Mit der Bimmelbahn vorm Königsbau besitzt der Stuttgarter Weihnachtsmarkt eine einmalige Attraktion. Der Betreiber Oliver Schiedt baut sie seit 24 Jahren nur dort auf.

Stuttgart - Huch! Erschreckt hüpft die Dame, die sich zu nah an die Lokomotive gewagt hat, zur Seite. Der Lokomotivführer hat Dampf abgelassen. Zischend steigt die weiße Säule in die Höhe, ein schriller Bimmelton, das Signal für die Abfahrt, erklingt, und schon setzt Oliver Schiedt wie Jim Knopf seine Lokomotive mit den sieben Wagen dahinter in Bewegung. Nein, es geht nicht nach Panama. Aber immerhin bis in die Schweiz, vorbei an Bergbahnen, mit Blick auf die Rätische Bahn und den Glacier Express und durch dunkle Tunnel. Ängstlich klammert sich Leon an den Haltegriff und guckt ein bisschen verzagt: Wird das gut gehen? Der Bub ist erst zwei Jahre alt und erlebt seine Premiere auf der Bimmelbahn vor dem Königsbau auf dem Stuttgarter Weihnachtsmarkt. Liebevoll festgehalten von seiner Mutter Melanie Paul und fotografiert von zwei amüsierten Tanten. Für Luisa, die mit ihrem Großvater Rainer Zipperlen den wöchentlichen Opa-Tag genießt, ist dieses kleine Reisevergnügen das Schönste am Weihnachtsmarkt: „Sie will immer wieder fahren“, erzählt der Großvater. Und jetzt zum ersten Mal sogar allein. Mit drei Jahren ist man schließlich kein Baby mehr.

 

Für solche Stamm-Fahrgäste lohnt sich eine Zwölferkarte für 15 Euro, empfiehlt Tina Weeber, die wie ihr Mann Oliver Schiedt aus einer Schausteller-Familie stammt. Die Zuffenhauser Schiedts reisen mit Autoscooter, die Weebers sind als Schausteller-Dynastie mit Fahrbetrieben bekannt. „Wir kannten uns schon als Kinder von den Festplätzen“, verrät Tina Weeber. Jetzt ist das Bähnle ihr gemeinsames Herzensprojekt. „Unser Herz hängt wirklich dran“, bestätigt Schiedt. Und meint ein bisschen stolz, dass diese Anlage doch eine Bereicherung für Stuttgart sei. Denn nur hier, in der Landeshauptstadt von Baden-Württemberg, und allein für sie, baut Schiedt sie auf.

„Dafür brauchen wir vier Tage“, so Schiedt. Für die Landschaft auf 390 Quadratmetern, 30 Meter lang und 13 Meter breit, baut er mit Freunden im Sommer immer wieder neue Miniatur-Arrangements: Fachwerkhäuser, Marktplätze mit Caféterrassen, Kirchen, Kapellen, Wassertürme, Bahnhöfe, viel Volk, das sich bei einem Scheunenfest tummelt, und Gondeln, die auf Gipfel schweben. Durch dieses pittoreske Idyll schlängeln sich nicht nur die Modelleisenbahnen, sondern auch die Schienen für die Bimmelbahn.

Am Wochenende sind die Warteschlangen lang

„Wir wollen doch unseren Fahrgästen nicht immer dasselbe Bild bieten“, sagt der ambitionierte Oliver Schiedt. Und freut sich über das allgemeine Entzücken. Selbst am Vormittag eines Werkstages, wenn sich der Andrang noch in Grenzen hält, stehen die Erwachsenen dicht an dicht vor der Miniatur-Landschaft und fotografieren unentwegt. Ein Super-Motiv mit dem Neuen Schloss im Hintergrund. Zwei junge Anzugträger, mit dem Rollkoffer sicher unterwegs zu einer geschäftlichen Besprechung und der Sprache nach aus Schweden, kriegen sich gar nicht mehr ein vor Begeisterung und Lust am Fotografieren. Recht so, das hebt das internationale Renommé von Stuttgart. Den Kindergartenkindern, denen die Erzieherinnen mit diesem Ausflugsziel ein besonderes Vergnügen machen, sind solche Überlegungen noch von Herzen egal.

Am Wochenende spätestens nehmen die Warteschlangen beängstigende Ausmaße an. „Du lieber Gott, das wird dauern“, stöhnt eine Mutter. Tut es nicht. „Bei Hochbetrieb fahren beide Bahnen mit insgesamt sieben Wagen, auf die dann 42 Kinder passen.“ Mit Erwachsenen sind es weniger, die brauchen halt mehr Platz. Die eine Bahn fährt rundherum, die andere kreuz und quer durchs Gelände, immer jeweils zwei Touren, macht drei Euro für Erwachsene und zwei für Kinder. Gezogen von einer Dampflok, die in einer Maschinenfabrik in Öhringen hergestellt wird, 200 Liter Wasser am Tag und 30 bis 50 Kilo Anthrazitkohle für 8 Bar Kesseldruck braucht. Und von einer Diesellok mit Hydraulikantrieb, dem so genannten Krokodil, das am Tag drei Liter Diesel schluckt.

Bahn fährt nur noch bis zum 23. Dezember

Ein bisschen Kummer bereitet Schiedt nur die Bildungspolitik des Landes. Weil die Kinder mittlerweile den ganzen Tag in der Kita, im Kindergarten, im Hort oder in der Schule seien. Die armen Buben und Mädchen hätten kaum mehr Zeit für den Weihnachtsmarkt. Bloß noch am Wochenende. Glücklich, wer Großeltern hat. Luisa bekommt am Opa-Tag frei vom Kindergarten, und der fünfjährige Felix ist mit seiner Großmutter sogar aus München zum Stuttgarter Weihnachtsmarkt gekommen.

Zisch und pfiff: Die Bahn startet zu einer neuen Runde. Aber nur noch bis zum 23. Dezember. In der Nacht darauf wird alles abgebaut. Und am 24. Dezember ist der Schlossplatz wie leer gefegt. Die Bimmelbahn hat Pause bis zum nächsten Jahr.