Rund um den fünften Jahrestag des Polizeieinsatzes am 30. September 2010 laufen die Vorbereitungen auf einen weiteren Prozess auf Hochtouren: Das Verwaltungsgericht verhandelt über die Rechtmäßigkeit des Einsatzes.

Lokales: Christine Bilger (ceb)

Stuttgart - Über das, was am 30. September 2010 im Schlossgarten geschehen ist, sind nicht nur Stuttgart-21-Gegner empört. Auch unter Projektbefürwortern und selbst innerhalb der Polizei gibt es viele Stimmen, die verurteilen, was an jenem Tag vorfiel: dass die Polizei mit Wasserwerfern, Pfefferspray und Schlagstöcken den Park räumte und es bei diesem entgleisten Einsatz viele Verletzte gab.

 

Eine juristische Frage ist noch offen: die nach der Rechtmäßigkeit des Einsatzes und der Verhältnismäßigkeit der Einsatzmittel. Darüber verhandelt vom 28. Oktober an das Verwaltungsgericht. Es sind sieben Kläger, darunter ist der Rentner Dietrich Wagner, der am „schwarzen Donnerstag“ schwerste Augenverletzungen erlitt. Geklagt wird auf die Feststellung, dass der Polizeieinsatz rechtswidrig gewesen sei.

Bildeten die Demonstranten im Park eine Versammlung?

Im Wesentlichen wird es um zwei Fragen gehen. Die erste ist die, ob der Polizeieinsatz so überhaupt hätte stattfinden dürfen. Dabei spielt die Frage eine Rolle, wie die Anwesenheit der Projektgegner im Park gewertet wird. Durch den Parkschützeralarm auf den Plan gerufen, strömten Tausende in den Schlossgarten. Es war durchgesickert, dass die Polizei zum Absperren in den Park unterwegs war, weil die Bahn am nächsten Tag Bäume auf dem Baustellengebiet für die Anlage des Grundwassermanagements fällen wollte. Es wird zu klären sein, ob ihr Protest als Versammlung gewertet wird. Eine solche hätte vor einer Räumung von der Versammlungsbehörde, also der Stadt Stuttgart, aufgelöst werden müssen. Die zweite Frage wird sein, ob es verhältnismäßig war, am 30. September 2010 mit Pfefferspray, Schlagstock und Wasserwerfer gegen die Demonstranten im Park vorzugehen.

Im vergangenen Jahr hat sich schon einmal ein Gericht zu den Fragen, die zum „schwarzen Donnerstag“ noch offen sind, geäußert. Die Richterin Manuela Haußmann kam im sogenannten Wasserwerferprozess am Landgericht zu dem Schluss: „Die Kammer ist überzeugt, dass der Einsatz der Wasserwerfer am 30. September 2010 rechtmäßig und mit Ausnahme der Wasserabgaben in Kopfhöhe auch verhältnismäßig war.“ Hätte die Richterin nicht schon vorher wegen der unruhigen Stimmung im Publikum den Saal räumen lassen, sie hätte einen Sturm der Entrüstung geerntet. Denn zum einen saßen im Publikum überwiegend scharfe Kritiker des Einsatzes, die diese Einschätzung grundsätzlich in Frage stellen. Zum anderen waren diese auch der Überzeugung, dass es nicht Aufgabe des Wasserwerferprozesses war, diese Frage zu klären. In dem Verfahren ging es um die Rolle zweier hochrangiger Polizeibeamter, das Verfahren wurde eingestellt. In der Folge des Prozesses ermittelte die Staatsanwaltschaft gegen den Ex-Polizeipräsidenten Siegfried Stumpf, der im März einen Strafbefehl akzeptierte.

Wagner hofft auf Schadenersatz und Schmerzensgeld

Die Kläger sind sich sicher, dass sie recht bekommen: „Ich habe keinen Zweifel daran, dass der Einsatz rechtswidrig war“, sagt der Anwalt Frank-Ulrich Mann, der den Rentner Dietrich Wagner vertritt. Er bezieht sich auf eine Einschätzung, die ebenfalls aus dem Wasserwerferprozess stammt: Das Gericht sei zu der Ansicht gekommen, dass zumindest die Wasserstöße auf Köpfe unverhältnismäßig waren. Auch dass das Amtsgericht Strafbefehle gegen die Wasserwerferfahrer und den Polizeipräsidenten ausgestellt habe, untermauere seine Position, sagt Mann. Das Verfahren sei für seinen Mandanten ein weiterer Schritt zu Schadenersatz in Form von Schmerzensgeld – und zur Sühne.

Würde das Gericht entscheiden, dass der Einsatz nicht rechtmäßig war, wäre das zum einen eine Grundlage für Schadensersatzforderungen. Außerdem müsste das Polizeipräsidium Stuttgart dienstrechtliche Konsequenzen prüfen, wenn Beamten grobe Fahrlässigkeit nachgewiesen werde, sagte ein Sprecher des Innenministeriums.

Auch die Polizei setzt Hoffnung auf den Prozess: „Mit dem Verfahren sollte nach fünf Jahren wieder Ruhe einkehren“, sagt Rüdiger Seidenspinner, der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei. Der „unschön ausgegangene“ Einsatz werde immer noch von einigen als Maßstab genommen, wenn sie die Arbeit der Polizei beurteilten – auch wenn alle anderen Einsätze „hervorragend gemeistert“ würden.