Seit zwei Jahren sitzt Julian Assange in einem kleinen Raum der ecuadorianischen Botschaft in London, im ehemaligen Damenklo. Vor der Haustür wartet Scotland Yard auf ihn. Mehr als 10.000 Euro am Tag kostet das den Steuerzahler.

Korrespondenten: Peter Nonnenmacher (non)

London - Zwei Jahre sind es am Donnerstag, dem Fronleichnamstag, dass Julian Assange in seiner Zelle hinterm Kaufhaus Harrods in London festsitzt. 730 Tage und Nächte hat der Wikileaks-Gründer, wenn er diese Woche Bilanz zieht, in der winzigen ecuadorianischen Botschaft in der Themsestadt verbracht. Kein „Hofgang“ ist ihm in dieser Zeit zuteilgeworden – schon weil die Botschaft keinen Hof, keinen Garten hat. Keinen einzigen Schritt vors Haus hat er machen können. Träte er durch die Botschaftstür, oder suchte er über einen Balkon zu klettern, nähme ihn Scotland Yard in Empfang.

 

Zu diesem Zweck schieben in der Regel mindestens drei Polizisten vor No. 3 Hans Crescent in London SW1X Wache. Das Botschafts-Apartment in dem edwardianischen Wohnblock hinter Harrods ist rund um die Uhr umstellt. Mehr als 10 000 Euro pro Tag verschlingen alles in allem die Sicherungsmaßnahmen nach Polizeiangaben. Auf 7,5 Millionen Euro kommt die bisherige Rechnung.

Assange selbst hat sich für dieses Leben, als freiwilliger Gefangener mitten in London, entschieden. Am 19. Juni 2012 ist er in die Botschaft spaziert, um sich einem Haftbefehl zu entziehen, der zu seiner Auslieferung nach Schweden führen sollte. Dort möchte man den Australier gern verhören, seit ihm zwei Stockholmerinnen sexuelle Übergriffe und in einem Fall auch Vergewaltigung vorgeworfen haben. Assange aber will partout nicht nach Schweden geflogen werden. Er ist überzeugt davon, dass ihn die schwedischen Behörden an die USA „weiterreichen“ würden, wo man ihm – fürchtet er – immer noch seine Wikileaks-Enthüllungen nachträgt.

In Interviews gibt er sich unbeugsam. Foto: POOL

In den USA drohten ihrem Mandanten womöglich Folter und Todesstrafe, haben Assanges Anwälte in der Vergangenheit gewarnt. Also hat der Wikileaks-Mann ecuadorianisches Asyl beantragt und erhalten. Nur lassen ihn die Briten nicht nach Ecuador abziehen. Die Londoner Regierung akzeptiert, dass er in der ecuadorianischen Botschaft unantastbar ist. Sobald er aber die Botschaft verließe, zum Beispiel um sich irgendwo ärztlicher Behandlung zu unterziehen, würde man sich „den Flüchtigen“ schnappen und ihn nach Stockholm bringen.

So haust der heute 42-Jährige in Knightsbridge wie ein halbvergessener Geist unter den Botschaftsmitarbeitern. Viel Platz zum Geistern steht ihm allerdings nicht zu. Es wird erwartet, dass er sich hauptsächlich in seinem Zimmer aufhält. Der Außenwelt ist er über Fernsehen, Telefon, Internet und Essenslieferungen aus nahen Restaurants verbunden. Von seinem Leben in der Botschaft dringt immer mal wieder etwas an die Öffentlichkeit. Ein ihm anfangs zugewiesenes Zimmer, das ihm wegen Harrods-Anlieferungen, Taxiverkehr und Polizei-Wachwechsel zu laut war, hat er gegen eine andere, abgelegenere Räumlichkeit eintauschen dürfen.

Man hat die Frauentoilette der Botschaft für ihn umgebaut und ihm (der angeblich auf Hygiene nicht viel gibt) gleich auch eine Dusche installieren lassen. Ein Bett, ein Bücherregal, ein rundes Tischlein mit Stühlen sowie eine Höhensonne, die ihm seine Mutter hat kommen lassen, füllen das Zimmer. Ken Loach, der prominente Filmemacher, hat ihm ein Laufgerät geschenkt, damit er „in Schuss“ bleibt und keinen Rost ansetzt.

Sein Status als Rock-Star hat ihm mehr geschadet als genutzt

Ein Breitbandanschluss verschafft Assange Teilhabe am Geschehen „draußen“ - und Gelegenheit zu 17 Stunden Arbeit am Tag, wie er selbst behauptet. „Ein bisschen wie in einer Raumkapsel“ komme er sich vor, hat er einmal seine Lage beschrieben: Weil es ihm an Tageslicht fehle und er sich alles, was er brauche, selbst zusammenbasteln müsse. Gewiss, hat er gesagt, würde er „gern mal wieder einen Waldspaziergang machen“. Auf den aber wird er, solange er nicht kapituliert oder auch sonst niemand eine Lösung für ihn findet, warten müssen. Videolinks zu Veranstaltungen weltweit sollen ihn im Gespräch halten, ihn vor dem Vergessenwerden bewahren.

Ab und zu tritt er auch, im Stil der Royals, auf einem Balkon der Botschaft in Erscheinung. Einige seiner Fans aus den alten Tagen kommen ihn immer noch besuchen. Der Journalist John Pilger, ein australischer Landsmann, versorgt den Eingeschlossenen regelmäßig mit Filmen und DVD-Boxen. Auch neugierige Prominenz, wie Lady Gaga, hat vor allem in den ersten Monaten hereingeschaut.

Andere, die ihn früher einmal unterstützten, wie die Publizistin und Milliardärstochter Jemima Khan, haben ihm dagegen längst den Rücken gekehrt und ihm geraten, sich endlich in Stockholm gegen die dortigen Vorwürfe zu verteidigen, statt sich in London „zu verstecken“. Sie habe zu Beginn der Bekanntschaft mit Assange punktuell auch dessen „Charme, Brillanz und Klarblick“ kennengelernt, meint Khan: „Aber ich habe auch gesehen, wie ein plötzlicher Rockstar-Status bewirkt, dass selbst der scharfsinnigste Idealist glaubt, über dem Gesetz zu stehen und sich keiner Kritik mehr stellen zu müssen.“

Sein Neid auf Edward Snowden wird zum Thema

Ähnliche Erfahrungen mit Assange hat einer seiner Ghostwriter, der preisgekrönte Schriftsteller Andrew O’Hagan, gemacht, der den Australier 2013 als einen couragierten und leidenschaftlichen, aber auch selbstverliebten, paranoiden und manipulationshungrigen Zeitgenossen charakterisierte. Nicht nur Assanges weithin bekannter Mangel an Manieren und seine Weigerung, niedrige Tätigkeiten wie Geschirrspülen zu übernehmen, sondern auch seine notorische Arroganz und Undankbarkeit gegenüber den gestressten Gastgebern in der Botschaft sind dabei zur Sprache gekommen.

Auch offenkundigen Neid Assanges auf den neuen „globalen Superstar“ der Enthüllungsszene, Edward Snowden, hat O’Hagan trocken vermerkt. Assange habe sich „wie ein alternder Filmstar“ über Snowden ausgelassen: Er habe, gefragt nach Snowdens Bedeutung, den Amerikaner auf einer Bedeutungsskala sechs Ränge unter sich selbst angesiedelt.

Dass seine eigene Strahlkraft zu erlöschen drohe (oder bereits erloschen sein könnte), mag sich Julian Assange jedenfalls nicht gern sagen lassen. Für Assange ist Assange auch in der physischen Abgeschiedenheit der Botschaft immer noch der bemerkenswerteste Botschafter einer neuen Welt. Damit aber, meint Assange, sei er auch Zielscheibe alter, finsterer und rachlüsterner Mächte.

Angst vor Gift im Essen

Die Sushi-Gaststätte, von der er sich mit Mahlzeiten beliefern lässt, will er zum Beispiel lieber nicht beim Namen nennen. Jemand, fürchtet er, könne ihm sonst dort „etwas ins Essen mischen“. Nicht unbedingt, um ihn umzubringen – nur um ihn in ein Krankenhaus und damit auf die Straße zu zwingen. Das ist für Assange eine ganz realistische Erwartung.

Einen frischen Schub Publizität hat Assange in diesem Frühjahr der Wikileaks-Film „The fifth Estate“ mit Benedict Cumberbatch verschafft, den der Australier als „massive Propaganda-Attacke“ gegen seine Person interpretierte. Eine Weile hat er Cumberbatch gedrängt, ihn nicht zu spielen. Aber Cumberbatch zeigte sich unbeeindruckt.

In der Botschaft, aus der sich Assange immer wieder mal zu Wort meldet, scheint man sich unterdessen nach dem Tag zu sehnen, an dem das mächtige Wikileaks-Ego sein Bett und seine Höhensonne nimmt und geht. Freundliche Gefühle für den ungehobelten Gast scheint es in Hans Crescent nur wenig zu geben. Ecuadors Außenminister Ricardo Patino, der im Vorjahr die Lage in London inspizierte, hat Assange zwar erneut unbefristetes Asylrecht zugesagt, der Minister räumte aber auch seufzend ein, dass eine Regierung „mit starken Prinzipien sehr viel Geduld“ benötige. Man könne nur hoffen, fügte er hinzu, dass der Wikileaks-Mensch in seiner Botschaftskammer „nicht einfach nur immer älter und älter wird – und irgendwann mal noch in unserer Botschaft stirbt“.