Der Weltklimarat versucht es mit Zuckerbrot und Peitsche: Die Auswirkungen des Klimawandels seien fast überall zu spüren, aber man könne mit ihnen umgehen – wenn man nur wolle. 195 Nationen haben die Kernthesen nach langen Debatten anerkannt.

Stuttgart - Nach sieben Jahren erscheint an diesem Montag ein neuer Bericht des Weltklimarats zu den Auswirkungen der Erderwärmung, doch die wesentlichen Aussagen bleiben dieselben: Sturmfluten und Überschwemmungen sowie Dürren mit Wassermangel und Hungersnöten werden in diesem Jahrhundert zunehmen, und die Welt ist darauf in vielen Fällen kaum vorbereitet. Lohnt sich für diese Feststellungen der große Aufwand? Schließlich haben 700 Wissenschaftler über mehrere Jahre das Wissen ihres Fachgebiets zusammengetragen, und Vertreter von 195 Nationen nun eine Woche lang die Kernaussagen der Forscher einzeln debattiert. Die Berichte des Weltklimarats sind Mammutprojekte.

 

Deutsche Klimaforscher sprechen aber nicht von einer bloßen Wiederholung: Es geht ihnen in diesem Fall nicht um neuartige, sondern um verlässlichere Erkenntnisse. Daniela Jacob vom Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg hebt hervor, dass die Aussagen des Weltklimarats nun auf so solider Basis stünden, dass man sie nicht mehr wegdiskutieren könne. Und Wolfgang Cramer vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung nennt die Bestätigung des letzten Berichts aus dem Jahr 2007 eine „erschreckende Nachricht“: Jeder weiß, dass der Meeresspiegel steigt, aber nun bekommt man die Folgen noch einmal deutlich vor Augen geführt. Cramer lobt auch die konstruktive Atmosphäre in den Diskussionen der vergangenen Tage. Im Unterschied zu früheren Debatten seien heute alle Länder bereit, den wissenschaftlichen Argumenten zu folgen.

Die Ergebnisse sollen auch Laien leicht zugänglich sein

Christopher Field, einer der Koordinatoren des neuen Berichts, sagt sogar, dass die Texte im Laufe der Diskussionen mit allen Nationen besser geworden seien – und meint damit: zugänglicher für Politik und Öffentlichkeit. Eine Neuerung sind Balken, mit denen die Forscher verschiedene Risiken beschreiben: Das Risiko für Überschwemmungen in Europa geben sie zum Beispiel mit „mittelschwer“ an, halten aber auch fest, dass es sich auf ein niedriges Niveau drücken ließe, wenn man die Erfahrungen im Hochwasserschutz und in der Renaturierung von Flussauen besser nutze. Das Risiko könnte jedoch in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts steigen, wenn der Klimawandel nicht deutlich gedämpft wird. Dramatischer ist das Bild bei den Hitzewellen: Wenn man hier nicht handelt, wird sich nach Angaben des Weltklimarats das Risiko ökonomischer Verluste und gesundheitlicher Schäden deutlich erhöhen.

Durch diese grafische Darstellung wird schnell sichtbar, dass es schon heute unvermeidbare Auswirkungen des Klimawandels gibt: In Afrika bereiten Missernten zunehmend Sorgen, in Nordamerika werden Waldbrände zu einer Bedrohung und der Artenreichtum der Weltmeere ist in Gefahr. Zwei Ökosysteme werden Wolfgang Cramer zufolge voraussichtlich verschwinden: die Korallen in tropischen Gewässern und die Lebensräume der Arktis. Der Vorsitzende des Weltklimarats, Rajendra Pachauri, macht es noch plakativer und spitzt die Botschaft des Berichts zu: „Niemand auf diesem Planeten wird durch den Klimawandel unberührt bleiben“, sagt er bei der Präsentation im japanischen Yokohama.

Der Weltklimarat will auch Optimismus verbreiten

Gegen einige der bevorstehenden Änderungen lässt sich aber etwas unternehmen. Christopher Field sieht in dem Bericht eine neuartige Herangehensweise: Der kluge Umgang mit dem Klimawandel sei eine Frage des Risikomanagements. Statt nur auf Naturkatastrophen zu reagieren, plane man zunehmend mit Bedacht, wie man die natürlichen Ressourcen nutze und wie man Infrastruktur anlege. Field schwebt ein „learning by doing“ vor: Man müsse die Maßnahmen zum Klimaschutz und zur Anpassung an den Klimawandel kritisch beobachten und eventuell nachbessern.

In Europa, sagt Daniela Jacob, verfügten die Länder bereits über gute Strategien, mit dem Klimawandel umzugehen. Aus ihrer Sicht ist aber noch offen, wie man die Prioritäten richtig setzt: Wie viel sollte man beispielsweise in den Küstenschutz investieren, wie viel daneben in die nachhaltige Landwirtschaft und wie viel in eine städtische Infrastruktur, die mit Hitzewellen zurecht kommt? Welche Kriterien diese Entscheidungen leiten sollten, könne auch der Weltklimarat heute noch nicht sagen.

Der Weltklimarat in Stichpunkten

Geschichte
Der Weltklimarat IPCC (die Abkürzung steht für: International Panel on Climate Change, also: Zwischenstaatliches Gremium zum Klimawandel) wurde 1988 vom UN-Umweltprogramm (Unep) und der Weltvereinigung der Meteorologen (WMO) gegründet. Er soll den Stand der Klimaforschung in umfassenden Berichten zusammentragen. Bisher sind vier Berichte erschienen: 1990, 1995, 2001 und 2007. Im Dezember 2007 wurde der IPCC gemeinsam mit Al Gore mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Geleitet wird der IPCC vom indischen Ingenieur und Ökonomen Rajendra Pachauri.

Berichte
Die sogenannten Sachstandsberichte (Assessment Reports) sind in drei Teile gegliedert. Im September 2013 ist der erste Teil des fünften Berichts erschienen, in dem es um physikalische Grundlagen ging: Wie entwickeln sich Temperaturen und Meeresspiegel? Und wie hängt das von den Treibhausgasen ab? Im zweiten Berichtsteil, der nun erschienen ist, geht es um die Folgen des Klimawandels. Der dritte Teil diskutiert mögliche Maßnahmen gegen den Temperaturanstieg und mögliche Strategien der Anpassung an höhere Temperaturen. Er wird im April 2014 in Berlin vorgestellt.

Entstehung
Jeder Bericht und jedes Kapitel wird von einem leitenden Wissenschaftler verantwortet. Diese Forscher werden von den 195 Mitgliedsstaaten der UN-Klimarahmenkonvention berufen und beauftragt, bestimmte Fragen zu beantworten. Für den aktuellen Bericht wurden viele neue Wissenschaftler als Autoren bestellt. Den Bericht erstellen die Wissenschaftler dann mit Fachkollegen, die meist ehrenamtlich arbeiten. Die Hauptautoren werden von einem kleinen Team des IPCC in technischen Dingen unterstützt. In mehreren Runden werden Entwürfe des Berichts an Gutachter und Regierungen geschickt. Am zweiten Teil des Weltklimaberichts haben 300 Wissenschaftler als Autoren mitgewirkt, weitere 400 Forscher haben Material zugeliefert.

Zusammenfassungen
Die Berichte sind sehr umfangreich; jeder der drei Teile ist 1000 bis 2000 Seiten lang. Politisch bedeutend sind die „Zusammenfassungen für Entscheidungsträger“ (Summaries for Policymakers). Sie werden von den Delegationen der 195 beteiligten Staaten Satz für Satz einstimmig verabschiedet. Das ist vergangene Woche bei einer Konferenz in Yokohama geschehen. Dieses Verfahren soll den Vorteil bieten, dass die Schlussfolgerungen von allen Staaten akzeptiert werden. Die beteiligten Wissenschaftler versichern, dass es dabei nur um Formulierungen gehe, nicht aber um die Fakten. Die Verhandlungen sind vertraulich.