Von wegen niedlich: der Eisbär Wilbär ist den Stuttgartern noch immer als Jungtier mit Stupsnase und Knopfaugen in Erinnerung. Inzwischen bringt er 400 Kilo auf die Waage. Ein Kurator erzählt, wie es ihm in Schweden geht.

Stuttgart - Stupsnase, Knopfaugen, flauschiges Fell: Als Jungtier war Wilbär die perfekte Vorlage für ein Kuscheltier, doch der Schmusefaktor liegt inzwischen bei Null – aus dem kleinen Eisbären, der bei seinen ersten Gehversuchen in der Wilhelma tausende von Besuchern begeisterte, ist ein stattliches Mannsbild geworden. „Er wiegt rund 400 Kilogramm“, erzählt der Kurator Kenneth Ekvall, der im schwedischen Bärenpark Orsa Grönklitt darüber wacht, dass es den Eisbären gut geht.

 

Vor fünf Jahren hat Wilbär die Wilhelma gen Norden verlassen. Der Stuttgarter Publikumsliebling fand seine neue Heimat in der derzeit größten Eisbärenanlage der Welt – dem Bärenpark, der rund 300 Kilometer nordwestlich von Stockholm liegt. „Er hätte es nicht besser treffen können“, sagt Ulrike Rademacher, die in der Wilhelma für die Raubtiere zuständig ist. Während die Eisbärenanlage der Wilhelma räumlich beengt ist, lebt Wilbär in Schweden nicht in einem Zoo, sondern in einer Naturlandschaft mit Seen und Flussläufen.

Künstlicher Gletscher dank Schneekanonen

Kenneth Ekvall hat Wilbär von Anfang an beobachtet und miterlebt, wie er sich in seiner neuen Heimat erst zurechtfinden musste. „Er hat ein wenig Zeit gebraucht, um sich bei uns einzugewöhnen, aber inzwischen fühlt er sich längst wohl, auch mit seiner Partnerin versteht er sich gut.“ Die Eisbärendame an Wilbärs Seite heißt Ewa, stammt ursprünglich aus dem Zoo von Rotterdam und ist ein Jahr älter als der schwäbische Eisbär. Der schwedische Park hat seine Eisbären mit Bedacht ausgewählt, er will eine Zucht aufbauen. Für ideale Bedingungen hat man auch in High-tech investiert. Mithilfe von Schneekanonen entsteht ein künstlicher Gletscher für die Tiere, der diesen bis in den Sommer hinein ideale Bedingungen bietet.

Die Erwartungen an Wilbär und Ewa sind klar: Bald soll es mit dem Nachwuchs klappen. „Dem steht rein theoretisch auch nichts mehr entgegen“, erklärt Ulrike Rademacher, „Eisbären werden im Schnitt mit drei bis fünf Jahren geschlechtsreif.“ Wilbär ist inzwischen sechs Jahre alt – und es gibt tatsächlich Anzeichen, dass es mit einem Baby-Bären in diesem Frühjahr geklappt haben könnte: „Ewa verhält sich seit einiger Zeit anders als sonst, auch im Umgang mit Wilbär“, erzählt Kenneth Ekvall. „Wir glauben, dass sie trächtig sein könnte.“ Gewissheit darüber wird der Winter bringen. Eisbären paaren sich im Frühjahr, ziehen sich aber erst im Winter in ihre Wurfhöhlen zurück. Sollte dies bei Ewa der Fall sein, würde das erste Eisbärenbaby von ihr und Wilbär im Dezember auf die Welt kommen.

Viele Gäste kommen aus Stuttgart

Der privat betriebene Bärenpark würde auch wirtschaftlich vom Eisbärennachwuchs profitieren: „Wir haben schon heute eine Menge Touristen, die nur wegen der Eisbären zu uns kommen“, erzählt Kenneth Ekvall. Und immer wieder sprechen ihn Besucher aus Stuttgart auf „ihren“ Wilbär an. Regelmäßig bekommt auch die Wilhelma Fotos von ihren Gästen, die den Kraftprotz in Schweden zeigen. Wilbär ist noch immer ein Wilhelmabär. Ein Bär mit einem eigenen Charakter, den Kenneth Ekvall so beschreibt: „Für ein ausgewachsenes Tier ist er sehr verspielt und vergleichsweise wenig aggressiv.“

In seiner früheren Heimat Stuttgart steht unterdessen eine seit langem geplante Trennung bevor: Der Eisbärenmann Yoghi, der seit dem Frühjahr gemeinsam mit Corinna in der Wilhelma lebt, kehrt in den Münchener Tierpark Hellabrunn zurück. Von dort war Yoghi im März des Jahres nach dem Tod des Eisbären Anton an die Wilhelma „ausgeliehen“ worden. Yoghi und Corinna hätten sich im vergangenen halben Jahr gut verstanden, erzählt Ulrike Rademacher, auch wenn es nicht das gleiche Verhältnis wie zu Anton gewesen sei. „Die beiden waren ein bisschen wie ein altes Ehepaar.“

Wieder Nachwuchs in der Wilhelma?

Bei Corinna und Yoghi war von Anfang an nur eine Partnerschaft auf Zeit verabredet worden. In Hellabrunn hatte Yoghi mit seiner dortigen Partnerin Zwillinge bekommen, für den Nachwuchs war es besser, getrennt von ihrem Vater aufzuwachsen. Im Oktober steht nun der erneute Umzug von Yoghi nach München an, und Ulrike Rademacher weiß genau, dass sich viele Stuttgarter Zoobesucher Sorgen machen, weil Corinna allein zurückbleibt. „Das ist aber eine vermenschlichte Sichtweise. Weibliche Eisbären sind außerhalb der Paarungszeit Einzelgänger. Man kann nicht davon sprechen, dass die beiden eine engere Bindung aufgebaut hätten.“

Doch auch in der Wilhelma blicken die Raubtierexperten mit Spannung dem Winter entgegen: Im Innenbereich der Bärenanlage stellt der Zoo Corinna Wurfboxen zur Verfügung, in die sie sich bei Bedarf zurückziehen kann. „Corinna ist gerade sehr dick“, sagt Ulrike Rademacher, „aber es ist unklar, ob es daher kommt, dass sie trächtig ist.“ Um Genaueres zu wissen, müsste der Zoo Corinna narkotisieren und sie anschließend per Ultraschall untersuchen – den Stress will man der Eisbärendame jedoch ersparen. Wer sich für Eisbärenbabys erwärmt, muss sich gedulden: sowohl in Schweden als auch in Stuttgart.