Das Verwaltungsgericht bestätigt entgegen üblicher Praxis die Abschiebung eines Mannes nach Ungarn.

Weinstadt - Dass einige ihrer Schüler abgeschoben werden, ist für Ute Friesen und Jan Thiemann keine neue Erfahrung. Das Paar aus Schorndorf hat eine sogenannte Vabo-Schule für Flüchtlinge zur Vorbereitung auf Arbeit und Beruf gegründet. Ute Friesen leitet die auf Julius-Euting-Schule getaufte Einrichtung, die dem Abendgymnasium angegliedert ist und Räume im Weinstädter Remstalgymnasium nutzt. Jan Thiemann gibt Werkunterricht, außer ihm sind noch sieben Lehrer für die Schule tätig. „Wir sind eine hohe Fluktuation gewohnt“, sagen die beiden mit leicht resignierendem Unterton. Aber der Fall von Sayed Sherazi entsetze sie. Sie haben sich an die Zeitung gewandt, um ihn öffentlich zu machen und so vielleicht dem jungen Pakistaner helfen zu können.

 

Was ist passiert? Ende November hatte das Bundesamt für Migration (Bamf) dem 20-Jährigen mitgeteilt, dass er aufgrund der so genannten Dublin-III-Verordnung nach Ungarn abgeschoben werden solle. „Weil er das Schreiben nicht lesen konnte, kam er damit zu mir“, berichtet Ute Friesen, die über den Inhalt sehr verwundert war. „Bis dahin dachte ich, dass die Dublin-III-Verordnung für Ungarn ausgesetzt ist.“ Gemeinsam wandten sie sich an den Anwalt Stefan Weidner, der für Sherazi beim Stuttgarter Verwaltungsgericht Einspruch gegen die Bamf-Entscheidung erhob.

Seinem Anwalt ist kein vergleichbarer Fall bekannt

Alle rechneten damit, dass das Gericht gegen die Abschiebung urteilen würde – auch Weidner. „Bisher hatten alle anderen Kammern am Verwaltungsgericht Stuttgart wegen systemischer Mängel eine Rückführung nach Ungarn für nicht möglich gehalten“, berichtet der Anwalt, dem kein vergleichbarer Fall bekannt ist, auch von anderen Verwaltungsgerichten nicht.

Zumal Sherazi mit gutem Grund nicht nach Ungarn zurückgeschickt werden wollte. „Als er von dort nach Deutschland kommen wollte, ist er schon damals geschlagen worden“, sagt Ute Friesen. Er habe ihr erzählt, dass er in einem Flüchtlingscamp festgehalten worden sei, in dem man ihm pro Tag nur zwei Brötchen und einen halben Liter Wasser zugestanden habe. Gehen habe man ihn nur lassen, nachdem er sich freigekauft habe. Und jetzt, nachdem er nur wenige Tage nach dem Gerichtsurteil mitten in der Nacht unangekündigt von der Polizei in seiner Unterkunft im Heuweg abgeholt und zum Frankfurter Flughafen gebracht wurde, sei er wieder in dem Land, in das zurückzukehren er so Angst gehabt habe.

Sherazi berichtet von schockierenden Zuständen in Ungarn

Per Mail hat er sich bei Friesen gemeldet. Es sind nur wenige Worte auf Englisch, doch die Zustände, von denen Sherazi berichtet, sind schockierend. „Es ist kein Camp, es ist wie ein Gefängnis, wo wir leben. Jeder hier möchte sterben“, schreibt er etwa und: „Wenn jemand versucht zu entkommen, schlagen sie ihn sehr schlimm vor den Augen aller.“

All das erschüttert Friesens und Thiemanns Vertrauen in den eigenen Rechtsstaat noch mehr. „Wie kann man Leute in ein Land abschieben, wo klar ist, dass es dort keinen menschenwürdigen Umgang gibt? “ Zudem bestehe die Gefahr, dass Sherazi in sein Heimatland zurückgeschickt werde, aus dem er aus religiösen Gründen geflohen ist. „Er hat als Schiit in einem Taliban-Gebiet gelebt. Doch die Taliban sind Sunniten und dulden keine Schiiten“, erklärt Friesen. Außerdem sei Sherazis Bruder politisch aktiv.

Auch Doris Stephan vom Weinstädter Freundeskreis Asyl macht betroffen, wie es Sherazi ergangen ist. Sie hatte sich bemüht, ihm eine Arbeitsstelle zu vermitteln. „Er hatte bei einer Cannstatter Gravurfirma sogar schon einen Job mit der Aussicht auf eine Ausbildung gefunden.“ Jedoch habe er keine Arbeitserlaubnis erhalten. „Dabei hätte sich Sherazi nahtlos integrieren können, er hat sehr gute Umgangsformen.“ Dass so jemand, wie er trotz allem abgeschoben werde, sei entmutigend.