Die geplante kleine Variante der Wendlinger Kurve ist auch nach Ansicht der Deutschen Bahn umstritten - und wird als riskant eingestuft.  

Stuttgart - Wenn es um die Projektkosten für Stuttgart 21 geht, gibt sich die Deutsche Bahn (DB) felsenfest überzeugt: der Gesamtetat von maximal 4,5 Milliarden Euro (Bau- und Planungskosten inklusive Risikofonds) werde nicht überschritten, heißt es ein ums andere Mal. Und dies, obwohl regelmäßig neue Kosten etwa beim Ausbau des Grundwassermanagements oder den Umbaumaßnahmen der Stadtbahn bekannt werden.

 

Nun drohen auch bei einem weiteren Abschnitt des Bahnprojekts hohe Zusatzkosten. Bis jetzt plant die Bahn-Tochter DB Netz AG mit einer Sparvariante der sogenannten Wendlinger Kurve, also der Anbindung der Strecke nach Tübingen an die geplante ICE-Neubautrasse nach Ulm. Doch die kleine Version ist auch bahnintern umstritten: Nicht nur das Land und die SMA-Gutachter, sondern auch für den Fernverkehr zuständige DB-Experten halten eine große und teurere Lösung für zwingend, um die vorgegebene Betriebsqualität zu gewährleisten.

Für den Bahn-Infrastrukturvorstand Volker Kefer ist zwar der Bau einer großen Wendlinger Kurve "grundsätzlich machbar". Der Stresstest habe aber gezeigt, dass diese Ausbauoption nicht erforderlich sei. Daher sei es "derzeit auch nicht zielführend, Angaben über Kosten machen", antwortete er auf entsprechende Fragen im Internetdialogforum "Direkt zu Stuttgart 21".

Zu geringe Zeitpuffer

Schon im September 2009, also wenige Monate nach Unterzeichnung der Finanzierungsverträge zu Stuttgart 21, haben dies zumindest Kefers Kollegen bei der Konzerntochter DB Fernverkehr noch ganz anders gesehen. Sie monierten Probleme auf dem eingleisigen Streckenabschnitt und sprachen nach StZ-Informationen von einem "Risiko". So betrage der Zeitpuffer zwischen einem Regionalzug aus Tübingen, der nach der derzeitigen Planung in Wendlingen erst die ICE-Trasse Stuttgart-Ulm ebenerdig kreuzt und dann auf der Schnellbahnstrecke zum Flughafen fährt, und einem ICE nach München nur eine Minute.

Im Klartext: ICE und Regionalverkehr könnten sich fahrplantechnisch ins Gehege kommen - die Folge wäre ein Verspätungsaufbau, der sich im Verlauf der ICE-Trasse fortsetzen würde. Die Fernverkehrsfachleute der Bahn würden die für die Infrastruktur zuständige DB Netz auf das Risiko hinweisen, hieß es.

Der Hinweis wurde offenbar ignoriert, denn derzeit plant die Bahn unbeirrt mit der kleinen Lösung - obwohl die frühere schwarz-gelbe Landesregierung sogar Entgegenkommen bei der Finanzierung der Großen Kurve signalisiert hatte. Auch die Warnungen des Schweizer Verkehrsgutachterbüros SMA schlug die Bahn in den Wind.

 Große Lösung vertraglich nicht gedeckt

Die Eidgenossen hatten sich schon 2008 in einem als streng vertraulich eingestuften Arbeitspapier für "Infrastrukturanpassungen" im Bereich Wendlinger Kurve ausgesprochen. Grundlage dafür war die Nahverkehrskonzeption 2020 des Landes, die auf der Tübinger Linie mindestens drei Regionalzüge in der Spitzenstunde und pro Richtung verlangt. Bei der Präsentation des Stresstests durch die Bahn Ende Juli hatte sich die Zugbelegungszahl dann plötzlich auf zwei reduziert. Bei der Bahn heißt es, man habe 2009 den Grundtakt auf zwei Linien festgelegt, um im Kreuzungsverkehr ein größeres Zeitfenster zu haben.

SMA-Chef Werner Stohler hält die Planung für die Wendlinger Kurve gleichwohl für zu gering dimensioniert. In der derzeitigen Variante seien zwei Züge pro Stunde und Richtung zwar zulässig. Der dritte vom Land zu bestellende Zug in der Spitzenstunde sei aber "die auslösende Ursache für einen kreuzungsfreien Ausbau", lässt sich im Stresstest-Testat nachlesen. Projektkritiker wie der Tübinger OB Boris Palmer (Grüne) halten das Risiko, das DB Fernverkehr und SMA ausgemacht haben, für realistisch. Bei der Schlichtung zu S21 hatte er mit seinen Verspätungsexempeln, ausgelöst durch Wartezeiten an der Schienenkreuzung, sogar die Bahn beeindruckt.

Der Bau der Großen Wendlinger Kurve, in den Planungen als Option berücksichtigt, würde nach Ansicht von Experten Mehrkosten von 70 Millionen Euro mit sich bringen. Laut Finanzierungsvertrag muss der Gleisanschluss aus dem Budget von Stuttgart 21 bezahlt werden. Die kleine Lösung wird auf etwa 35 Millionen Euro veranschlagt. Aus dem S-21-Kommunikationsbüro verlautet aber, es gebe es erste Anzeichen dafür, dass man die Kosten deutlich unterschreiten könne. Die große Lösung, so die Lesart der DB, sei vertraglich nicht gedeckt. Wer das wolle, müsse dafür finanziell geradestehen.