Die StZ-Weinkolumnistin Kathrin Haasis hat in einem Stuttgarter Traditions-Besen einen neuen Wein aufgetischt bekommen.

Böblingen: Kathrin Haasis (kat)

Stuttgart - Einst waren die Besenwirtschaften aus der Not geboren. Im eigenen Haus dürfen Wengerter an 16 Wochen im Jahr ihren eigenen Wein sowie einfache Speisen servieren: für die Wirte auf Zeit zumeist ein einträgliches Geschäft. Denn bis ins 19. Jahrhundert waren die Weingärtner in Württemberg ziemlich arm dran als Handlanger für die Adligen, die Kirchen und die Kaufleute. Rund 5000 Besenwirtschaften soll es damals gegeben haben. In der Region Stuttgart sind momentan etwa 300 Stück in Betrieb.

 

Viele haben sich das Geschäft erspart, andere entdecken es neu. Zum Beispiel im Gauder Besen im Stuttgarter Stadtteil Degerloch. Die Wirtschaft wirkt museumsreif, weshalb es passt, dass Thomas Michel den Betrieb vor fünf Jahren übernommen hat. Zuvor war der Ethnologe Direktor des Lindenmuseums gewesen, einen Namen hatte er sich mit der Forschungsarbeit bei Kannibalen in Neuguinea gemacht. Jetzt serviert er Maultaschen und für einen Besen überdurchschnittliche Weine. „Ich werde nie in die Gewinnzone kommen“, sagt der Pensionär. Sein Sohn, der Luft- und Raumfahrttechnik studiert hat, richtete ihm den Keller mit Hightech ein. Das zahlt sich für die Besenbesucher aus: Der Shiraz des 68-jährigen Autodidakten ist grandios. Er duftet nach Zartbitter und Blaubeere, füllt kraftvoll den Gaumen und legt einen schönen Abgang hin. „Es wäre schade, wenn alles verloren ginge“, sagt Thomas Michel über sein aktuelles Forschungsprojekt.

Das Urteil der StZ-Weinrunde: Harald Beck Chapeau, wenn der Tropfen tatsächlich für den Preis zu haben ist, den die Kollegin nennt, wär’ blöd, wer ihn nicht probiert. Das ist kein Besenwein, das ist ein fruchtig-kräftiger und nuancenreicher Wein für Genießer.

Holger Gayer Man soll ja vorsichtig sein mit Superlativen, aber ich kann mich spontan an keinen Wein erinnern, der ein besseres Preis-Leistungsverhältnis hätte. Dieser Shiraz schmeckt nach Kirsche und wilden Kräutern. Er ist in jeder Hinsicht gelungen.

Shiraz Spätlese 2012,
6,50 Euro, Michels Gauder Besen, Meistersingerstraße 23, Stuttgart, 07 11/3 05 65 99, ab April Hofladen