Mit der Entdeckung eines weißen Rehs hat Hubert Gänser-Hampp die Fantasie vieler seiner Mitbürger beflügelt. Sogar eine Ausstellung zum Thema soll es geben. Der Jäger am Ort jedoch findet das gar nicht gut.

Region: Verena Mayer (ena)

Ludwigsburg - Hubert Gänser-Hampp weiß noch genau wie es war, als er das weiße Reh zum ersten Mal getroffen hat. Früh am Vormittag ist es gewesen, die Luft war frisch, über seiner Streuobstwiese am äußersten Rand von Neckarweihingen hingen noch Reste von Nebel – und mittendrin stand das weiße Reh. „Ich dachte, ich seh’ nicht recht.“ Doch das Tier stand wirklich dort. Diese erste Begegnung liegt ein Jahr zurück, und es ist nicht arg übertrieben zu behaupten, dass das weiße Reh inzwischen halb Neckarweihingen auf Trab hält.

 

Der Hobbykünstler plant ein lebensgroßes Modell

Hubert Gänser-Hampp zum Beispiel beschäftigt sich so viel mit dem ungewöhnlichen Tier, dass seine Frau bisweilen nachfragt, ob er mit ihr oder mit dem vierbeinigen Albino verheiratet sei. Gänser-Hampp, der außer der Natur auch das Motorsegeln und das Bootfahren allgemein liebt, hat in den vergangenen Monaten hundertfache Aufnahmen von dem Tier gemacht.

Der 66-Jährige hat sich eine Wildkamera zugelegt, sie auf seinem Stückle montiert und ist so zu seltenen Fotos gekommen: das Reh allein auf weiter Flur, das Reh mit seinem Kitz, das weiße Reh in Gesellschaft brauner Rehe. Mal still stehend, mal äsend, mal springend. Außerdem hat Gänser-Hampp Collagen in zigfacher Ausfertigung erstellt. Dafür hat er seine unzähligen Reh-Fotos umkränzt mit Blättern und Blumen, mit Zweigen und Gräsern. Einen Kalender in kleiner Auflage hat er produziert. Und in einem kleinen Glaswürfel hat er ein Wäldchen erschaffen, auf dessen Mini-Lichtung ein weißes Reh aus Kunststoff steht. Knipst man das Lämpchen an, das kaum sichtbar am Inneren des Würfeldachs hängt, leuchtet das Reh fast schneeweiß. „Dieses Tier hat etwas Ästhetisches“, schwärmt der Hobbykünstler, der bereits sein nächstes große Kunstprojekt plant. Im Sommer will er das Reh als lebensgroße Skulptur aus Gips modellieren.

Weiß ist das Neckarweihinger Reh wegen eines Gendefekts, ihm fehlt der Farbstoff Melanin. Abgesehen davon, dass es sich deshalb leichter einen Sonnenbrand zuziehen kann, ist das nicht tragisch. Streng genommen ist ein weißes Reh also nichts Besonderes, aber eine Seltenheit ist es trotzdem. Als vor zweieinhalb Jahren im Erzgebirge eines gesichtet wurde, landete es sogleich in den Schlagzeilen. Das Albino, das vor zwei Jahren in Mittelbayern durch den Wald sprang, sorgte ebenfalls für Gesprächsstoff. Und der weiße Bock aus Unterfranken erregte voriges Jahr auch Aufsehen. Selbst Jagd-Fachmagazine drucken immer Fotos von weißen Rehen.

Der Jagdpächter sorgt sich um die Tiere

Trotzdem gefällt dem Jagdpächter von Neckarweihingen der Trubel um das melaninlose Reh in seinem Wald überhaupt nicht. Je mehr Aufmerksamkeit dem Tier zuteil werde, desto gefährdeter sei es, lässt er seine Frau erklären, die nicht mit ihrem Namen in der Zeitung erscheinen will. Gemeint ist das so: Wenn das weiße Reh zur Sensation verklärt werde, werde es immer mehr Sensationslustige geben, die das Tier erspähen wollen. Und wenn immer mehr Menschen, womöglich mit undisziplinierten Kindern und jagdlustigen Hunden, durch die Pampa latschten, dann hätten die Rehe keine Ruhe mehr. Zumal sie in ihrem kleinen Wald ohnehin nur wenig Platz zum Rückzug haben. „Wir raten dringend davon ab, das Reh zu kontaktieren“, sagt die Frau des Jagdpächters in strengem Ton.

Und doch ist nun auch der Bürgerverein Neckarweihingen für das weiße Reh entflammt. Er will die nächste Jahresausstellung ganz im Zeichen des „Weißen Rehs“ gestalten und hat alle Hobbykünstler in und um Neckarweihingen aufgerufen, das Tier in ihre Arbeiten zu integrieren. „Wenn wir schon so eine Besonderheit haben, muss man doch was daraus machen“, sagt Roland Schmierer, der Vorsitzende des Bürgervereins, der schon ganz aufgeregt ist, wenn er an die potenziellen Exponate denkt. Bilder werden dabei sein, klar, und Schnitzarbeiten. Aber womöglich auch ein Klöppelwerk oder ein ganz besonderer Likör. Und ganz vielleicht sogar auch ein Roman. Der Neckarweihinger Autorin Sonja Haueisen hat Roland Schmierer das Motiv besonders ans Herz gelegt. Dass Verehrer des weißen Rehs diesem womöglich einen Bärendienst erweisen, kann sich Schmierer nicht vorstellen. „Das Reh muss nicht vor Schaulustigen Angst haben – sondern nur vor einem Jäger“, sagt Schmierer.

Wobei das in diesem Fall nicht stimmen dürfte. Laut einer uralten Legende werden weiße Rehe nicht geschossen, das würde dem Jäger Unglück bringen. Vielleicht, ist zu hoffen, hat das Neckarweihinger Reh ja wirklich seine Ruh’.