Der Satellit Rosat stürzt unkontrolliert zur Erde. Wo er herunterkommen wird und welchen Schaden er dabei anrichten wird, weiß niemand.  

Köln - Er wiegt 2426 Kilogramm und umkreist die Erde seit 21 Jahren. Doch für Rosat, den einst unerwartet erfolgreichen Forschungssatelliten, der unter deutscher Leitung entstanden und betrieben worden ist, geht die Zeit zu Ende - und das mit einem gewissen Risiko. Zwischen dem 20. und dem 25. Oktober wird er abstürzen, so die derzeitige Prognose des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Köln. Genaue Angaben über Ort und Zeit des Aufpralls wird es nicht geben, genauso wenig wie für den US-Satelliten UARS, der erst vor Kurzem, am 24. September, in den Pazifik gestürzt ist.

 

Rosat hat nach seinem Start mit einer amerikanischen Delta-Rakete am 1. Juni 1990 die Erde zunächst in rund 580 Kilometer Höhe umkreist. Doch auch in solcher Höhe gibt es einen geringen Luftwiderstand. Der Satellit wurde langsamer und verlor Höhe. Bis zum Februar 1999, als die Messgeräte zu funktionieren aufhörten, war er der Erde um 30 bis 40 Kilometer näher gekommen. Inzwischen liegt die Flughöhe zwischen 200 und 300 Kilometer. Wenn er abstürzt, wird nur der kleinere Teil verglühen. Rund 1,7 Tonnen, verteilt auf vermutlich 30 Trümmerstücke, werden vom Himmel fallen. Der größte Brocken könnte allein 1,6 Tonnen schwer sein.

Bis zuletzt wird offen bleiben, wo er niedergehen wird. Das liegt unter anderem an den Schwankungen der Dichte der Luftschichten, durch die er stürzt. Diese Dichte wird von der Sonnenaktivität beeinflusst und ändert sich daher. Der Absturzort wird irgendwo zwischen dem 53. Breitengrad Nord und dem 53. Breitengrad Süd liegen. Der äußerste Norden Deutschlands liegt außerhalb dieses Bereichs.

"Wir hoffen, dass auch bei Rosat nichts passieren wird"

Ein wachsames Auge auf den Satelliten haben die Experten vom DLR. "Beim Absturz von UARS ist nichts passiert", sagt Johann-Dietrich Wörner, der Vorstandsvorsitzende des DLR. "Wir hoffen, dass auch bei Rosat nichts passieren wird." Viel mehr als hoffen kann Wörner aber nicht, denn Rosat hat, wie auch UARS, keinerlei Vorrichtung an Bord, mit der man ihn steuern könnte. Das war ganz anders etwa bei der russischen Raumstation Mir. Das 135 Tonnen schwere Gefährt bekam 2001 nach 15 Jahren im All ein letztes Kommando, worauf es scharf abbremste und in ein vorgesehenes Zielgebiet stürzte.

Dass große Teile von Rosat nicht verglühen würden, war beim Start bekannt. Der Satellit hat ein Teleskop an Bord, dessen Spiegel aus Zerodur bestehen, einem glaskeramischen Werkstoff, der auch für Kochfeldherde verwendet wird. Dieses Bauteil ist hitzebeständig und wird beim Absturz vermutlich nur verklumpen, vielleicht auch zerbrechen. Dass seinerzeit keine Vorsorge getroffen wurde, erklärt Wörner mit der Geschichte des Satelliten. Seit 1974 geplant, sollte er zunächst in einem Shuttle mitfliegen - und nach Ende seiner Mission auch wieder eingesammelt werden. Nach der Challenger-Katastrophe 1986 boten die Amerikaner einen Start mit einer Delta-Rakete an, ohne Rückflugticket.

Wörner versichert: "Ich bin persönlich nicht beunruhigt." Manuel Metz vom DLR-Raumfahrtmanagement weist darauf hin, dass seit Beginn der Raumfahrtgeschichte mit dem sowjetischen Sputnik mehr als 27.000 Tonnen menschengemachter Weltraummüll zur Erde zurückgekehrt sind. "Sechzig bis neunzig Prozent eines Satelliten verglühen dabei." Allein 2010 sind etwa 60 Tonnen wieder in die Erdatmosphäre eingetreten. Raketenoberstufen, Tanks - solche Teile stürzen nach fast jedem Start ab.

Die Wahrscheinlichkeit für einen Schaden ist gering

Falls doch ein Schaden eintreten sollte, kommt das internationale Weltraumrecht ins Spiel. Das sei, sagt Bernhard Schmidt-Tedd, Experte für Weltraumrecht beim DLR, "sehr geschädigtenfreundlich". Es verpflichte alle Startstaaten eines Satelliten - bei Rosat also Deutschland, die USA und Großbritannien -, als Gesamtschuldner zu haften. Das sei auch im Rosat-Vertrag ausdrücklich festgelegt. Ein Verschulden müsse nicht nachgewiesen werden.

Wie unwahrscheinlich ein Schaden sei, illustriert Wörner so: Rosat gehe mit einer Wahrscheinlichkeit von etwa 1 zu 600 auf Deutschland nieder. Er treffe irgendwo auf der Welt einen Menschen mit einer Wahrscheinlichkeit von 1 zu 2500, und ein Schaden in Deutschland habe eine Wahrscheinlichkeit von 1 zu 700.000. Dennoch ist dem DLR-Chef sichtlich nicht wohl dabei, dass er nicht mehr tun kann als die Fakten auf den Tisch zu legen. Inzwischen, so Wörner, werde bei Satellitenstarts an die Rückkehr gedacht und etwa ein kontrollierter Absturz vorgesehen. Beim DLR wird zudem geprüft, ob es möglich ist, einen außer Kontrolle geratenen Satelliten von einem anderen greifen und entweder auf eine höhere Bahn bringen oder zum Absturz bringen zu lassen. "Dieser Satellit wird gebaut, ist aber noch nicht verfügbar", sagt Wörner.

Im aktuellen Fall bleibt es also beim Informieren und Hoffen. Mit dabei ist das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, eine Behörde des Bundesinnenministeriums. "Unsere Aufgabe ist, der Bevölkerung notfalls Rede und Antwort zu stehen", sagt die Pressesprecherin Ursula Fuchs. Als UARS abstürzte, sei aber das Interesse an der Bürger-Hotline gering gewesen. Niemand habe angerufen.

Infos zum Absturz

Infos zum Bundesamt für Bevölkerungsschutz

Der Satellit Rosat - Eine Erfolgsgeschichte

Leiter Joachim Trümper war von 1971 bis 1975 Direktor des Astronomischen Instituts der Universität Tübingen. Aus dieser Zeit stammt seine Idee, ein Röntgenteleskop ins All zu schicken. Erst 1990, Trümper war inzwischen am Max-PlanckInstitut für Extraterrestrische Physik in Garching, wurde Rosat unter seiner wissenschaftlichen Leitung gestartet.

Teleskop Röntgenstrahlen dringen nicht durch die Erdatmosphäre. In einer Höhe von 580 Kilometern konnte Rosat aber mehr als 80.000 Röntgenquellen am Himmel entdecken: Schwarze Löcher, Neutronensterne und vieles mehr. Zur Überraschung der Forscher kam Röntgenstrahlung auch von kalten Objekten: dem Mond, Planeten und Kometen. Die Spiegel des Röntgenteleskops waren so glatt geschliffen, dass sie, so Trümper, lange im Guinnessbuch der Rekorde standen. DLR-Chef Johann-Dietrich Wörner führt die Gleitsichtbrille auf die damals bei Zeiss in Oberkochen entwickelte Schleiftechnik zurück.

Mission Rosat war für eine aktive Zeit von 18 Monaten konzipiert. Am Ende funktionierten Teile der Messapparaturen achteinhalb Jahre lang, bis Februar 1999. 4000 Wissenschaftler aus 26 Ländern haben mit dem Observatorium Erkenntnisse über das Weltall gesammelt und veröffentlicht.