Die Aufräumarbeiten im Rathaus bringen mehr als außergewöhnliche Erkenntnisse hervor: Eine gesetzlich korrekte Buchführung hat es offenkundig nicht gegeben. Der Gemeinderat will von alledem nichts gewusst haben. Einen finanziellen Schaden gab es so gut wie nicht.

Weissach - Karl-Heinz Föll hat viel erlebt. Fast 40 Jahre leitete er die Kämmerei in Fellbach. Im sächsischen Meißen hat er nach der Wende die Buchhaltung im Rathaus umgestellt. Und in Berglen im Rems-Murr-Kreis hat er 2011, schon in Pension, sozusagen den Haushalt gerettet, nachdem der dortige Kämmerer nach einem Unfall ums Leben gekommen war.

 

Doch was der Verwaltungsroutinier gerade in Weissach mitmacht, das verschlägt ihm bisweilen die Sprache. Karl-Heinz Föll ist von Bürgermeister Daniel Töpfer angeheuert worden, um die Jahresrechnungen der vergangenen 15 Jahre zu korrigieren oder sie ganz neu aufzustellen. Denn diese Jahresabschlussbilanzen wurden im Rathaus einfach nicht gemacht, obwohl sie gesetzlich vorgeschrieben sind. Für Töpfer ist das ein „bundesweit einmaliger Vorgang“.

Im Gemeinderat machen sich am Montagabend betretene Mienen breit. Über Jahre keine Bilanzen – und keiner will etwas gemerkt haben? Gibt es so etwas?

Ja, das gibt es, lautet die Antwort des fiskalischen Feuerwehrmanns Föll: „Nehmen Sie es mir nicht übel, dass ich mir bis vor Kurzem nicht vorstellen konnte, dass es eine Gemeinde gibt, in der zwölf Jahre kein Jahresabschluss gemacht wurde und der Gemeinderat nicht informiert wurde.“

Drei Haushaltsveteranen kümmern sich um die Aufarbeitung

Weil diese gewaltigen Aufräumarbeiten nicht im laufenden Betrieb erledigt werden können, hat der Bürgermeister neben Föll zwei weitere Haushaltsveteranen als Berater geholt: Walter Gorhan und Manfred Brodbeck waren viele Jahre Beigeordnete und Kämmerer in Schönaich und in Holzgerlingen und kennen sich in Kommunaletats bestens aus. Günstig ist der Fremdeinsatz nicht: 235 000 Euro sind im Doppelhaushalt 2016/17 für die Hilfe bei der Altlastenaufarbeitung eingestellt.

Das Geld scheint aber gut investiert zu sein. Denn lang ist die Mängelliste, die Föll und Gorhan vortragen: fehlende oder fehlerhafte Buchungen, geschredderte Belege. Verschiedene Immobilien wurden quasi spontan erworben. Einen Planansatz im Haushalt gab es jedenfalls nicht. Auffällig sei eine „enge Bindung“ zwischen dem kommunalen Eigenbetrieb und der Baugesellschaft Kommbau: „Da wurden Kredite gewährt, zurückbezahlt, dann wieder neue gewährt.“

Um das offenkundige Chaos in den Griff zu bekommen, ist das Aufräumkommando nahezu rund um die Uhr im Einsatz. Tausende Buchungen in mehr als 100 Ordnern wurden kontrolliert. Das Ergebnis sind berichtigte Feststellungen der Jahresrechnungen 2000 bis 2002. Für 2003 bis 2009 gibt es völlig neue Bilanzen. Besser wird’s nicht werden: „Die Unterlagen für 2010 bis 2014 sind in einem noch desolateren Zustand.“

Die Fraktionen reagieren betroffen

Die Fraktionen reagieren betroffen. „Hätte es für den Gemeinderat die Möglichkeit gegeben, das zu erkennen?“, fragt Andreas Pröllochs von der Bürgerliste. Sein Fraktionskollege Gerhard Strauß wird deutlicher: „Wir hatten Vertrauen in den früheren Kämmerer. Er trat routiniert und souverän auf.“ Dann spricht er den Fraktionschef der Freien Wähler an: „Vielleicht kann Volker Kühnemann Stellung nehmen. Er war 2006 ein knappes Jahr kommissarischer Bürgermeister.“

Der weist alle Schuld von sich: „Den Haushalt hat der Kämmerer eingebracht. Es hatte immer geheißen, es ist alles am Laufen.“ Selbst der damalige Landrat Bernhard Maier hätte von einem „hervorragend geführten Rathaus“ gesprochen.

Hat also der Kreis als Aufsichtsbehörde versagt? „Das Landratsamt sagt, sie hätten immer wieder darauf hingewiesen“, erklärt Daniel Töpfer, der von einem „totalen Verwaltungsversagen“ spricht. „Wir können das Wirrwarr nicht auflösen, es bringt uns nicht weiter“, bittet der Bürgermeister den Rat, „einen großen Haken dran zu machen“. Immerhin: finanziellen Schaden hat Weissach offenbar dank der sprudelnden Porsche-Gewerbesteuer nicht erlitten.