäftigten zwischen Kiel und Konstanz, ganz genau 55 Prozent, erhalten eine solche Zulage, so das Ergebnis einer Umfrage des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Doch auch wo bezahlt wird, gibt es durchaus gravierende Unterschiede: Von den Beschäftigten in Unternehmen, in denen ein Tarifvertrag gilt, bekommen 74 Prozent Weihnachtsgeld. Von den Mitarbeitern in Unternehmen ohne Tarifvertrag kommen dagegen nur 44 Prozent in den Genuss der vorweihnachtlichen Zulage – oft auch, weil Unternehmen freiwillig etwas geben. Auch wer Gewerkschaftsmitglied ist, hat die besseren Karten – fast zwei Drittel erhalten Weihnachtsgeld, bei den Nichtmitgliedern sind es dagegen nur 50 Prozent.

Thorsten Schulten, der Leiter des WSI-Tarifarchivs kennt einen einleuchtenden Grund für diesen Unterschied: Gewerkschaftsmitglieder sind öfter auch in Unternehmen tätig, die an Tarifverträge gebunden sind. „Seit 15 bis 20 Jahren beobachten wir, dass die Zahl der tarifgebundenen Unternehmen sinkt“, sagt Schulten. Doch die Verabschiedung aus einem geltenden Tarifvertrag bereitet Schulten nicht die größten Sorgen: „Das größte Problem ist, dass neue Unternehmen nicht Mitglied bei den Arbeitgeberverbänden werden und vielfach auch gar keine Tarifverträge abschließen wollen.“

Außer aus einem Tarifvertrag kann sich ein Anspruch auf Weihnachtsgeld auch „aus einer betrieblichen Regelung oder dem individuellen Arbeitsvertrag ergeben“, erklärt Florian Stark, Anwalt bei der Kanzlei Gleiss Lutz. Wenn das Arbeitsverhältnis zum 30. September endet, kann es dennoch einen anteiligen Anspruch geben, wenn es sich um eine Gegenleistung für erbrachte Arbeit handelt und nicht um eine „Treueprämie“. Wird das Arbeitsverhältnis zu Beginn des neuen Jahres beendet, können Rückzahlungen fällig werden.

Auch im Unternehmen kann ein Weihnachtsgeld ausgehandelt werden

Nach den Angaben des Arbeitgeberverbandes Südwestmetall gibt es in Baden-Württemberg allein im Maschinenbau, der Autoindustrie und bei ihren Zulieferern sowie in der Metallverarbeitenden Industrie 930 Unternehme mit 500 000 Beschäftigten, die fast alle ein Weihnachtsgeld erhalten. „Das Weihnachtsgeld hilft, Löcher im Haushalt zu stopfen, es steigert aber auch die Attraktivität eines Unternehmens als Arbeitgeber“, sagt eine Sprecherin der IG Metall. Eine Branche zahlt nicht nur, sondern profitiert auch direkt vom Weihnachtsgeld: Der Einzelhandel. „Für uns ist es wichtig, dass es das gibt“, meint Sabine Hagmann, Hauptgeschäftsführerin des Handelsverbands Baden-Württemberg. „Das Weihnachtsgeld kurbelt die Konjunktur im Handel an“, sagt Thomas Harms, der Leiter des Bereichs Konsumgüter.

Der Handel profitiert

Handel Die meisten Handelsunternehmen zahlen in irgendeiner Form Weihnachtsgeld. Bei den tarifgebundenen Unternehmen sind dies 62,5 Prozent des Bruttogehalts. Bei Lidl ist der jeweils gültige Tarifvertrag des Einzelhandels Grundlage für die Bezahlung. Je nach Tarifgebiet werden zwischen 50 und 62,5 Prozent des Tarifgehalts bezahlt. Bei der Drogeriekette dm gibt es neben dem Urlaubsgeld und einer Erfolgsbeteiligung 62,5 Prozent des monatlichen Bruttogehalts.

Autohersteller und Zulieferer Bei Daimler gilt der Tarifvertrag für die Metall- und Elektroindustrie. Das Weihnachtsgeld beträgt, je nach Dauer der Betriebszugehörigkeit 25 bis 55 Prozent eines Monatsgehalts. Ausgezahlt wird es mit dem Novembergehalt. Zudem gab es im April eine Erfolgsbeteiligung von 5400 Euro. Porsche geht über die tarifliche Regelung hinaus und zahlt ein 13. Monatsgehalt. Im Frühjahr wurde eine Erfolgsbeteiligung von 9111 Euro gezahlt. Bei Bosch richte sich das Weihnachtsgeld nach der Eingruppierung. Es gilt der Tarifvertrag für die Metall- und Elektroindustrie, ähnlich auch bei Mahle oder dem Getriebehersteller ZF Friedrichshafen.

Oft gibt es freiwillige Leistungen

Maschinenbau Kärcher legt auf das tarifliche Weihnachtsgeld eine freiwillige Leistung drauf. Diese richtet sich nach der Betriebszugehörigkeit. Stihl zahlt den Beschäftigten in Deutschland eine Weihnachtsgratifikation, die je nach Betriebszugehörigkeit zwischen zehn und 55 Prozent eines Monatseinkommens schwankt. Im Mai wurde eine Erfolgsprämie gezahlt, zudem gibt es hoch verzinste Genussrechte. Dürr richtet sich nach dem Tarifvertrag, zahlt aber ebenfalls eine Erfolgsprämie.

Auch im Handwerk und am Bau wird gezahlt

Handwerk Im Handwerk wird nach den Worten von Oskar Vogel, dem Hauptgeschäftsführer des Handwerkstags im Südwesten, in aller Regel ein Weihnachtsgeld bezahlt. Je nach Betriebszugehörigkeit gibt es zwischen 20 und 50 Prozent eines Monatsgehalts, bei Dachdeckern sogar 100 Prozent. Zudem gibt es übertarifliche, gewinnorientierte und Boni. Bauwirtschaft Die meisten Unternehmen zahlen, orientiert am Tarifvertrag, ein Weihnachtsgeld von 55 Prozent eines Bruttomonatsgehalts. Bei Gesprächen gewinnt Holger Braun von der Bauwirtschaft Baden-Württemberg den Eindruck, dass eine steigende Zahl von Firmen die Leistungen ihrer Mitarbeiter mit einem Weihnachtsgeld honorieren wollen, „auch um sich als attraktiver Arbeitgeber zu empfehlen“. Finanzdienstleistungen Die LBBW zahlt im November das im Bankgewerbe vorgesehene 13. Monatsgehalt, ähnlich ist es auch bei der Südwestbank. Die Mitarbeiter von Wüstenrot und Württembergische (W&W) erhalten Sonderzahlungen nach den entsprechenden Tarifen. Bei der Bausparkasse gilt der Bankentarifvertrag, im April wird ein volles Monatsgehalt ausgezahlt. Der Versicherungstarifvertrag sieht eine Sonderzahlung von 80 Prozent im November vor. Zusätzlich erhalten alle Mitarbeiter der Gruppe im Juni eine Erfolgsbeteiligung. Informationstechnologie SAP zahlt kein Weihnachtsgeld, es gibt aber ein erfolgsorientiertes Bonussystem. Genau so ist es bei GFT, wo es fixe und variable Gehaltsanteile gibt. Bei Bechtle werden „Jahreszielgehälter“ bezahlt. Energiewirtschaft Die Mitarbeiter der Energieversorger im Südwesten erhalten nach den Angaben der Gewerkschaft Verdi ein Weihnachtsgeld, das mindestens so hoch wie ein Oktobergehalt ist.