Das Baby schreit, die Staubflocken tanzen Ballett, die Nerven der Eltern liegen blank: Höchste Zeit, sich eine Wellcome-Patin ins Haus zu holen. Die putzt zwar nicht die Wohnung, kümmert sich aber ums Kind.

Ditzingen - Auf vieles im Leben wird man vorbereitet. Doch nur die wenigsten Menschen können sich vorstellen, wie es wirklich wird, wenn ein Kind auf die Welt kommt. Auch die 42 Jahre alte Annette Jaguttis und ihr drei Jahre älterer Mann Marc aus Hirschlanden wurden mit der Geburt ihres Wunschkindes Luisa vor knapp zweieinhalb Jahren gewissermaßen ins kalte Wasser geworfen. „Die ersten Monate waren wirklich hart. Luisa wollte nicht richtig trinken und hat nur geschrien“, erzählt Annette Jaguttis. Weil sie die Milch schließlich abpumpen musste, bekam die Kleine die Flasche häufig vom Vater und entwickelte sich dabei immer mehr zum Papa-Kind. „Sie ließ sich einfach nicht mehr von mir beruhigen“, erinnert sich Annette Jaguttis.

 

Bei Wellcome gibt es etwa 40 Ehrenamtliche

Als Luisa schließlich neun Monate alt war, ging nichts mehr, die Nerven in der Familie lagen blank. An Schlaf und Ruhe war kaum noch zu denken, und wenn das Kind dann doch mal friedlich war, wurde die Zeit zum putzen, aufräumen und kochen genutzt. Die junge Familie gilt als typischer Fall für die sogenannten Wellcome-Paten. Rund 40 Ehrenamtliche kümmern sich unter dem Dach des Kreisdiakonieverbandes Ludwigsburg seit etwa sechs Jahren um Babys, begleiten die Eltern zum Kinderarzt oder zu Behördengängen, gehen mit den Kleinen spazieren, während sich die Mutter ausruht, oder hören sich einfach nur die Sorgen der jungen Eltern an.

Bei einem Besuch des Eltern-Kind-Cafés Elba in Ditzingen hörten Annette und Marc Jaguttis von dem Projekt und beschlossen kurzerhand, Hilfe bei den Wellcome-Engeln zu suchen. Sie meldeten sich bei der zuständigen Koordinatorin, und kurze Zeit später kam ihre Retterin in Person der 58 Jahre alten Marlies Schneider-Heling zum ersten Mal ins Haus. Fortan besuchte die Mutter dreier Kinder die Familie Jaguttis einmal in der Woche und kümmerte sich eineinhalb bis zwei Stunden um die kleine Luisa. „Ich habe den Kinderwagen durch Hirschlanden geschoben, so dass die Eltern wenigstens mal ein bisschen Ruhe und eine kleine Pause hatten“, erzählt die Wellcome-Patin, während sie das zweitgeborene Kind der Familie, die acht Monate alte Laura, auf dem Schoß hält.

Wer gehört zur Zielgruppe?

Die Besuche ihrer Wellcome-Patin seien eine große Erleichterung gewesen, berichtet Marc Jaguttis. „Doch am Anfang haben wir uns dennoch gegen diesen Schritt gewehrt, denn wir wussten ja auch gar nicht, wer da nun zu uns kommt“, sagt er. Immerhin vertraue man seinen größten Schatz einem fremden Menschen an – das Loslassen sei ihnen beiden nicht gerade leicht gefallen. Zudem frage man sich als Eltern auch: Warum klappt das nicht mit meinem Kind, was mache ich falsch? Bin ich überhaupt die richtige Zielgruppe, und schaffe ich das nicht doch alleine? Sind wir wirklich „solche Menschen“ die das brauchen?

Doch darum gehe es gar nicht, auch wenn Marlies Schneider-Heling solche Bedenken der Eltern durchaus verstehen kann. Es sei ein positives Eingeständnis, wenn man sich fremde Hilfe ins Haus hole; ein Eingeständnis, dass man es alleine nicht schaffe, mit der Situation gar überfordert sei. Marlies Schneider-Heling spricht auch von ihrer eigenen Erfahrung, als sie vor 30 Jahren aus dem Rheinland nach Ditzingen zog und drei Kinder ohne die Hilfe von Großeltern oder Bekannten großzog. „Wenn man niemanden kennt, der einem das Kind wenigstens mal für kurze Zeit abnimmt, kann das eine sehr belastende Situation sein“, sagt sie. Mit Überforderung oder Schuld habe es daher überhaupt nichts zu tun, wenn man sich an die Wellcome-Paten wende. „Ich wäre damals froh gewesen, hätte es ein solches Angebot gegeben. Nun kann ich meine Erfahrungen als Mutter weitergeben.“

Ruhe ist sehr wichtig für die Eltern

Drei Monate lang kam sie in die Familie Jaguttis, dann endete ihr Engagement für die Tochter Luisa; die Regeln des Projekts sehen nur eine Betreuung von Kindern bis zu einem Alter von maximal zwölf Monaten vor. Doch seit die Schwester Laura auf der Welt ist, kommt die 58-Jährige wieder regelmäßig zu der inzwischen vierköpfigen Familie und gehört gewissermaßen fast schon dazu. „Frau Schneider-Heling ist eine ganz tolle Hilfe, wir schätzen sie sehr und wissen unser Kind in den allerbesten Händen“, schwärmen die Eltern. Beide haben sich nun angewöhnt, während der Betreuungszeit durch Marlies Schneider-Heling bewusst nicht mit dem Staubsauger durch die Wohnung zu hetzen, sondern sich auch einmal die Zeit für einen Kaffee zu nehmen, zu reden oder sich einfach mal mit einer Zeitschrift aufs Sofa zu setzen – und wenn es nur für zwei Stunden ist. Auch wenn der Haushalt in der Zwischenzeit dann liegen bleibt. Denn die Wellcome-Paten sind explizit nicht als Haushaltshilfe gedacht, sondern einzig als Betreuung für das Baby.

Tipps sind durchaus gefragt

In Sachen mentaler Hilfe allerdings sind die Paten durchaus gefragt. „Wenn man mich fragt, gebe ich gerne Tipps, aber die Richtung in Sachen Erziehung geben ganz klar die Eltern vor“, sagt Schneider-Heling. Sie empfinde die Zeit, die sie in einer anderen Familie verbringe, in keiner Weise als Opfer. „Man gibt ein bisschen von der eigenen Zeit und der Erfahrung ab und bekommt unglaublich viel zurück!“

Das Wellcome-Projekt

Das Wellcome-Projekt wurde im Jahr 2002 in Norderstedt und Hamburg gegründet, seit 2007 ist die Bundeskanzlerin Angela Merkel Schirmherrin. Bundesweit gibt es etwa 250 Standorte, drei davon im Kreis Ludwigsburg (Ludwigsburg, Bietigheim-Bissingen und Ditzingen).

Wer sich als Familie für eine solche Betreuung interessiert, meldet sich zunächst bei der Koordinatorin Katrin Holzapfel unter Telefon 0176/ 11 95 42 12 oder per E-Mail an ludwigsburg@wellcome-online.de, diese vermittelt dann eine Hilfe.

Die Vermittlung kostet einmalig zehn Euro, jede Einsatzstunde schlägt mit fünf Euro zu Buche. Einkommensschwache Familien werden zwar entsprechend unterstützt, sollten sich aber mit einem geringen Betrag oder einem Dankeschön – etwa in Form einer Essenseinladung zuhause – beteiligen.

Auch Menschen, die sich für das Ehrenamt als Wellcome-Pate interessieren, sind willkommen. Mehr Information gibt’s unter www.wellcome-online.de.