Deutschland geriert sich gern als Vorreiter der Energiewende. Doch beim Weltenergiekongress, der zurzeit in Korea stattfindet, zeigt sich, dass die Versorgung weltweit im Umbruch ist – und es keine allgemeingültigen Lösungen gibt.

Daegu - Leonhard Birnbaum weiß, womit er sein Gegenüber zurzeit „blendend unterhalten“ kann: mit der deutschen Energiewende. Die, so erzählt der Vorstand des größten deutschen Versorgers Eon am Rande des Weltenergiekongresses im südkoreanischen Daegu, stoße international auf großes Interesse, aber auch auf viel Unverständnis – welches in einer der Diskussionsrunden, an denen Birnbaum teilnimmt, auch hörbar wird. Ein ungläubiges Raunen geht durch die Reihen, als der Deutsche dem internationalen Publikum erzählt, dass der deutsche Strompreis zu mehr als der Hälfte aus Steuern besteht und wiederum gut ein Drittel davon auf die Förderung umweltfreundlicher Erzeugung entfällt.

 

Als krasses Gegenteil davon erscheinen im direkten Kontrast der internationalen Konferenz die USA. Dort sind in letzter Zeit 160 Kohlekraftwerke vom Netz gegangen und die Kohlendioxidemissionen seit 2006 deutlicher gesunken als in Europa. Und das ganz ohne Subventionen und Steuerungsinstrumente wie einen Emissionshandel: Der Grund ist das billige Schiefergas, das den amerikanischen Gaspreis auf die Hälfte des europäischen und gar ein Drittel des asiatischen fallen ließ.Staatlicher Dirigismus auf der einen Seite, purer Markt auf der anderen – das sind wohl derzeit die beiden Extreme unter den zahlreichen Veränderungen von Energieversorgungssystemen, die derzeit weltweit zu beobachten sind. Der Weltenergierat, der alle drei Jahre den Weltenergiekongress veranstaltet (siehe Infokasten), hat die unterschiedlichen Optionen zum Anlass genommen, in einer Studie zu untersuchen, welche Auswirkungen beide Ansätze langfristig haben. Im Szenario „Symphonie“ unterstellt die Studie, dass sich die Staaten international einigen, Klimaschutzziele und eine stärkere Nutzung erneuerbarer Energien staatlich durchzusetzen. Im Szenario „Jazz“ wird alles dem freien Markt überlassen.

Fossile Energiequellen sind die tragenden Säulen

Das Ergebnis zeigt, dass sich die Energiewelt international wohl deutlich vom deutschen Traum einer weitgehend regenerativen Energieerzeugung unterscheidet: Denn selbst im staatsbestimmten Modell „Symphonie“ bleiben fossile Energiequellen, vor allem Gas und Kohle, die tragenden Säulen im globalen Mix. Lässt man dem Markt seinen Lauf, wird Kohle sogar klar dominieren, glauben die Macher der Studie, an der 60 Experten aus 30 Ländern mitgearbeitet haben.

Den Anteil erneuerbarer Energien sieht die Untersuchung im Jahr 2050 im internationalen Durchschnitt bei nur 20 bis 30 Prozent. Skepsis legt das Ergebnis auch für die Umsetzbarkeit der Klimaschutzziele nahe: Mit dem Freistil im „Jazz“-Szenario lassen sie sich demnach gar nicht realisieren, mit staatlicher Steuerung nur dann, wenn es entweder gelingt, Speichermöglichkeiten im industriellen Maßstab zu erfinden oder Kohle durch die Abscheidung von Kohlendioxid zu einer sauberen Erzeugungsquelle zu machen. Beides aber ist derzeit noch reichlich unrealistisch (siehe unten).

Die Welt ist keine Energie-Einheit

„Wie kann es sein, dass uns mit dem Argument der Nachhaltigkeit der Zugang zu Energie verweigert wird?“, fragt bei der Vorstellung der Studie ein aufgebrachter Vertreter eines afrikanischen Staates. 1,3 Milliarden Menschen weltweit haben derzeit keinen Zugang zu Elektrizität. Das würde sich aber auch nicht vollständig ändern, wenn es nur der Markt richten würde – selbst dann bliebe schätzungsweise mehr als 300 Millionen Menschen der Zugang verwehrt. Im „Symphonie“-Modell wären es sogar 530 Millionen. Der Grund für die unterschiedlichen Effekte ist, dass im freien Marktszenario die Wirtschaft viel stärker wächst als im staatlich dirigierten. Für Karl Rose, den Studiendirektor des Weltenergierates, ist aber noch ein anderes Ergebnis wesentlich: die regionalen Unterschiede. „Wir glauben viel zu oft, dass die Welt eine Einheit ist, und suchen allgemeingültige Lösungen“, beobachtet er. Doch die Realität sei eine andere. Eine der massivsten Energiewenden hat beispielsweise Island erlebt, wo schon die Ölkrise in den 1970er Jahren zu einem Umlenken geführt hat. Die naheliegende Lösung im Land der Vulkane und Geysire hieß Geothermie. Heute deckt der Inselstaat 80 Prozent seines Energiebedarfs mit Wasser und Erdwärme. Strom kostet dort 80 Prozent weniger als Benzin, wie der Leiter der Energiebehörde, Gudni Jóhannesson, berichtet, der in Daegu den langfristigen Nutzen erneuerbarer Energiesysteme beschwört. Jóhannessons Forderung, im Zweifel energieintensive Industrien dorthin ziehen zu lassen, wo Energie umweltfreundlich und günstig zu produzieren ist, will jedoch keiner so recht hören.

Japans Antwort auf die Energiefrage ist die Atomkraft

Ganz anders ist die Ausgangslage in Japan, wo die Katastrophe im Atomkraftwerk Fukushima das Energiesystem in Frage gestellt hat. Der Chef des Energieversorgers Kepco, Makoto Yagi, entschuldigt sich gleich mehrfach beim Publikum für die – wie er sagt – „Unannehmlichkeiten“, die durch den Unfall entstanden (auch wenn der Meiler seinem Konkurrenten Tepco gehört); Japans Antwort auf die Energiefrage bleibt jedoch die Atomkraft. Dem dicht besiedelten Inselstaat bleiben auch kaum Alternativen: Er verfügt nicht über eigene Rohstoffe, und Stromleitungen oder Gaspipelines zu anderen Ländern gibt es auch nicht.

„Wir sollten von der Vorstellung Abstand nehmen, dass wir wissen , was richtig ist für die Welt“, sagt denn auch der Eon-Manager Birnbaum. „Lasst jede Region die richtige Lösung finden, die passt und bezahlbar ist.“