Der Gemeinderat hat jetzt einstimmig die Planungen zu einer Neuordnung und Neunutzung des Otto-Areals gebilligt. Auf knapp zehn Hektar sind Wohnungen und Betriebe mit hochwertigen Arbeitsplätzen vorgesehen.

Wendlingen - So ein Gewerbegebiet, das trotz hervorragender Verkehrsanbindung in Teilen brach liegt, das schreit nach einer Entwicklung!“ Das sagte jetzt der Architekt und Stadtplaner Professor Wolfgang Schreiber vom Stuttgarter Entwicklungsbüro „schreiberplan“ in der jüngsten Sitzung des Wendlinger Gemeinderats. Schreie dieser Art sind freilich in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten schon des öfteren erklungen – doch tatsächlich geschehen ist bislang nichts.

 

Bezahlbarer Wohnraum soll entstehen

Seit sich die Stadt, die Eigentümerfirma HOS und der Verband Region Stuttgart vor drei Jahren als Projektpartner ein „zukunftsweisendes Entwicklungskonzept“ für das summa summarum knapp zehn Hektar große Areal aufs Panier geschrieben haben, scheint die Sache indes voranzukommen. Ziel des Konzepts, so heißt es in der Antragsbegründung der Verwaltung, „ist ein innenstadtnahes, urbanes Quartier, in dem hochwertige Arbeitsplätze in attraktiven Gebäuden untergebracht sind“.

Auch der Geschosswohnungsbau wird angepeilt, gestaffelt nach unterschiedlichen Standards und bei einem Bruttogrundflächenschlüssel von 30:70 Prozent gegenüber Gewerbe und Dienstleistung. Zwar muss der Gemeinderat die Zahl der Wohneinheiten noch endgültig festlegen, 15 Prozent der Wohnfläche sollen allerdings gemäß städtischem Innenentwicklungsmodell strikt auf den preislimitierten Mietwohnungsbau entfallen.

Industrieanlage gleicht einem Wahrzeichen der Stadt

Für Liebhaber denkmalgeschützter Industriebauten ist das Areal des einstigen württembergischen Spinnerei- und Webereiimperiums Otto ein wahres Dorado. Wer sich Wendlingen über die Neckar- und Bahnbrücke nähert, erkennt in dem imposanten Kesselhaus fast schon ein Wahrzeichen der Stadt, gar von einem „Herzstück und Juwel“ spricht Architekt Schreiber mit Blick auf die Spinnerei von 1887. Der nach englischem Vorbild errichtete dreigeschossige Bau mit seinen markanten Ecktürmen und Jugendstildetails im Innern zählt zum Kernstück des städtebaulichen Entwurfs, bei dem nach den Worten Schreibers „die Struktur der vorgegebenen Industrieanlage“ erhalten bleiben soll.

Und so wird die frühere Werkstraße zum „Boulevard“ und mündet im „Turbinenplatz“. Die Konzeption sieht in diesem Bereich vor, dass historische Gebäude und neue Gewerbebauten in Verbindung mit Gastronomie und „kreativen“ Werkstätten ein urbanes Zentrum bilden. Fürs markante Kesselhaus werden Nutzungsmöglichkeiten für die Bereiche Gastronomie, Veranstaltungen und Ausstellungen erwogen. Den Grünbestand wie etwa die Lindenalleen will man weitgehend schonen.

Einzelhandel könnte entstehen

Fürs produzierende Gewerbe und Handwerksbetriebe, Supermärkte oder gar Speditionen sehen die Planer auf dem Otto-Areal keinen Platz. Einzelhandelsgeschäfte für den täglichen Bedarf wie etwa Bäckereien oder Obst- und Gemüseläden sind dagegen möglich. Und für lärmintensive oder sonstwie störende Betriebe soll das Gewerbegebiet auf dem Unterboihinger HOS-Gelände erweitert werden.

In der abschließenden Aussprache in der Ratsrunde wurde mehrfach die Bedeutung des Entwicklungskonzepts für Wohnen und Gewerbe unterstrichen. Mit dem vier Punkte umfassenden Ratsbeschluss wird die Stadtverwaltung beauftragt, Schritte zur Änderung des Flächennutzungsplans, zur Durchführung eines sogenannten Zielabweichungsverfahrens in punkto übergeordneter Pläne und eines Bebauungsplanverfahrens einzuleiten. Bürgermeister Steffen Weigel dämpfte zum Schluss allzu hochfahrende zeitliche Erwartungen. Man sei „ganz am Anfang eines Weges“, betonte er, habe dazu aber jetzt eine wichtige Marke gesetzt.

Aufstieg und Niedergang

Chronik
Seit der Gründung einer Baumwollspinnerei durch Immanuel Friedrich Otto in Nürtingen sind 200 Jahre vergangen. Diese Zeit war anfänglich von Prosperität und Expansion geprägt. Otto und Melchior (ein Schwiegersohn Heinrich Ottos)zählten gerade im Neckartal bald zu den wichtigsten Unternehmen, Otto machte auch durch soziale Reformen gegenüber der Arbeiterschaft von sich reden.