Die Krawatte ist längst kein konventionelles Accessoire mehr. Warum sie sich zum spielerischen Retro-Zitat der Großstadt-Hipster gewandelt hat und weshalb Donald Trump jegliches Modebewusstsein vermissen lässt, erklärt der Chef des Deutschen Mode-Instituts, Gerd Müller-Thomkins.

Köln - Für manche ist sie das Tüpfelchen auf dem I des Outfits, für andere ein Folterinstrument. Wie auch immer Mann zur Krawatte steht: am heutigen Dienstag wird sie gefeiert, es ist der Welttag der Krawatte. Dabei ist das traditionsreiche Accessoire längst nicht mehr das, was es einmal war. Gehörte die Krawatte früher zur Konvention, ist sie heute teilweise schon Provokation. Das jedenfalls sagt Gerd Müller-Thomkins, Geschäftsführer des Deutschen Mode-Instituts in Köln. Dort wird seit 1965 jedes Jahr die Auszeichnung „Krawattenmann des Jahres“ verliehen. Der erste Preisträger war damals der Moderator Hans-Joachim Kulenkampff, im vergangenen Jahr ging der Preis an den Modedesigner Guido Maria Kretschmer.

 
Herr Müller-Thomkins, auf den deutschen Chefetagen sieht man immer weniger Männer mit Krawatte? Stirbt das Accessoire aus?

Seit vielen Jahren wird die Krawatte in Frage gestellt und dafür gibt es eigentlich keinen Grund. Krawatten werden getragen und Krawatten werden auch nicht getragen. Auf Geschäftsebene hat sich ein konventionsfreier Raum entwickelt, daher kann es durchaus vorkommen, dass der Vorgesetzte keine Krawatte trägt, der Untergebene aber schon. Die Art und Weise, wie die Krawatte getragen wird, hat sich insgesamt stark verändert.

Inwiefern?

Früher griff der Mann nachtblind in den Kleiderschrank und trug irgendeine Krawatte, stilistisch ganz unabhängig von Hemd, Sakko und Anzug. Sie führte ein unikates Dasein. Die Krawatte ist zwar nach wie vor ein eigenständiges Schmuckelement im Ensemble der männlichen Accessoires, der Umgang mit ihr ist aber bewusster und unkonventioneller geworden. Es kommt jedoch darauf an, in welchem beruflichen und privaten Umfeld sowie in welchem modischen Milieu man sich bewegt.

Nennen Sie uns bitte ein Beispiel.

Der jugendliche Hipster mit Haardutt und Vollbart, kurzem karierten Hemd mit hochgekrempelten Ärmeln und tätowierten Unterarmen - zu diesem Outfit trägt er gerne eine Krawatte. Die kann auch gestreift sein, der Bruch ist in dem Fall gewollt. Wenn die Krawatte früher Konvention war, ist sie heute zuweilen Provokation. Sie tritt auch dort auf, wo man sie nicht vermutet. Die nachwachsende Generation entdeckt dieses Requisit für sich neu und spielt mit unterschiedlichen Stilen und Kombinationen. Diese Männer müssen keine Krawatte tragen, sie möchten sie tragen.