Früher war alles besser? Von wegen. Ein Vergleich im Zeitraum von 200 Jahren zeigt: Die Welt hat sich deutlich zum Vorteil verändert. Menschen sterben nicht mehr an einem Schnupfen und Kriege sind in Europa mittlerweile die Ausnahme.

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Stuttgart - Besucher im Museum kennen das Phänomen. Manchmal ist es besser, einen oder zwei Schritte zurückzutreten, um ein Bild wirklich in seiner Gänze zu erkennen. Dasselbe gilt für die Geschichte: Entwicklungen werden meist erst sichtbar, wenn sie über einen längeren Zeitraum beobachtet werden. Dabei reicht es nicht, drei oder vier Jahrzehnte Abstand zu halten. Auch in dieser Zeit hat sich einiges verändert. In Deutschland hat sich zum Beispiel Bayern von einem sehr armen zu einem sehr reichen Bundesland gemausert. Große Fortschritte werden jedoch oft erst deutlich, wenn mehrere Jahrhunderte in den Blick genommen werden. Dann zeigt sich, wie stark sich die Lebensbedingungen in den vergangenen 200 Jahren verändert haben – in vielem zum Besseren.

 

Freiheit

Der Grad der Freiheit einer Gesellschaft bildet den Nährboden für ihre Fähigkeit zur Fortentwicklung. Allerdings ist es schwer, diesen Grad zu messen. Es gibt aber typische Merkmale für eine moderne Demokratie, deren Qualität die Wissenschaftler auf Skalen darstellen können. Dazu zählen freie Wahlen, die Akzeptanz einer politischen Opposition, Gewaltenteilung, Verfassungsmäßigkeit, Schutz der Grund- und Bürgerrechte und die Achtung der Menschenrechte. Da die Herrschaft im demokratischen Staat durch die Allgemeinheit ausgeübt wird, sind Meinungs- und Pressefreiheit zur politischen Willensbildung unerlässlich. Alle Ergebnisse der Politikwissenschaftler zeigen, dass die Zahl der Menschen, die in Staaten leben, die sich tatsächlich Demokratie nennen dürfen, deutlich zugenommen hat. Während des 19. Jahrhunderts lebte noch ein Drittel der Menschen in einer Kolonie und fast der ganze Rest in einer autokratischen Staatsform. Die erste Ausdehnung der politischen Freiheit wurde durch den Aufstieg der faschistischen Regime Anfang des 20. Jahrhunderts wieder zurückgedrängt. Auffällig ist auch, dass in jener Zeit auch sehr viele Menschen in einer sogenannten Anokratie lebten, also in einem Staat, in dem die Machtverhältnisse nicht klar geregelt sind. Nach dem Zweiten Weltkrieg aber wurden immer mehr Staaten zu Demokratien. Ein kräftiger Anstieg war noch einmal nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion zu registrieren. Aktuell lebt fast jeder Zweite auf dieser Welt in einer Demokratie. Die meisten Menschen, die in einer Autokratie leben, leben in China. Allerdings ist auch festzustellen, dass die Demokratie-Kurve seit knapp zwei Jahrzehnten nach unten geht.

Gesundheit

Wie miserabel die Lebensumstände früher waren, ist an der Sterberate abzulesen. Vor 200 Jahren starb nahezu jedes zweite Kind, bevor es fünf Jahre alt war. Anders als heute gab es damals kaum Unterschiede zwischen den verschiedenen Regionen auf der Welt. Doch allmählich verbesserten sich die Lebensbedingungen. Es entstanden Abwasserkanäle, hochwertigere Häuser, und die Menschen begannen, sich gesünder zu ernähren. Auch die Arbeitsbedingungen verbesserten sich. Entscheidend waren aber auch die enormen Fortschritte in der Wissenschaft. Ein Durchbruch war die Erkenntnis, dass Keime Krankheiten übertragen. Es klingt heute unvorstellbar, doch es hat lange gedauert, bis Ärzte erkannten, dass sie sich die Hände waschen müssen, bevor sie einen Patienten untersuchen. Jene Zeit Mitte des 19. Jahrhunderts markiert auch den Beginn der gezielten Forschung nach Antibiotika und Impfstoffen. Inzwischen ist die Kindersterblichkeit weltweit auf knapp vier Prozent gesunken. Ein Erfolg, der noch vor wenigen Jahrzehnten unrealistisch schien. Die absoluten Zahlen sind dennoch erschreckend. Laut dem Hilfswerk Unicef sterben heutzutage noch immer fast sechs Millionen Mädchen und Jungen vor ihrem fünften Geburtstag – also im Durchschnitt täglich 16 000 Kinder.

Armut

Armut ist ein relativer Begriff. Wann ist jemand arm? Die Verhältnisse in Deutschland kann man nicht mit den Lebensumständen in einem afrikanischen Land vergleichen. Tatsache aber ist, dass Armut vor allem ein Phänomen der Entwicklungsländer ist, das sich jedoch zunehmend in den Wohlstandsgesellschaften ausbreitet. In einer globalisierten Welt vergrößert sich die Kluft zwischen Arm und Reich zusehends, und die Grenzen verwischen immer mehr. Sie verlaufen heutzutage nicht nur zwischen dem wohlhabenden Norden (oder Westen) und den sogenannten Dritte-Welt-Ländern, sondern zunehmend quer durch diese Länder hindurch: In vielen Entwicklungsländern formiert sich eine reiche Oberschicht, und in zahlreichen Industrienationen, darunter auch Deutschland, entsteht eine „neue Armut“. So gilt nach Angaben des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes jeder sechste Deutsche als armutsgefährdet – und das trotz einer stetig sinkenden Arbeitslosenquote und anhaltendem Wirtschaftswachstum. Besonders gefährdet sind Langzeitarbeitslose, Rentner und Alleinerziehende.

Deutlich abgenommen hat aber die Zahl derer, die in extremer Armut leben, das heißt: die heute im weltweiten Durchschnitt mit weniger als 1,9 US-Doller pro Tag auskommen müssen. Im Jahr 1820 konnte sich nur eine kleine Elite einen hohen Lebensstandard leisten. Die allermeisten Menschen aber lebten in Umständen, die wir heute als extreme Armut bezeichnen würden. Mit der Industrialisierung stieg auch der Lebensstandard der Bevölkerung. Selbst im Jahr 1981 waren aber noch 44 Prozent der Weltbevölkerung extrem arm. Inzwischen gehen Experten davon aus, dass nur noch zehn Prozent der Menschen auf der Welt in extremer Armut leben. Diese Entwicklung ist umso erstaunlicher, als sich die Zahl der auf der Erde lebenden Menschen im selben Zeitraum versiebenfacht hat. Möglich wurde dies auch durch die Erhöhung der Produktivität und Qualität zum Beispiel bei Nahrungsmitteln oder beim Häuserbau.

Bildung

Keiner der Fortschritte der vergangenen 200 Jahre wäre möglich gewesen, wäre der Grad der Bildung nicht ebenfalls gestiegen. Entscheidend dabei ist, dass Bildung mit zunehmendem Fortschritt auch immer wichtiger wird. War sie vor zwei Jahrhunderten noch ein Privileg sehr weniger Menschen, hat sich dieses Verhältnis inzwischen umgekehrt. Fast 90 Prozent der Menschen haben eine grundlegende schulische Ausbildung – Tendenz steigend. Dieser Wert korrespondiert mit der Rate der Alphabetisierung, also der Lese- und Schreibfähigkeit. Dieser Wandel stimmt hoffnungsvoll, denn die Entwicklung der Menschheit über die vergangenen 200 Jahre hat gezeigt, dass die Verbesserung der Umwelt durch Erfindungen oder die Ausbreitung der Demokratie immer auch direkt mit dem Grad der Bildung der Bevölkerung zusammenhing. Sie ist kein Garant, aber eine gute Basis für eine gute Entwicklung.

Analphabetismus

E-Mails, Straßenschilder, Zeitungen – für die meisten Menschen ist es völlig natürlich, lesen zu können. Doch selbst in Deutschland gibt es 7,5 Millionen sogenannte funktionale Analphabeten; sie sind also nicht in der Lage, die Schrift im Alltag so zu gebrauchen, wie es im sozialen Kontext üblich ist. Oft können die Betroffenen einzelne Wörter erkennen, doch bei längeren Sätzen oder gar ganzen Texten geraten sie ins Stocken. Auch verstehen sie nicht immer, was sie gerade gelesen haben.

Manche haben wegen einer Krankheit oder häuslicher Probleme in den ersten Schuljahren so oft gefehlt, dass ihnen schlicht die Basis für alles Weitere fehlt. Sie schaffen es dann nicht mehr, das Verlorene aufzuholen. Auch die fehlende Förderung in der Familie spielt eine Rolle; oft stammen Analphabeten aus bildungsfernen Elternhäusern. Die Grafik zeigt: In der Vergangenheit war es der Normalfall, dass die Menschen Analphabeten waren. Anfang des 19. Jahrhunderts waren neun von zehn Menschen im Alter von über 15 Jahren nicht lese- und schreibfähig. Heute können weltweit rund 85 Prozent der Menschen lesen und schreiben. In absolute Zahlen übersetzt, bedeutet das: Heute können rund 5,5 Milliarden Menschen lesen und schreiben, vor 200 Jahren waren es 100 Millionen.