Immer mehr junge Städter leben heute alleine. Wenn es um die Liebe geht, haben wir so viele Freiheiten wie nie zuvor: Zu viel Auswahl, zu viele Möglichkeiten und ja nichts verpassen? In unserer Serie "Wie liebt Stuttgart" begeben wir uns auf Liebesspurensuche. Diesmal fragen wir uns, wie es ist, wenn ein Partner nicht ausreicht.

Psychologie/Partnerschaft: Nina Ayerle (nay)

Stuttgart - Viele Menschen wünschen sich von ihrem Partner oder ihrer Partnerin bedingungslose Treue. Die Monogamie ist für viele immer noch die ideale partnerschaftliche Lebensform, jedoch bei immer weniger Menschen funktioniert dies auf Dauer. In der Regel nur für einen begrenzten Zeitabschnitt. Wie will ich leben? Wie soll meine Beziehung aussehen? Diese Frage stellen sich heute, wo jeder alle Freiheiten hat, immer mehr. Manche fühlen sich gescheitert, wenn es mit nur einem Partner nicht klappt, wieder andere fühlen sich dadurch eingeengt. So manch einer sucht deshalb den Ausweg in der Polyamorie. Das Wort stammt aus dem Griechischen: poly bedeutet viele, amor bedeutet Liebe.

 

Nur einen Menschen lieben, das ist in diesem Konzept nicht vorgesehen. Die Polyamorie ist quasi der Oberbegriff für die Lebenspraxis, mehr als einen Menschen gleichzeitig zu lieben – und zwar mit dem Einverständnis aller Lebenspartner. Neu ist diese Lebensform ganz sicherlich nicht. Bereits in den frühen 1960er Jahren sind erste Netzwerke und Communities entstanden. Allerdings ging man damals noch wenig offen damit um. Polyamore Menschen trafen sich zum Austausch eher unter sich. Inzwischen ist dies zwar kein Tabuthema mehr, eine weitgehend akzeptierte Lebensform ist es jedoch sicherlich nicht geworden. Wer in mehreren Beziehungen lebt, stößt in seinem Umfeld immer noch auf Unverständnis.

Unsicheres Terrain für Liebende

Kann das überhaupt funktionieren? Die Frage stellen sich wohl die meisten zuerst. Mehr als einen Menschen lieben, ohne das die beteiligten Liebenden – bei Polyamorie geht es nicht nur darum mehrere sexuelle Beziehungen parallel führen zu können – dabei krank vor Eifersucht werden? Viele Psychologen bezweifeln dies. Denn, so eine Partnerschaft setzt nicht nur viel Mut und viel Gesprächsbereitschaft voraus, sondern koste oft auch viel Energie. Die Liebenden befinden sich ja stets auch auf sehr unsicherem Terrain.

Lebensentwurf, Veranlagung oder einfach ein Sich-nicht-entscheiden können? Ist es einfach die Suche nach allem im Leben? Eine Möglichkeit, sich stets alle Optionen offen zu halten, was zu unserer heutigen Gesellschaft, in der sich auch niemand mehr so richtig Grenzen setzen mag, auch ganz gut passen würde. Brauchen polyamor-Lebende einfach mehr Bestätigung im Leben, sind sie mit sich selbst nicht im Reinen? Weder Menschen, die selbst so leben, noch Wissenschaftler und Psychologen können dieses Phänomen genau erklären.

Kann man mehreren Personen gleichzeitig gerecht werden?

Der Niederländische Philosoph Jan Drost hat sich eingehend mit der Liebe und ihren verschiedenen Ausprägungen im 21. Jahrhundert beschäftigt. „Eine Beziehung ist nicht immer nur Hollywood, sondern immer auch harte Arbeit.“ Und ja, an einem Tag nervt einen der Partner manchmal unendlich, am nächsten Tag möchte man am liebsten nicht ohne ihn sein. Wie man jemand anderen findet, ist ja immer auch Spiegel der eigenen Laune, des eigenen Befindens.

Und schwer vorstellbar scheint auch, dass man mehreren Personen gleichzeitig gerecht werden kann auf dieselbe Art und zu jeder echte Nähe aufbauen kann. Jan Drost sieht die Liebe zu einer Person als großes Geschenk an. Dieses Geschenk könne man ja nicht einfach mehreren Personen schenken. „Man shoppt sich Teile verschiedener Personen zusammen, weil man das Perfekte sucht“, sagte er kürzlich in einem Interview. Und ja, früher trennten sich Menschen, weil sie extrem unglücklich miteinander waren. Heute trennen sich Paare häufig, weil sie glauben, mit jemand anderem noch glücklicher werden zu können.

Letztlich ist natürlich klar, dass einem eine Person niemals alles geben kann. Sich auf eine richtige Beziehung einzulassen hingegen, kann so manchem dennoch ganz schön viel geben. Aber vielleicht ist das für das 21. Jahrhundert auch schon etwas zu romantisch gedacht. Aber am Ende geht es ja letztlich darum, dass alle Beteiligten glücklich sind – ob nun zu zweit, zu dritt oder zu viert.

Termin: Wer glaubt, er liebt polyamor oder sich vielleicht in diesem Lebenskonzept wiederfindet: An jedem zweiten Samstag findet in den Räumen des Muse-o an der Gablenberger Hauptstraße 130 ein Treffen der Poly-Community Stuttgart statt. Weitere Informationen gibt es unter http://www.polyamory.de/de-7-stuttgart.