. . . da waren’s nur noch drei: Nur die Hälfte der Großen Kreisstädte lässt ihre Weihnachtsmärkte noch bis kurz vor Weihnachten stehen. Ein Besuch beim Budenzauber in Waiblingen, Schorndorf und Fellbach.

Rems-Murr-Kreis - Die Schorndorfer behaupten, sie hätten den schönsten Marktplatz im ganzen Land – und im Winter auf eben diesem den stimmungsvollsten Weihnachtsmarkt im ganzen Landkreis, wenn nicht gar darüber hinaus. Wer an einem schmuddelig-kühlen Spätnachmittag kurz vor Einbruch der Dämmerung die Probe aufs Exempel macht, der kommt nicht umhin zuzugeben: Da könnte etwas dran sein. Der Weihnachtsmarkt, der unter dem Schlagwort „Weihnachtswelten“ beworben wird, punktet sofort: mit hübschen kleine Buden vor einer grandiosen Fachwerkkulisse, mit viele Menschen, die unterwegs sind, aber eben nicht mit zu vielen, so wie zum Beispiel in Ludwigsburg, wo man im Gedränge mitunter kaum voran kommt.

 

Für einige kleine Kinder und deren Eltern sind die Schafe, die hinter einem Gatter mitten auf dem Marktplatz im Stroh fläzen und gelangweilt kauen, der erste Höhepunkt. Ein Kind will gar nicht mehr weiter gehen, das Geschwisterle indes zieht in Richtung Karussell. Die Kartenverkäuferin in dem winzigen Häusle erzählt, dass das Nostalgiekarussel tatsächlich alt ist, „ungefähr Baujahr 1955“. Einem Papa ist besonders wichtig, dass sein Töchterchen – geschätzt eineinhalb Jahre alt – einen Platz im roten Fisch oder in der Kutsche bekommt, da kann man nämlich kaum rausfallen, auch wenn man noch klein ist.

Gleich nebenan, am Stand des Kirchbauvereins, gibt es unter anderem „Kirchwurst“, eine Spezialität, die von mehreren Metzgern aus der Daimlerstadt hergestellt wird. Reißenden Absatz findet diese Spezialwurst an diesem Nachmittag allerdings nicht. Ganz anders ein paar Schritte weiter: dort hat sich eine lange Schlange gebildet. Ein Metzger aus der thüringer Partnerstadt Kahla verkauft „echte“ Thüringer, die weg gehen, wie die sprichwörtlichen warmen Semmeln.

An vielen Ständen gibt es auch in Schorndorf die unvermeidlichen Weihnachtsmarktklassiker: Engel und Baumschmuck, Holzspielzeug und Felle, und alle paar Schritte etwas zu futtern: hier Pizza und dort Hot Dogs, Pommes und Langos.

Eine Dame verzieht das Gesicht und ruft: „Igitt, hier stinkt es nach Patschuli“. Nun, man kann es nicht jedem und jeder recht machen.

An einem der vielen Glühweinstände werden auch exotische Heißgetränke ausgeschenkt: zum Beispiel der Engelskuss, Eierlikör mit Rum und Sahne. Oder ein Blonder Engel, ein Engelskuss der mit weißem Glühwein aufgefüllt wird. Noch ungewöhnlicher ist das belgische Glühbier. Ein Mann, der an einem stinknormalen Glühwein nippt, sagt: „Warmes Bier? Nein danke“ – zu Unrecht. Das Glühbier schmeckt nämlich vorzüglich. Die Verkäuferin erklärt, warum: „Da ist ja auch Kirschsaft drin“.

Nach spätestens einer Stunde ist der Besucher zweimal an allen Ständen vorbei gelaufen – und der erste Eindruck bestätigt sich: nett hier. Bis der Blick nach oben geht. Was ist das? Auf dem Turm des altehrwürdigen Rathauses thront eine riesige Weihnachtsmannmütze. Die müsste nicht unbedingt sein.

Weihnachtsschädel in Waiblingen

Weihnachtsschädel in Waiblingen

Eine ungewöhnlich platzierte Mütze mit Bommel findet man auch im altstädtlichen Waiblinger Vorweihnachtstreiben. Aber nicht auf dem Alten Rathaus, unter dem sich dort drei Wochen lang eine eher überschaubare Weihnachtsglitzerwelt abspielt. Die rot-weiße Zipfelmütze ziert dort – wir wagen es fast nicht zu berichten – einen Totenschädel. „Sandsteinguss“ steht auf einem Schild an dem Stand unter den Arkaden – deshalb seien die Skulpturen auch so billig.

Die ganz jungen Marktbesucher im Alter von zwei bis fünf Jahren, die direkt daneben gerade gebannt dem Kasperle und seinem Theater lauschen, scheint diese Art der tendenziell doch eher makabren Weihnachtskunst nicht wirklich zu beeindrucken. Da gibt es andere Probleme: Kasperl hat sich gerade den bösen Räuber geschnappt, der dem Seppl fieserweise sein Weihnachtsgeschenk geklaut hat, oder war es das für die Großmutter?

Glühbier gibt es neuerdings auch auf dem Waiblinger Marktplatz, was wenig daran ändert, dass dort – wie in den vergangenen Jahren – die nicht kulinarischen Dinge ziemlich Mangelware sind. Dafür ist das Weinangebot nochmals ausgebaut worden, auch wenn sich das Teelädle mit seinen italien-basierten Glühwein-Kreationen verabschiedet hat. Die Remstalkellerei braut beim Gansbrunnen nicht nur Glühwein, sondern bietet alldienstaglich fliegende Weinproben mit dem hauseigenen Kellermeister an. Und nicht weit entfernt ist zusätzlich zum arrivierten Schnaiter Glüh-Dornfelder erstmals auch eine heiße Wein-Kräuter-Kreation der Bottwartal-Wengerter vertreten.

„Ist doch ganz nett, all die Lichter und so“, sagt der Nachbar, der am Stehtisch unter den Arkaden die originale Thüringer Bratwurst genießt – und offenbar nicht mitbekommen hat, dass man vorweihnachtsmäßig gerade eigentlich herzergriffen dem Kinderchor auf der Marktplatzbühne lauschen sollte. Es geht um die Maria, die durch einen Dornenwald ging. Der Kumpel vom Sportverein, der sich rein zufällig dazu gesellt hat, behauptet dreist, er habe jenen weihnachsmann-bemützen Totenkopf dazu grinsend nicken gesehen. Wir schieben das auf die Feuerzangenbowle.

Kulinarischer Marathon in Fellbach

Nordische Beleuchtung in Fellbach

Fast so etwas wie heimische Gefühle erlebt die Gattin mit norddeutschen Wurzeln schon bei der Einfahrt nach Fellbach. „Schau mal, die haben Seesterne aufgehängt!“ Tatsächlich mutet die Weihnachtsdeko über den Straßen der Kappelbergstadt ein wenig an, als sei sie dem Meer entsprungen. Das wiederum lässt bei dem Jüngsten eine schon im vergangenen Jahr enttäuschte Hoffnung aufkeimen. „Vielleicht haben die wie auf dem Bremer Weihnachtsmarkt auch einen Stand mit Dosenwerfen.“ Haben Sie natürlich auch in Fellbach nicht, dafür mitten auf dem Kirchplatz eine Eisbahn. Die ist gegen 19.30 Uhr zwar schon etwas ramponiert, aber eine tolle sportliche Einstimmung auf den zu erwartenden kulinarischen Marathon. Der lässt angesichts wirklich betörender Düfte, die über die sulzige Eisfläche wabern, auch nicht lange auf sich wabern. „Ich glaube, wir haben jetzt genug gelaufen“, konstatiert der größere der Nachwuchskufenkünstler.

Und weil auch auf dem Fellbacher Weihnachtsmarkt streng geregelte Budenschlusszeiten gelten, wird das folgende kurze Zucken der Mutter in Richtung des einzigen kunsthandwerklich bestückten Häuschens im Keim erstickt. „Nein Mama, Deko haben wir schon mehr als genug, dafür hätten wir gar keinen Platz.“

Der Junge ist nicht nur der Sohn seines Vaters, sondern auch ein ernsthafter Weihnachtsmarkttester, der sich auf das besinnt, worauf es im adventlichen Budenzauber wirklich ankommt: Die Bratwurst als Vorspeise mundet so gut, dass gleich noch eine Curryvariante nachgeschoben wird, die auch nicht zu verachten ist. Der Blick auf eine Dame nebenan verheißt schon den nächsten Gang: Langos.

Doch der ist unterm zwar künstlichen, aber doch ansprechend dekorierten Sternenzelt im Rathausinnenhof nicht zu finden. Und weil sich die Dame mysteriöserweise schlagartig in Luft aufgelöst hat, ist ein feines Näschen gefragt, das die ungarische Teigspezialität auch tatsächlich aufspürt. „Einmal mit Zucker, einmal mit Knoblauch“, gibt der Junior die Variationen vor, in denen die nächste Speisen serviert werden. Die folgenden Wilden Kartoffeln mit würzigem Mayodipp sorgen dann vollends dafür, dass den Kindern die Zunge in den Kniekehlen hängt. Doch der körperinterne Brand ist nicht so leicht zu löschen. Fanta oder Cola sind nicht sofort aufzutreiben, das Angebot „jedem Fellbächer sein Fellbecher“ scheidet aus Jugendschutzgründen aus, und so muss ein klebriger Kinderpunsch herhalten.

Doch kaum ist etwas Ruhe eingekehrt, bricht bei den Weihnachtsmarktscouts schon die nackte Panik aus. Nicht, weil am Stand auch Glühwaffeln angeboten werden, sondern weil schräg gegenüber das Nachtischangebot geschlossen wird. Zum Glück harrt unter dem Sternenhimmel zwanzig Meter entfernt aber noch ein zweiter Gebrannte-Mandeln-Stand bis zum bitteren Ende aus. Von den auf den Heimweg mitgenommenen fünf verschiedenen Tüten will der Jüngste indes keine einzige testen. Sein völlig überraschendes Fazit am Ende des Tages: „Ich glaube, ich hab ein bisschen Bauchweh.“