Thomas Keilig hat in der kalifornischen Wüste das fliegende Teleskop Sofia konstruiert. Nun kehrt der Ingenieur nach Stuttgart zurück.

Palmdale - Der Himmel wölbt sich über rötlicher Erde, die hier und da mit Büschen und trockenem Gras bedeckt ist. Drei Meilen hinter Palmdale an der schnurgeraden Straße ragen graue Bauten auf, gut gesichert durch einen hohen Zaun. Hier hat die amerikanische Raumfahrtbehörde Nasa mehrere Flugzeuge zu Forschungszwecken stationiert-unter anderem eine Boeing 747, die ein in Deutschland entwickeltes Teleskop beherbergt.

 

Hier, in der kalifornischen Wüste, liegt seit mehr als viereinhalb Jahren der Arbeitsplatz von Thomas Keilig. Früher fuhr Keilig jeden Tag über die grünen Hügel auf der A8 nach Stuttgart-Vaihingen, wo er in der Materialforschung am Institut für Flugzeugbau und beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrttechnik arbeitete. Eine interessante Arbeit. Eigentlich.

"Ein Traum für jeden Wissenschaftler"

Nach dem Studium der Luft- und Raumfahrttechnik hat Keilig zwölf Jahre lang an der Uni Stuttgart mit schwäbischer Akribie getüftelt, damit Flugzeugsitze noch ein paar Gramm leichter werden, damit Stützen aus Kohlefaser filigran und haltbar zugleich sind. Doch nach so langer Zeit in der Materialforschung trat bei ihm auf, was jeder beim Material am meisten fürchtet: Ermüdungserscheinungen. "Ich dachte, wenn ich noch mal etwas Neues machen möchte, dann muss es jetzt sein." Thomas Keilig war damals 38 Jahre alt. Er wohnte immer noch in seinem Geburtsort Mühlacker bei Pforzheim, er fühlte sich wohl, doch es wurde ihm zu eng. Er musste raus.

Den neuen Job brauchte er nicht zu suchen, er lief ihm über den Weg: Im November 2004 wurde an der Universität Stuttgart das Sofia-Institut gegründet. Das deutsch-amerikanische Projekt hat das Ziel, den Himmel mit einem Teleskop zu erforschen, das in einem Flugzeug steckt. Keilig bewarb sich und wurde genommen. Er wusste, dass der Job mit vielen Aufenthalten in den USA verbunden sein würde-die große Weite nach den engen schwäbischen Tälern.

Seine Aufgabe war es, den gesamten Einbau und die Justierung des Teleskops zu leiten. "Das Projekt ist ein Traum für jeden Wissenschaftler", sagt der nun 44-Jährige in seinem klimatisierten Büro. Draußen brennt die Sonne vom Himmel, während es in Deutschland Nachtfröste gibt. Die Faszination, ein Pionier zu sein, etwas zu tun, was jeder für unmöglich halten würde- "das ist nach wie vor einmalig", sagt Keilig. Was kann es für einen Techniker Faszinierenderes geben, als ein Flugzeug mit einem Loch im Rumpf zu konstruieren und ein Teleskop, das Bilder von den Sternen während des Fluges zur Erde sendet?

"Ich wollte Pilot werden, nichts anderes"

Thomas Keilig schaute schon als kleiner Junge jedem Flugzeug hinterher, das über Mühlacker zum Landeanflug auf Stuttgart-Echterdingen ansetzte. "Ich wollte Pilot werden, nichts anderes", erzählt er - doch seine Augen waren zu schlecht, der Traumberuf blieb unerreichbar. Mittlerweile besitzt er immerhin einen privaten Flugschein. An den Wochenenden dreht er mit einer kleinen Maschine über Kalifornien und Arizona ein paar Runden und entspannt sich dabei vom beruflichen Stress und den vielen Überstunden.

Zunächst, bis Juli 2007, traf sich das deutsch-amerikanische Sofia-Team regelmäßig in Waco/Texas. "Wir waren zwei bis sechs Wochen dort und arbeiteten fast rund um die Uhr, dann flogen wir wieder nach Hause", sagt der Luftfahrtingenieur. Zwischendrin stand das Projekt auf der Kippe, es verschlang mehr Geld als geplant. Die beiden beteiligten Staaten mussten sich entscheiden: noch mehr aufwenden oder aufgeben? Schließlich rang sich die amerikanische Regierung zu einem finanziellen Kraftakt durch.

Rund 600 Millionen Euro von insgesamt 700 Millionen Euro tragen nun die USA. Und die Arbeiten sind an einem amerikanischen Standort konzentriert worden - in Palmdale/Kalifornien. Thomas Keilig wurde zusammen mit elf weiteren deutschen Projektmitarbeitern- Regelungstechniker, Softwarefachleute, Mechaniker und Aerodynamiker - in die Mojave-Wüste geschickt. "Unsere Büros waren anfangs noch gar nicht fertig", erzählt er. 

"Deutsche sprechen Probleme an"

Der Empfang war dennoch verheißungsvoll: "Wir wurden warm und sehr herzlich begrüßt." Gleich am ersten Wochenende gab es ein gemeinsames Barbecue - doch das war es dann auch mit dem binationalen Freizeitspaß. "Es ist schwer, Freundschaften zu den Einheimischen aufzubauen", sagt Keilig. Die Deutschen bleiben unter sich. Die Amerikaner auch.

Heute stehen in der Werkstatt neben Ersatzteilen 1.-FC-Köln-Kaffeepötte, und die Wände zieren Aufkleber westfälischer Biermarken. Jeden Tag fahren die Amerikaner um Punkt elfUhr gemeinsam zum Lunch nach Palmdale, die Deutschen fahren genau eine Stunde später zum Mittagessen. Für Keilig waren auch die verschiedenen Meetings - "und die gibt es fast täglich" - gewöhnungsbedürftig. Die Mentalitäten seien sehr unterschiedlich. "Deutsche sprechen Probleme an, um sie gemeinsam zu lösen", sagt er.

Das sei effizient, nur arbeite kein Amerikaner so: "Die schildern erst einmal ausführlich ihre Erfolge" und nähmen das Wort "Problems" niemals in den Mund. Natürlich komme es bei einem derart komplizierten Projekt zu Schwierigkeiten, doch die würden zwischen den Meetings in Einzelgesprächen gelöst. Quasi heimlich.

"Wir haben uns wie Kinder gefreut"

Den Spaß an seiner Arbeit verlor Keilig durch die ungewohnten Arbeitsweisen freilich nicht. Dafür erlebte er zu vieles, was er niemals erlebt hätte, wenn er in Stuttgart geblieben wäre. "Ich erinnere mich noch an den ersten Flug", erzählt er, "alles war ruhig, und dann sagte der Pilot, er habe gerade die Tür für das Teleskop geöffnet. Ein drei mal viereinhalb Meter großes Loch klaffte im Rumpf - und man spürte nichts."

Das war vor zwei Jahren. Noch aufregender war für Keilig jener Flug am 26. Mai 2010, bei dem das Teleskop erstmals wissenschaftliche Daten sammeln sollte - jenes Teleskop, für das er die Verantwortung trägt: Die Tür ging über den Wolken auf, die Wissenschaftler stellten das dreifache Spiegelteleskop scharf - und bekamen gestochen scharfe Bilder auf ihren Schirm. "Es war eine unvergleichliche Stimmung", erzählt Keilig. "Wir haben uns wie Kinder gefreut."

Das Flugzeug ist eine Sternwarte. Wenn sich die Luke in 14.000 Metern Höhe öffnet, zwei Kilometer oberhalb der normalen Luftfahrtrouten, dann schaut aus dem Rumpf der Maschine das Teleskop mit einem 2,7 Meter weiten Spiegel in den Himmel. Infrarotstrahlen geben Aufschluss über die Geschichte des Universums: Wie viel Wärme schon vor einer Sternengeburt oder beim Sterben eines Himmelskörpers abgegeben wird, lässt Rückschlüsse und Berechnungen über das Alter von Galaxien zu. Eine faszinierende Wissenschaft, die elementare Fragen der Menschheit berührt.

"Es war spannend, mit der Nasa zusammenzuarbeiten"

Thomas Keilig sieht seine Arbeit am Teleskop als Dienstleistung für die Forscher. "Der Vorteil ist, dass wir immer wieder Verbesserungen am Teleskop vornehmen können", erklärt er. Bei einem Satellitenteleskop wie Hubble seien hingegen keine Nachjustierungen möglich. Und zu dem Zeitpunkt, wenn ein Weltraumteleskop ins All geschossen werde, sei die Technik eigentlich schon veraltet.

Für Thomas Keilig geht die Zeit in Kalifornien nun zu Ende. Vom 2. Januar an fährt er wieder täglich von Mühlacker nach Stuttgart. Als neuer Geschäftsführer des Deutschen Sofia-Instituts wird er künftig vom Campus in Vaihingen aus zusätzlich zur bisherigen technischen Verantwortung für das Teleskop auch die Finanzen planen, sich um Personal und neue Verträge kümmern sowie um die Einbindung deutscher Astronomen in die Forschungsflüge. Der bisherige Geschäftsführer Thomas Wegmann wechselt zurück zum Institut für Raumfahrtsysteme, dem das Deutsche Sofia-Institut angegliedert ist.

Seine Zeit in Palmdale wird Thomas Keilig in guter Erinnerung behalten. "Es war spannend, mit der Nasa zusammenzuarbeiten, und es wird mir helfen in meiner neuen Position", sagt er über seine viereinhalb Jahre in Kalifornien. Das amerikanische Umfeld wird er aber nicht missen: Palmdale hat ein Kino, ein paar Shoppingmalls - und ringsum nur Wüste.