Subventionen für erneuerbare Energien drücken den Großhandelspreis für Strom. Für die Betreiber rechnen sich alte Kraftwerke nicht mehr. Sie wollen sie stillegen – dürfen aber nicht. Da bahnt sich ein heftiger Streit an.

Stuttgart - Das Thema ist extrem emotional. Wörter wie Blackout oder Stromausfall sind in Deutschland angstbesetzt, Versorgungssicherheit auf der anderen Seite gilt als Garant und Voraussetzung für Wohlstand und Wirtschaft. Und genau dieser Garant gerät, so befürchten nicht nur Industrieunternehmen, in Energiewendezeiten zunehmend in Gefahr. Deshalb hat sich die Bundesregierung das Thema auf ihre Energiewende-Agenda geschrieben und nun ein Diskussionspapier namens „ein Strommarkt für die Energiewende“ – das sogenannte Grünbuch – dazu vorgelegt .

 

Für den Stromkunden kommt das Thema sehr abstrakt daher. Er ahnt lediglich, dass noch höhere Rechnungen auf ihn zukommen. Was hinter der Diskussion steckt, ist ein logischer Nebeneffekt der Energiewende: Denn je mehr Strom aus erneuerbaren Quellen produziert wird, desto weniger werden konventionelle Kraftwerke gebraucht. Zugleich sind aber viele erneuerbare Energien in ihrem Ertrag schwankend. Nicht immer weht Wind, und nachts oder bei dichten Wolken fällt auch die Sonnenenergie aus.

Noch müssen konventionelle Kraftwerke einspringen

Um dennoch eine kontinuierliche Stromversorgung auch bei hoher Nachfrage zu garantieren, braucht es ausgleichende Kapazitäten – seien es Kraftwerke, die sich relativ schnell hochfahren lassen, Stromspeicher, die ihre Ladung abgeben oder auch Verbräuche, die nicht stattfinden, also etwa Kühlhäuser, die gezielt abgeschaltet werden (fachdeutsch „abschaltbare Lasten“). Bis jetzt allerdings sind die beiden letzten Möglichkeiten – vor allem die abschaltbaren Lasten – Zukunftsmusik, weil die dazugehörigen Technologien und Spielregeln fehlen oder noch nicht eingesetzt werden.

Also sind es zurzeit vor allem konventionelle Kraftwerke, die einspringen müssen, wenn die Erneuerbaren den Bedarf nicht decken können. Und das wird in den nächsten fünf bis zehn Jahren – manche meinen auch noch länger – auch so bleiben. Das allerdings birgt zwei Probleme – eines besteht schon, ein zweites zeichnet sich ab.Das bestehende Problem sind die Großhandelspreise für Strom: Von etwa 80 Euro pro Megawattstunde im Jahr 2008 sind sie mittlerweile auf ein Niveau rund um 30 Euro gesunken – an manchen Tagen sogar noch darunter. Das liegt an der hohen Einspeisequote erneuerbarer Energien, die oft einen guten Teil der Nachfrage decken. Die restliche Nachfrage befriedigen konventionelle Kraftwerke, deren Strom die Betreiber – vom Kartellamt scharf beobachtet – zu Preisen an der Börse anbieten müssen, die nur Rohstoffe und Produktion berücksichtigen.

Die Konzerne wollen stillegen – dürfen aber nicht

Kohlekraftwerke sind dabei wegen ihrer niedrigeren Rohstoffkosten billiger als etwa Gaskraftwerke. Der Preis des teuersten noch eingesetzten Kraftwerkes bestimmt den Börsenpreis des Tages – der Betreiber dieses tagesaktuell teuersten eingesetzten Kraftwerkes verdient mit seiner Anlage nichts, die Betreiber günstigerer Kraftwerke nehmen einen gewissen Betrag ein. Etliche Anlagen, vor allem relativ umweltfreundliche Gaskraftwerke, rechnen sich deshalb nicht mehr. Fast 50 Kraftwerksblöcke wollen die Energieversorger schon heute in Deutschland stilllegen, so manchen darunter vor der Zeit, weil sich sein Betrieb nicht lohnt.

Das dürfen RWE, Eon oder auch die hiesige EnBW aber nicht so einfach. Sie müssen für eine Stilllegung die Genehmigung der Bundesnetzagentur einholen. Die kann eine Stilllegung dann untersagen, wenn sie das Kraftwerk für unverzichtbar hält, um die Netzstabilität zu gewährleisten – das ist beispielsweise der EnBW mit vier Blöcken in Marbach und Walheim widerfahren. Für das erste Jahr dieses unfreiwilligen Weiterbetriebs erhält der Betreiber bis jetzt nichts, danach gibt es eine Kostenerstattung, über deren Höhe die Bundesnetzagentur und die EnBW allerdings noch verhandeln.

Neben der bereits bestehenden mangelnden Rentabilität etlicher konventioneller Kraftwerke zeichnet sich ein zweites Problem ab: spätestens vom Jahr 2022 an, wenn plangemäß alle Atomkraftwerke vom Netz genommen und weitere Kraftwerke aus Altersgründen stillgelegt sind. Denn für den Bau neuer Anlagen fehlen die Investitionsanreize, wenn das Preisniveau so niedrig bleibt oder gar weiter sinkt. Spätestens dann kann es zu Versorgungsengpässen kommen.

Die EnBW fühlt sich im Nachteil

Noch, da sind sich die Experten einig, gibt es mehr als genug Kraftwerke in Deutschland – im Gegenteil: dass die Preise so niedrig sind, liegt an Überkapazitäten. Die Versorgungssicherheit ist in keiner Weise gefährdet. Dass die Netzagentur die Stilllegung von Kraftwerken verbieten darf, geht rein auf physikalische Gründe zurück und hat nichts mit generell mangelnden Erzeugungskapazitäten in Deutschland zu tun. Das gilt vor allem in Süddeutschland, weil hier viele der Atomkraftwerke stehen, die bis 2022 abgeschaltet werden, und zugleich nicht genug Stromleitungen existieren, um den Atomstrom durch norddeutschen Windstrom zu ersetzen. Insofern fühlt sich die EnBW gegenüber den anderen Versorgern, die Anlagen stilllegen dürfen, schlechtergestellt. Um aber für den Fall gerüstet zu sein, dass die Versorgungssicherheit künftig in Gefahr gerät, müssen heute schon Vorkehrungen getroffen werden. Das eingangs erwähnte Diskussionspapier listet verschiedene Vorschläge auf – beginnend bei Verbesserungen am bestehenden Markt (Stichwort „Strommarkt 2.0“) bis hin zu Zahlungen an Versorger für den Vorhalt von Kraftwerken (Stichwort „Kapazitätsmarkt“). Bis zum 1. März 2015 kann die Öffentlichkeit dazu Stellung nehmen. Vorsorglich hat Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) die Branche allerdings schon wissen lassen, es werde „kein Hartz IV für Kraftwerke“ geben. Dass die Branche das ernst nimmt, zeigt sich unter anderem daran, dass die EnBW zum Halbjahr vorsorglich 1,23 Milliarden Euro auf unrentable Kraftwerke abgeschrieben hat.

Die Debatte wird heftig werden – es geht um viel Geld

Auch wenn Gabriels Diskussionspapier vorerst noch wenig Widerhall in der Öffentlichkeit gefunden hat, ahnt man schon jetzt, dass die Debatte spätestens im kommenden Jahr lautstark geführt werden wird: Die einen werden behaupten, Eingriffe würden nur die Macht der Energiekonzerne festigen und diese bereichern, und die Kosten für die Stromkunden würden sich auf Milliarden belaufen. Auf der anderen Seite werden die Befürworter Stromausfälle biblischen Ausmaßes und das Aus für die deutsche Industrie an die Wand malen. Und wie immer wird die Wahrheit irgendwo dazwischen liegen.

„Die Branche muss noch verdammt viel erklären, damit ein neues, marktwirtschaftliches Politikinstrument zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit von der Öffentlichkeit getragen und verstanden wird“, meint nicht nur der Chefredakteur der Fachzeitschrift „Energie & Management“, Timm Krägenow.