Die EU justiert beim Börsenhandel nach. Doch auch die Reform wird nicht alle Wettbewerbsverzerrungen beseitigen.

Stuttgart - Aus Sicht der Banken und anderer Finanzdienstleister ist die Sache klar: Warum sollten sie Dienstleistungen außer Haus geben, die sie selbst erbringen können? Warum also Orders von Aktien oder Zertifikaten an eine regulierte Börse geben, wenn die Transaktion genauso gut intern abgewickelt werden kann? Dieser Logik folgend, sind seit der Marktliberalisierung 2007 die Orderströme von den etablierten Börsen hin zu außerbörslichen Plattformen umgeleitet worden. Nur noch gut 60 Prozent des Handelsvolumens im Dax-30 oder im FTSE 100 läuft über die Deutsche Börse beziehungsweise die London Stock Exchange.

 

Dark Pools sind als Börsenkonkurrent bekannt geworden

Breiter bekannt geworden sind die alternativen Handelsplätze als Dark Pools – oft von großen Banken betrieben –, wo die Teilnehmer nicht wissen, welche Volumina von welchen Handelspartnern zu welchen Preisen angeboten werden. „Dark Pools sind zum politischen Kampfbegriff geworden“, sagt Christoph Boschan, Vorstand der Börse Stuttgart AG, bei einem Pressegespräch. Doch damit seien die neuen Börsenkonkurrenten nicht präzise beschrieben. Sie lassen sich danach kategorisieren, in welchen Punkten sie vom Standard der herkömmlichen Börsen abweichen. Zwei zentrale Merkmale fehlen ihnen aber allesamt: eine unabhängige Handelsüberwachung und die Pflicht, den Börsenhandel auch in stürmischen Zeiten zu betreiben. Handelsteilnehmer an Börsenkonkurrenten sind hauptsächlich Hochfrequenzhändler. Aber auch die Aufträge von Privatanlegern werden nach Darstellung von Boschan häufig an nicht regulierten Märkten ausgeführt.

Ulli Spankowski, der stellvertretende Leiter von Stuttgart Financial, hat in seiner Doktorarbeit empirisch nachgewiesen, dass die Börsenkonkurrenten letztlich Schönwetterbörsen sind, die nicht die Liquidität regulierter Handelsplätze bieten und sich in Zeiten hoher Volatilität und allgemeiner Unsicherheit vom Markt zurückziehen. Das zeige sich bereits daran, dass ihre Marktanteile im Tagesverlauf schwanken, sagt Spankowski, der die Bewegung von 67 Aktien aus dem FTSE 100 ein Jahr lang ausgewertet hat.

Die fehlende Transparenz geht zu Lasten der Privatanleger

In den meisten Fallen, schätzt der Hohenheimer Bankenprofessor Hans-Peter Burghof, würden Privatanleger durch die fehlende Transparenz benachteiligt. Zwar seien – auch technikgetrieben – die Kosten für Börsentransaktionen in den vergangenen Jahren gesunken. Aber den größeren Vorteil zögen daraus die Ausführungsstellen. Seine Rechte könne der benachteiligte Anleger gegenüber einer Bank kaum durchsetzen. Anders verhält es sich bei den Börsen, wo eine neutrale Handelsüberwachungsstelle die Beschwerden von Kunden untersucht. Das „regulatorische Gepäck“ (Boschan) kostet. Etwa 70 Prozent der Betriebskosten einer Börse entfielen hierauf.

Die EU-Kommission, die einst die Liberalisierung angestoßen hat (siehe Infobox), hat inzwischen erkannt, dass es Wettbewerbsverzerrungen auf dem Markt für Wertpapierhandel gibt. Diese schaden den Anlegern (Stichwort Intransparenz, fehlende Rechtssicherheit), sind aber auch ordnungspolitisch und volkswirtschaftlich fragwürdig. Nur mit Hilfe fairer Börsenpreise lassen sich wirklichkeitsgetreue Bilanzen und ehrliche Steuererklärungen erstellen. Mit der neuen Richtlinie MiFID 2 hat Brüssel nun nachgebessert. Aber noch nicht genug, wie Boschan meint. Er hätte sich eine Vorschrift gewünscht, nach der private Orders vorrangig an echten Börsen ausgeführt werden sollten.

Stuttgart hat einen außerbörslichen Handelplatz gekauft

Doch auch die Börse Stuttgart, die sonst das hohe Lied des gleichberechtigten Privatanlegers und einer umfassenden Regulatorik singt, passt sich den neuen Zeiten an. Im Frühjahr hat sie von der Citigroup ein außerbörsliches Handelssystem für Zertifikate gekauft. Cats-OS, so sein Name, diene der weiteren Europäisierung des Geschäfts, verkündete damals Vorstandschef Christoph Lammersdorf. Die neue Tochter ist etwa in Frankreich und in den Niederlanden aktiv.