Verkostungen im Club oder in der Off-Location zeigen, dass Wein nicht bräsig oder elitär daherkommen muss. Jüngere Winzer und ein jüngeres Publikum sorgen für neue Formen der Weinpräsentation.

Freizeit & Unterhaltung : Ingmar Volkmann (ivo)

Stuttgart - Eine Weinverkostung in einer Tankstelle, das gibt es nicht einmal in New York“, raunt ein Besucher der Jahrgangspräsentation der Weingüter Haller, Knauß und Zimmerle. Statt das Ergebnis ihrer Arbeit bei einem stocksteifen Mehrgangmenü vorzustellen, haben die jungen Winzer die Stuttgarter Schankstelle angemietet, eine zur Szene-Gastronomie umgewandelte Tankstelle in der Nähe des Stuttgarter Hauptbahnhofs.

 

Statt Blasmusik zum Trollinger serviert Rainer Trüby gewohnt gekonnt New Jazz und im gleichmäßigen Viervierteltakt marschierende House-Beats zu Sauvignon, Pinot Noir und Co. Für die Partyreihe Root Down des DJs pilgerten einst Besucher aus ganz Deutschland an den Freiburger Waldsee, die groovenden „Glücklich-Sampler“ des gebürtigen Stuttgarters standen auch bei japanischen Studenten im London der Nuller-Jahre hoch im Kurs. Wie kommt einer wie Trüby dazu, den Soundtrack zur Weinpräsentation zu liefern? „Rainer ist ein Fan unseres Trollingers Architekt“, erzählt Yvette Zimmerle vom Weingut Zimmerle. „Bei Facebook hat er unseren Wein mehrfach gelikt, da habe ich ihn direkt gefragt, ob er nicht bei unserer Jahrgangspräsentation auflegen will“, so Zimmerle.

Statt starkem Spanier lieber Wein aus der Region

Yvette Zimmerle ist mitverantwortlich dafür, dass sich die Präsentation von Wein in Stuttgart langsam ändert. Bis Mai diesen Jahres hatte Zimmerle den Club Barcode an der Theodor-Heuss-Straße betrieben und dabei beobachtet, dass sich ein jüngeres Publikum für hiesigen Wein zu interessieren beginnt. „Anfangs war es wichtig, einen starken Spanier auf der Karte zu haben. In den letzten Barcode-Jahren hat sich Wein aus der Region dagegen immer besser verkauft“, so Zimmerle. „Wein aus Württemberg war auf meiner Karte vom Publikum nicht mehr nur akzeptiert, sondern sogar gewollt.“ Und das nicht nur auf der Theodor-Heuss-Straße. „Das Wilhelmspalais hatte Zimmerle-Weine auf der Karte, die haben sich sehr gut verkauft. Zu Radio-Bar-Zeiten wäre das noch undenkbar gewesen“, sagt Yvette Zimmerle.

Bei der Weinveranstaltung in der Schankstelle tummelt sich derweil ein bunt gemischtes Publikum zwischen Sekt-, Weißwein- und Rotweinbar. Der Weinexperte um die 50 probiert sich neben dem jungen Szenegänger durch das Angebot. „Letzterer hatte sich vor kurzem vor allem mit Wodka Red Bull auseinandergesetzt, heute kennt er sich schon ganz passabel mit Wein aus“, kommentiert Zimmerle.

Zeitgemäßere Form der Weinkulturvermittlung

Nicht nur in der Schankstelle wird Wein anders inszeniert, auch der Stuttgarter Weinhändler Bernd Kreis bemüht sich um zeitgemäßere Formen der Weinkulturvermittlung. In seiner vor einem Jahr eröffneten Weinbar am Schillerplatz steht der Plattenspieler direkt neben der Schinkenschneidemaschine. Wer dort einen Wein probiert, darf seine eigenen Vinylplatten auflegen. An einem verregneten Montagabend sitzt ein junges amerikanisches Pärchen im Schaufenster und sinniert bei einer Flasche Weißwein über die Gemeinheiten des Lebens. Die musikalische Untermalung besteht aus anspruchsvollem Hip-Hop. Kreis – schwarzer Kapuzen-Pulli mit Fernsehturm-im-roten-Stern-Aufdruck – erzählt von seiner eigenen Veranstaltung „Wein Guerilla“, die kurz zuvor auf der Terrasse des Wilhelmspalais stattgefunden hatte. „ Eine Tafel mit 30 Leuten im Sonnenuntergang, das hatte schon etwas“, sagt Kreis, in den 90er Jahren zu Europas bestem Sommelier gekürt. „Bei unseren Veranstaltungen wollen wir Wein und Tischkultur auf einer anderen Ebene erzählen“, so Bernd Kreis.

Das grundlegende Anliegen des Wein-Impresarios: „Wein wird oft verwechselt mit etwas Elitärem. Kultur muss aber nicht immer nur Hochkultur sein.“ Kreis verfolgt in seiner Weinbar oder bei der Wein Guerilla einen anderen Ansatz. „Um Wein wird viel zu viel Blabla gemacht, wir wollen uns mit dem Kulturgut lieber auf Augenhöhe mit dem Kunden oder Gast beschäftigen.“ Kreis’ Weinbar ist an seine Weinhandlung angeschlossen, deren Regalsystem aus einer spektakulären Metallkonstruktion besteht. Auch diese Form der Präsentation sei bewusst gewählt, um ein anderes Publikum anzusprechen. „Wir haben hier ganz unterschiedliche Kunden, viele Junge und Designinteressierte, die manchmal gar nicht zum Kaufen, sondern zum Fotografieren der Regale kommen“, so Kreis.

Die Weinproduzenten selbst werden immer jünger

Neben dem jüngeren Publikum, das sich zunehmend mit Wein beschäftigt, gibt es noch einen weiteren Grund für die unbräsige und wenig elitäre Auseinandersetzung mit Trollinger und Co.: Die Weinproduzenten selbst werden immer jünger. „Es hat ein Generationenwechsel stattgefunden“, sagt Yvette Zimmerle. „Bei uns genauso wie bei Ellwanger, Knauß oder anderen Winzern.“ Zu den jungen Wilden gehört auch Heike Ruck, die mit ihrem Mann Christoph unter dem Label Rux Wein unter anderem den Trollinger entstaubt hat. Sie war Teil einer der ersten alternativen Wein-Partys in Stuttgart, die vor über zwei Jahren in der mittlerweile geschlossenen Off-Location Victor von Hase stattgefunden hat. „Klassische Wein-Präsentationen sind eben etwas zäh. Vor allem, wenn man es mit einem Publikum zu tun hat, das bisher eher party- als weininteressiert war. Die Art, wie wir künftig Weine vorstellen werden, wird sich immer weiter wandeln.“