Stauhauptstadt – dieser wenig schmeichelhafte Titel ist Stuttgart vor kurzem verliehen worden. Ganz so schlimm sei es gar nicht, stellt nun eine Studie fest. Wir stellen die überraschenden Ergebnisse vor.

Stuttgart - Es ist ein riesiger Strom, der sich Werktag für Werktag in Bewegung setzt: 900 000 Menschen pendeln in der Region Stuttgart täglich zur Arbeit. 900 000 Menschen – so viele Bewohner haben die Stadt Stuttgart und der Rems-Murr-Kreis zusammen. Die Universität Stuttgart hat im Auftrag der Industrie- und Handelskammer Region Stuttgart untersucht, wie die bevorzugten Ziele dieser Massenbewegung, nämlich die 48 größten Gewerbegebiete und Arbeitsplatzschwerpunkte in und um Stuttgart, mit dem Auto und dem öffentlichen Nahverkehr erreichbar sind. „Ohne Pkw geht nichts“, sagt der stellvertretende IHK-Hauptgeschäftsführer Bernd Engelhardt und zieht damit ein plakatives Fazit. In gesetzteren Worten: „Viele Gewerbegebiete in der Region sind an öffentliche Verkehrsmittel gar nicht oder nicht ausreichend gut angebunden. Beschäftigte, Geschäftspartner und Kunden sind häufig auf das Auto angewiesen.“

 

Dieser allgemeine Befund gilt auch deshalb, weil – im Gegensatz zum Stuttgarter Stadtzentrum – „eine Vielzahl der untersuchten Gewerbegebiete in der Region nicht so gut an Busse und Bahnen angeschlossen sind und bei ihnen eine gute Anbindung lagebedingt auch nicht möglich ist“, räumt Engelhardt ein. Dort allerdings führe auch die Forderung der Politik, dass Pendler vom Auto auf den Nahverkehr umsteigen sollen, nicht zum Ziel. Bei stadtnahen Gewerbegebieten oder Arbeitsplatzschwerpunkten in den Innenstädten, die mit der S-Bahn erschlossen sind, sieht das anders aus – dann kämen die Pendler mit Bussen und Bahnen meistens schneller ans Ziel als mit dem Auto, betont der VVS.

In Steckbriefen haben die Experten für jeden der 48 Standorte die Grunddaten ermittelt und die Erreichbarkeit mit dem Auto und mit Bussen und Bahnen dargestellt – vom Gebiet Herrenberg-Gültstein im Westen übers Stuttgarter Zentrum bis zu den Backnanger Lerchenäckern im Osten, von der Ottmarsheimer Höhe in Besigheim über die Esslinger Neckarwiesen bis zum Gewerbepark Alb bei Geislingen.

Bundesstraße sind Staufallen

Aus dieser auf den jeweiligen Standort bezogenen speziellen Datenflut filtern die Wissenschaftler aber auch Erkenntnisse zur allgemeinen Verkehrslage heraus. So sprechen sie – für Betroffene und Hörer der Verkehrsnachrichten nicht unerwartet – von einem werktäglich wiederkehrenden Stau, der sich vor allem auf folgenden Strecken bildet: A 81 und B 27 bei Ludwigsburg, B 14 bei Fellbach, A 8 zwischen Kirchheim/Teck und Flughafen, B 27 bei Filderstadt und A 81 bei Gärtringen und bei Böblingen. Dabei seien die Störungen im Berufsverkehr morgens größer als abends und die Staus auf den Bundesstraßen meistens länger als auf Autobahnen. Das gelte besonders für die Einfallstraßen nach Stuttgart.

Das Fazit der Gutachter

Überraschend geben zumindest die Gutachter der Verkehrssituation in und um die Landeshauptstadt dennoch relativ gute Noten. Die Wartezeiten in den Staus würden sich trotz des Titels Stauhauptstadt für Stuttgart in vergleichbarer Größenordnung zu anderen großen deutschen Ballungsräumen bewegen. Die mittleren Verlustzeiten lägen durch den werktäglich wiederkehrenden Stau bei Fahrten von und nach Stuttgart bei etwa fünf Minuten pro Fahrt, bei Fahrten in der Region bei rund drei Minuten. Dabei handle es sich aber um Mittelwerte über alle Fahrten an Werktagen, betonen die Autoren: „Auf einzelnen Strecken und an bestimmten Tagen können deutlich längere Verlustzeiten die Regel sein.“ Das Straßennetz in der Region Stuttgart sei nämlich so stark ausgelastet, dass Unfälle und Baustellen sofort zu deutlich längeren Fahrzeiten führten – anders als in anderen Ballungsräumen in Deutschland, in denen es in solchen Fällen mehr Alternativrouten gebe.

Die Forderungen der IHK

Auch für den Auftraggeber der Studie, die IHK, kommt die Einschätzung der Gutachter unerwartet. „Die Erreichbarkeit auf der Straße ist besser als ihr landläufiger Ruf“, stellt die Kammer fest, auch wenn mitunter persönliche Erfahrungen dem widersprächen. Selbst in der morgendlichen Hauptverkehrszeit sei die Fahrdauer in die meisten Gewerbegebiete „oft als gut, zum Teil sogar als sehr gut zu bezeichnen“.

Dennoch sieht die IHK aufgrund der Studie an verschiedenen Stellen im Straßennetz Engpässe und Handlungsbedarf:

– aus dem Südwesten des Kreises Böblingen in andere Bereiche der Region

– aus dem östlichen/südlichen Rems-Murr-Kreis in den Kreis Ludwigsburg

– vom Norden des Kreises Ludwigsburg in den Raum südlich der B 10 und in Richtung Böblingen und Sindelfingen.

Die IHK fordert deshalb den Ausbau der A 81 bei Ludwigsburg und zwischen Böblingen und dem Autobahnkreuz Stuttgart. Sie spricht sich erneut für den Bau des Nordostrings zwischen der B 27 bei Kornwestheim und der B 14 im Remstal aus. „Erhalt und Ausbau des Straßennetzes bleiben ein Muss der Standortpolitik“, sagt Engelhardt, der Fahrverbote für Pkws als Maßnahme zur Luftreinhaltung ablehnt. „Das ist keine Option, da Beschäftige und Kunden auf das Auto angewiesen sind, um die Gewerbestandorte zu erreichen“, sagt er.

IHK: mehr auf Busse setzen

Aus Sicht der IHK ist eine flächendeckende Anbindung der Gewerbegebiete durch öffentliche Verkehrsmittel nicht zu finanzieren, punktuell seien aber Verbesserungen möglich. Das Gebiet Esslingen-Berkheim, wo der Technologiekonzern Festo seinen Standort massiv ausbaut, sei bislang beispielsweise weitgehend auf den Pkw ausgerichtet. Hier und für den Bosch-Forschungscampus in Renningen könnten bessere Busverbindungen geschaffen werden. Und für wichtige Tangentialverbindungen in der Region empfiehlt die Kammer, den Einsatz von Schnellbussen zu prüfen. Eine Anregung, die der Verband Region Stuttgart bereits umsetzt, wenn – bis jetzt – auch nur für drei Linien.