Baden-Württemberg will beim größten Festival der Werbeindustrie in Cannes die Aufmerksamkeit auf sich lenken. Der Südwesten verspricht sich von der florierenden Kreativ-Branche einen Innovationsschub. Besonders die Region Stuttgart boomt.

Geld/Arbeit: Daniel Gräfe (dag)

Stuttgart/Cannes - Es ist schon etwas frech, was die zehnköpfige Delegation von Kreativ-Firmen aus Baden-Württemberg von Sonntag an vorhat. Beim weltgrößten Festival der Werbe- und Kommunikationsindustrie in Cannes, das als Auszeichnung in 24 Kategorien Löwen als Preise vergibt, wollen sie selbst Löwen verleihen. Die „BW Lions“ werden in zehn Kategorien wie „Roaring Vision“ (brüllende Vision) oder „Roaring Headline“ (brüllende Schlagzeile) vergeben. Getreu dem Motto: Wenn Klappern zum Handwerk gehört, dann ist etwas Gebrüll gut für das Geschäft.

 

Als einziges Bundesland schickt Baden-Württemberg seit 2011 eine eigene Delegation nach Cannes. Insgesamt 15 000 Teilnehmer aus etwa 100 Ländern werden dieses Jahr vom 18. bis 25. Juni an der Côte d’Azur erwartet. Wer hier auffallen will, muss nicht nur besonders laut brüllen, sondern sich auch klug vernetzen. „Wir wollen kleine und mittlere Unternehmen auf neue Märkte bringen und mit der Kampagne Aufmerksamkeit gewinnen“, sagt Bettina Klammt von der Wirtschaftsfördergesellschaft Baden-Württemberg International (BWI). Dazu zählten auch eigene Veranstaltungen wie die „120-Minuten-Party“, bei der die Delegation sich und ihre Unternehmen vorstelle und auch internationale Kontakte knüpfe.

Die BWI will ausländische Märkte für die Firmen im Land erschließen und hat sich für den Betriebsausflug nach Cannes mit der Medien- und Filmgesellschaft Baden-Württemberg, dem Netzwerk Kreativwirtschaft Baden-Württemberg und der Film Commission Region Stuttgart zusammengetan. Der Erfolg bestätige das Konzept, betont Klammt. „Die Region Stuttgart und der Südwesten werden stärker als kreativer Standort mit innovativen Unternehmen wahrgenommen.“

Die Kultur- und Kreativwirtschaft gilt als Innovationsmotor

Tatsächlich ist die Kultur- und Kreativwirtschaft ein von vielen unterschätzter Wirtschaftszweig. Laut Datenreport zur Kultur- und Kreativwirtschaft Baden-Württemberg zählt er derzeit rund 230 000 Erwerbstätige und über 30 000 Unternehmen, die einen Umsatz von fast 25 Milliarden Euro erwirtschaften. Mit „enormer Dynamik“ entwickelten sich die Umsätze der Software- und Games-Industrie, heißt es. Ihr Anteil mache bei Umsatz und Zahl der Mitarbeiter rund ein Drittel aus. Bedeutend seien auch die Werbe- sowie Verlagswirtschaft und die Märkte für Design und Architektur. „Die Kultur- und Kreativwirtschaft gehört zu den dynamischsten Wirtschaftszweigen des Landes. In den vergangenen Jahren wurde hier ein überdurchschnittlich hohes jährliches Umsatzwachstum verzeichnet, das mit über sechs Prozent fast dreimal so groß war wie im Bundesdurchschnitt“, teilt das Wirtschaftsministerium mit.

Ministerin Nicole Hoffmeister-Kraut schwärmt deshalb von den „enormen wirtschaftlichen Potenzialen“. Vor allem weil die Branche neue Ideen, Produkte, Dienstleistungen und Geschäftsmodelle entwickle und für andere Wirtschaftsbereiche ein „Innovationskatalysator“ sei. So hätten Lösungen aus dem Gaming-Bereich wie virtuelle Realität technische Komponenten erst massentauglich und damit kostengünstig für Industrieanwendungen gemacht. „Die Kreativ- und Kulturschaffenden haben eine große wirtschaftliche Strahlkraft, sie sind Impulsgeber und Modernisierungsmotor für die gesamte Südwestwirtschaft“, so die Ministerin. Deshalb verspreche sich das Land mit dem Kreativ-Auftritt der Firmen in Cannes neue Kooperationspartner und durch die Vernetzung „teilweise auch neue Aufträge durch internationale Auftraggeber“.

Lavalabs hat dem „Duell der Brüder“ digital nachgeholfen

Vernetzung ist auch ein Anliegen von Scherin Rajakumaran, Chefin der Filmabteilung der Firma Lavalabs: „Ich erwarte mir eine noch bessere Vernetzung, die Begegnung mit tollen Menschen und Inspiration.“ Lavalabs ist mit Standorten in Stuttgart, Düsseldorf, Berlin und Hamburg auf visuelle Effekte und Animation spezialisiert. So hat das Unternehmen jüngst für den Film „Duell der Brüder – Die Geschichte von Adidas und Puma“ das Stadion Wankdorf in Bern und Teile des Reichsparteitagsgeländes in Nürnberg digital rekonstruiert.

Ein Boom-Markt, denn Technik wie diese ist für die Kino-Blockbuster von heute zentral – immer mehr Filme werden direkt am Computer erschaffen. Firmen in der Region Stuttgart zählen dabei zur Weltelite. Auch deshalb nimmt die Region laut Wirtschaftsförderung in Baden-Württemberg die klare Spitzenstellung ein: Rund 60 000 Menschen arbeiteten in den etwa 10 000 Unternehmen der Kultur- und Kreativwirtschaft – und setzten dabei insgesamt rund sieben Milliarden Euro um.

„Ich finde, dass Stuttgart wahnsinnig pulsiert“

„Ich finde, dass Stuttgart wahnsinnig pulsiert. Deshalb kehren auch Künstler und Designer aus Berlin wieder zurück“, sagt Jens Kenserski, Geschäftsführer der Ludwigsburger Kommunikationsagentur Pulsmacher. Er spricht von Clubs und Pop-up-Galerien – also Galerien, die nur zeitweilig an einem Ort sind. In den vergangenen Jahren seien viele solcher Stätten neu eröffnet worden, etwa die Kulturinsel in Stuttgart-Wangen. In Cannes will Kenserski einen Löwen-Preis für die beste „Roaring Party“ vergeben, sozusagen für die beste Party mit Gebrüll.

Auch große Firmenkongresse müssten heutzutage einen Party- und Festivalcharakter haben, meint er. So habe seine Firma für Mercedes vor kurzem einen Kongress in alten Fernsehstudios veranstaltet, mit Foodtrucks und DJs inklusive. Zum Glück würden immer mehr Kunden sich auf Vorschläge wie diese einlassen und mehr experimentieren. Es gebe bei den Kunden weniger Hierarchien, mehr Teamwork und nicht alles müsse immer perfekt sein, betont Kenserski. „Der Silicon-Valley-Gedanke ist auch nach Stuttgart übergeschwappt.“