Die Kritiker des geplanten Großkrankenhauses auf dem Flugfeld führen nicht nur mögliche Kostensteigerungen an. Sie meinen, der Standort sei auch völlig ungeeignet. Nun möchten sie eine Bürgerinitiative gründen, mit der sie das Vorhaben verhindern wollen.

Sindelfingen - Autoabgase, Feinstaub und Verkehrslärm – die künftigen Patienten des geplanten Großklinikums hätten einiges zu ertragen, meint Wolfgang Jäckh, ein Sindelfinger Bürger. Er hat jüngst mit anderen streitbaren Zeitgenossen eine sogenannte Umweltgewerkschaft gegründet und sie als Verein eintragen lassen. Wie der Name schon sagt, wollen sie sich um den Schutz des Klimas kümmern und haben sich nun ein weiteres Thema auf ihre Fahnen geschrieben: die Verhinderung der Flugfeld-Klinik. In einer ersten Bürgerversammlung im Sindelfinger Haus der Familie scharten sich rund 25 Mitstreiter um sie, um den Widerstand gegen das Krankenhaus zu organisieren. Sie werden zunächst Unterschriften sammeln, Infostände auf dem Sindelfinger Marktplatz aufstellen, ein Flugblatt entwerfen – und sie planen die Gründung einer Bürgerinitiative.

 

„Es gibt bestimmt Hunderte, die gegen den Bau sind“, sagt Jäckh. Dabei kann er nur für seinen Bekanntenkreis sprechen und „über das, was er so hört“: „Die Böblinger Kritiker haben wir bei unserer ersten Versammlung gar nicht eingeladen. Das müssen wir ändern.“ Jedenfalls wollen er und seine Mitkämpfer dafür sorgen, „dass das Thema in der Öffentlichkeit Beachtung findet und sich der Protest formiert“.

„Es wird zu viel Autoverkehr geben, die Patienten finden kaum ihre Ruhe“, fürchten die meisten. Nicht umsonst seien doch die Krankenhäuser in Sindelfingen in einem Waldgebiet gebaut worden. Diese Einrichtungen genügten voll und ganz, erklärten einige Bürger. Und wenn man in ein Spezialkrankenhaus müsse, gebe es die Experten in Stuttgart oder im Tübinger Klinikum. Außerdem sei die Luft an den bisherigen Standorten eindeutig besser, unterstrichen die Kritiker.

Chefarzt: Patienten bekommen Verkehr kaum mit

Axel Prokop, der Chefarzt der Unfallchirurgie des Klinikums Sindelfingen-Böblingen, der ebenfalls zu der Versammlung gekommen war, konterte mit der Bemerkung: „Wenn Sie so fit sind, dass sie im Wald spazieren gehen können, werden sie entlassen.“ Dafür sorge schon allein die immer kürzer werdende Verweildauer der Patienten. Außerdem seien Lärm und Abgase kein Thema. Die neue Klinik werde voll klimatisiert und baulich so beschaffen sein, dass die Patienten vom Autoverkehr wohl kaum etwas mitbekämen.

„Im Übrigen muss in den Kliniken Böblingen und Sindelfingen vieles doppelt vorgehalten werden, jeweils eine Pforte und auch eine Notfallaufnahme“, erklärte Prokop weiter. Das führe zu erheblichen Personalproblemen und koste jährlich etwa fünf Millionen Euro zusätzlich. „Eine Zusammenlegung ist deshalb absolut sinnvoll“, betonte der Chefarzt.

Nicht zu Wort kam er bei der Frage, wie teuer die Großklinik werden könnte. „Das läuft nicht anders als bei Stuttgart 21“, warnte ein Bürger – und erntete in der von vielen Emotionen geprägten Versammlung Applaus. „Da müssen wir alle noch heftig draufzahlen“, schimpfte ein anderer.

Bürgerbegehren ist nicht vorgesehen

Tatsächlich sind die kalkulierten Kosten gegenüber dem Jahr 2012 um mehr als hundert Millionen Euro nach oben korrigiert worden. Momentan werden sie auf insgesamt 437,5 Millionen Euro angesetzt. Laut dem Pressesprecher im Landratsamt, Dusan Minic, sind darin auch die Kosten für den Grundstückskauf auf dem Flugfeld enthalten (15,7 Millionen Euro) sowie „eine Kostenspanne für Baupreissteigerungen und unvorhersehbare Baurisiken“.

„Die Bürger sollen entscheiden, ob sie eine solche Klinik wollen oder nicht“, schlug der Sindelfinger Baugegner Peter Brozio vor. Ein Bürgerbegehren auf Kreisebene sehen die geltenden Bestimmungen aber nicht vor. Deshalb tragen sich die Widerständler mit dem Gedanken, eine Bürgerbefragung durchzuführen. In vier Wochen wollen sie sich das nächste Mal treffen und laut Wolfgang Jäckh per Beschluss eine Bürgerinitiative ins Leben rufen. Eine Arbeitsgruppe kümmert sich derweil um die Unterschriftenlisten, die Infostände und einen Auftritt im Internet.

Eine entscheidende personelle Weiche wurde jetzt gestellt: Jörg Noetzel wird Vorsitzender der Geschäftsführung des Klinikverbundes Südwest. Der 53-Jährige ist derzeit medizinischer Geschäftsführer der Fils-Alb-Kliniken in Göppingen. Noetzel ist Nachfolger von Elke Frank, die nach sieben Jahren ans Universitätsklinikum Mainz wechselt.

Chronik der Flugfeldklinik

2011
Der Klinikverbund Südwest legt dem Kreistag eine Berechnung vor, wonach 76 Millionen Euro in den Erhalt der Kliniken Böblingen und Sindelfingen gesteckt werden müssten.

2012
Ein Gutachten über die Kliniken Böblingen und Sindelfingen geht von einem Renovierungsaufwand von 100 Millionen Euro aus und schlägt deshalb eine Zusammenlegung vor. In einem Bürgerforum wird darüber informiert.

2013
Die Anregungen der Bürger veranlasst den Klinikverbund zu einem Gutachten, das elf Standorte untersucht. In Informationsveranstaltungen werden die Ergebnisse vorgestellt. Der Standort Flugfeld wird favorisiert.

2014
Ein Medizinkonzept wird beschlossen. Es schließt die Kliniken Leonberg und Herrenberg ein. Die Kreisverwaltung wird beauftragt, sich das Grundstück auf dem Flugfeld zu sichern.

2015
Eine Projektanalyse bestätigt die Realisierbarkeit der Flugfeldklinik.

2016
Am 18. Juli soll im Kreistag der Beschluss für den Kauf des Grundstücks auf dem Flugfeld gefasst werden. Am 25. Juli ist eine weitere Bürgerveranstaltung geplant.