Immer mehr junge Städter leben heute alleine. Wenn es um die Liebe geht, haben wir so viele Freiheiten wie nie zuvor: Zu viel Auswahl, zu viele Möglichkeiten und ja nichts verpassen? In unserer Serie "Wie liebt Stuttgart" begeben wir uns auf Liebesspurensuche. Diesmal haben wir uns im Publikum der Lesung von "Singlepapst" Michael Nast umgehört.

Psychologie/Partnerschaft: Nina Ayerle (nay)

Stuttgart - Egal wie stürmisch und unruhig die Zeiten in unserer Welt auch sein mögen, eines bleibt auf ewig in Stein gemeißelt: Früher war alles besser. Bei der derzeitigen Generation der „Um-die-Dreißigjährigen“ ist es scheinbar vor allem eine Sache, die verklärt wird: Die romantische Zweierbeziehung, die bis ans Lebensende hält. Wer dieses hehre Ziel nicht erreicht, der gilt ja inzwischen in manchen Kreisen als beziehungsunfähig. Viele bezeichnen sich gar selbst so. Doch was ist Schuld daran, dass anscheinend bei so vielen langjährige Beziehungen nicht mehr gelingen mögen? Viele beklagen eine zunehmende Ökonomisierung der Liebe sei mit dafür verantwortlich. Wenn es um die schönste Nebensache der Welt geht, verhielten wir uns längst wie beim Online-Shopping. Was nicht gefällt, wird zurückgeschickt oder wandert gleich erst gar nicht in den Warenkorb.

 

Männer betteln um ein bisschen Sex.

Sicherlich, keine andere Generation ist so sehr auf der Suche nach dem einzig richtigen Partner fürs Leben über sämtliche, existierende Kanäle, wie die derzeitigen 25- bis 40-Jährigen. Die Partnersuche wird bei manchen dadurch 24 Stunden am Tag betrieben – quasi nebenher. Eine ganze Industrie lebt von dieser unendlich großen Sehnsucht, den einen Richtigen oder die eine Richtige zu finden oder eben von der panischen Angst der Menschen für immer Alleinbleiben zu müssen. In zahlreichen Dating-Apps kann man hin- und herwischend aus einem unendlich großen Angebot aus Suchenden und vermeintlich Bindungswilligen wählen. Die Verzweiflung scheint da keine Grenzen zu kennen. Frauen finden sich dort plötzlich mit Männern konfrontiert, die zig wildfremde Frauen anschreiben, und geradezu, um ein bisschen Sex betteln. (Was umgekehrt sicherlich auch vorkommt.)

Wem es zu oberflächlich scheint, oder zu Recht zu entwürdigend ist, den zukünftigen Partner – oder was auch immer – schlicht anhand eines Fotos auszuwählen, der kann für einen Haufen Geld Algorithmen über sein Liebesleben bestimmen lassen. Dafür scheint vielen kein Preis zu hoch zu sein. Für um die 500 Euro im Jahr kann man zum Elitepartner werden oder vielleicht zu einem der glücklichen Singles gehören, der sich laut Parship-Werbeanzeige auf der gleichnamigen Plattform „alle elf Minuten verliebt“. Unendliche Möglichkeiten werden einem da versprochen. Die wiederum verleiten die meisten Suchenden aber erst recht dazu, in einem nie endenden ‚Vielleicht‘ zu verharren. Wer weiß, ob das nächste Foto, der nächste vorgeschlagene Kandidat nicht doch ein bisschen besser ist. So viel zur Theorie.

Alles ist unverbindlich und oberflächlich geworden

Aber verleiten diese neuen technischen Möglichkeiten beim Finden der Liebe tatsächlich zu mehr Perfektionsdrang, zu dem Glauben, dass es immer noch irgendwie oder irgendwo jemand Besseren für einen gibt?

Die Suche nach Antworten ist eventuell dort am einfachsten, wo sich derzeit wohl am meisten Anhänger der Generation beziehungsunfähig tummeln – auf einer Lesung ihres beliebtesten Vertreters. Etwa 1500 Menschen fasst die Kulturhaus Arena in Stuttgart-Wangen. Vornehmlich Frauen sind es – natürlich – welche die erste von zwei Lesungen Michael Nasts in der schwäbischen Landeshauptstadt aufgesucht haben. Und ja, Carmen (31) und Ajnisha (27) aus Stuttgart sind überzeugt davon, dass der Berliner „Singlepapst“ recht hat. Tinder und die Smartphones seien Schuld, das alles so oberflächlich, so unverbindlich geworden ist. „Niemand will mehr etwas verpassen“, sagt Ajnisha. Keiner mache sich mehr Mühe, alles sei so selbstverständlich, weil ja doch irgendwie jeder oder jede auch leicht wieder jemand Neues finden kann. Die lediglich nur noch schriftlich stattfindende Kommunikation via Whatsapp oder sonstigen Messenger-Diensten trägt unterstützend zu diesem wahllosen Verhalten bei. „Dabei löst man darüber keine Probleme“, ist Carmens weise Erkenntnis.

Timo ist das alles fremd. Der 46-Jährige aus Schwäbisch-Hall ist bei der Partnersuche noch ganz klassisch unterwegs. „Tinder nutze ich nicht“, sagt er. Auch die Geschichten darüber findet er eher seltsam. Er gehöre aber ja auch noch einer Generation an, die ihr Handy auch mal ausschalten kann. Tatsächlich sei er in vielen Dingen noch anders. Das ist ihm bei der Lesung klar geworden. „Mein Beruf ist nicht meine Berufung. Eine Partnerin ist für mich das Wichtigste im Leben“, betont er. Für einen Job die Beziehung aufs Spiel setzen, das käme für ihn nicht in Frage.

Manche sind auch ohne Apps krass unterwegs

Andi kam mit seiner langjährigen Freundin aus Backnang zu Nasts Lesung. „Sie hat mich gezwungen“, betont er. Interessant fand er es aber selbst auch. Denn vieles aus den Texten ist ihm durchaus bekannt vorgekommen. Er habe schon ein paar Kumpels, die Tinder und ähnliches sehr exzessiv nutzen und die vermeintliche unendliche Verfügbarkeit an Frauen ausnutzen und von einem flüchtigen Abenteuer zum nächsten wandern, sagt der 29-Jährige. Die Dating-Apps führen also zu einer Verrohung der Sitten? Da muss der 29-Jährige lachen. „Also in meinem Freundeskreis waren die gleichen Leute auch ohne diese Apps schon genauso krass unterwegs.“ Durch die Reizüberflutung werde aber alles noch schlimmer, findet Linda. Dennoch, jeder sucht nach dem perfekten Partner, dem einen Richtigen. Davon ist die 20-Jährige überzeugt. Das ist aus ihrer Sicht absolut kein neues Phänomen. Nur eines sei anders: „Bis man den Richtigen findet, nimmt man eben alles, was einem so über den Weg läuft.“ Vielleicht war früher doch alles besser.