Schlafen, wenn andere lautstark feiern: Der Lärmpegel auf dem Stuttgarter Frühlingsfest ist hoch. Wie lebt es sich zur Rummelzeit eigentlich in der Nähe des Wasens? Ein Hausbesuch bei den Anwohnern.

Stuttgart - Diesen Ausblick muss man nicht mögen, beeindruckend ist er aber in jedem Fall. Unmittelbar vor Svenja Raus Wohnzimmerfenster drehen sich die leuchtend bunten Fahrgeschäfte. Allein die Mercedesstraße trennt ihre Wohnung vom Cannstatter Wasen. Doch während auf dem Festplatz die kreischenden Fahrgäste den Lärmpegel in die Höhe treiben, ist davon in der Wohnung nichts zu hören. 40,6 Dezibel zeigt das Messgerät. Das ist laut einer Tabelle des Bundesumweltministeriums „ziemlich leise“ und entspricht der Geräuschkulisse einer ruhigen Wohnstraße. Svenja Rau wohnt auf dem ehemaligen Friedel-Areal im Cannstatter Stadtteil Veielbrunnen. Die Firma Archy Nova hat die Fabrikhallen, in denen die Ahoi-Brause hergestellt worden ist, 2011 in Eigentumswohnungen umgebaut. „Wenn wir was hören wollen, müssen wir das Fenster öffnen“, sagt sie. Der Unterschied ist deutlich: Schnell steigt der Lärmpegel auf fast 70 Dezibel an. Spezialfenster und eine gute Lüftungsanlage sind deshalb laut Gerd Hansen von der Archy Nova die entscheidenden Faktoren, um den Krach draußen zu halten.

 

Schon lange diskutieren die Ratsfraktionen über die geplante Wohnbebauung auf dem ehemaligen Cannstatter Güterbahnhofsgelände im Neckarpark. Rund 450 Wohnungen sollen dort entstehen. Zuletzt hatte sich auch die CDU für das Vorhaben ausgesprochen, immer wieder wurde aber vor allem von Seiten der bürgerlichen Fraktionen angeführt, dass die an den Wasen und die Mercedes-Benz-Arena angrenzende Bebauung aus Lärmschutzgründen das Aus für Großveranstaltungen bedeuten könnte. Es seien Klagen der Anwohner zu befürchten. Auch Konzertveranstalter, Wasen-Beschicker und der VfB hatten die Pläne kritisiert.

Eine Argumentation, die für viele alteingesessenen Bewohner des Veielbrunnens nicht nachvollziehbar ist. „Plötzlich war das ein Riesenthema“, sagt Isanthe Hörz. Sie und ihre Familie würden aber schon seit mehr als 40 Jahren in diesem Gebiet wohnen. „Es gibt keinen Unterschied zwischen den neuen und den alten Bewohnern“, betont auch Regine Herdecker, Sprecherin der Bürgerinitiative Veielbrunnen. Die Anwohner hätten auch heute schon die Möglichkeit zu klagen, wenn die Grenzwerte nicht eingehalten würden. 80 Dezibel sind auf dem Festgelände erlaubt. Beim Volksfest 2013 wurde dieser Wert jedoch nicht überall eingehalten. Herdecker ist gespannt, was die Auswertung des Frühlingsfestes ergibt. Sie glaubt, „dass es im Vergleich zu den Vorjahren etwas leiser geworden ist“, die 80 Dezibel aber trotzdem teilweise überschritten würden.

An Silvester beleuchtet der Weltweihnachtszirkus die Wohnung

Dass es leiser geworden ist, bestätigen auch die anderen Anwohner. Trotzdem sehen die Bewohner des Veielbrunnens die Stadt weiterhin in der Pflicht. „Ein bisschen was sollte schon noch passieren“, sagt Gudrun Gansmüller. Inzwischen würden aber andere Probleme wie der hinterlassene Müll der Wasen-Besucher und die Parkplatznot überwiegen. Argumente gegen eine Wohnbebauung auf dem Güterbahnhofareal sind das für die Bewohner des Veielbrunnens aber nicht. „Wenn jemand hierhin zieht, weiß er doch, dass es die Veranstaltungen gibt“, sagt Claudia Tilch, die im Stadtteil aufgewachsen ist und bis heute dort wohnt. 36 Dezibel zeigt das Messgerät am Samstagabend in ihrer Wohnung. Wohlgemerkt es ist der Abend nach dem letzten Heimspiel des VfB. Auch bei geöffnetem Fenster steigt der Wert nicht über die 50-Dezibel-Grenze. Im Gegensatz zum Friedel-Areal liegt ihr Haus aber auch nicht direkt am Wasen.

Sowohl die alten als auch die neuen Bewohner würden mehr Wohnbauprojekte im Veielbrunnen begrüßen. „Das ist ein toller Standort mit viel Potenzial“, meint etwa Tobias Schmetz. Er wohnt seit zwei Jahren mit seiner Frau und zwei Kindern auf dem Friedel-Areal. Zuvor hat die Familie in der Olgastraße gelebt. Die Eigentümer der neuen Loftwohnungen auf dem einstigen Fabrikgelände empfinden die Nähe zum Wasen und zur Mercedes-Benz-Arena nicht als Last, sondern als Bereicherung. Wo sonst erfahre man den Spielstand beim VfB, indem man das Fenster öffne. Auch der Ausblick auf das im Dunkeln erleuchtete Frühlingsfest sei lohnenswert, findet Christian Haas, der ebenfalls auf dem Areal wohnt. Doch der Wasen hat seinen Nachbarn noch mehr zu bieten. Svenja Rau schätzt besonders den Weltweihnachtszirkus. „Das ist meine Weihnachtsbeleuchtung“, sagt sie. Bei Open-Air-Konzerten sieht sie allerdings noch Optimierungsbedarf: „Die müssten die Bühne umdrehen, dann könnte ich auch was sehen.“